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Großartige Atmosphäre beim Niedersachsen-Derby im Stadion von Eintracht Braunschweig. Kay Rohn

Stadionfunk Eintracht Braunschweig
Das anstrengende Derby

Am Sonntag war Hannover zu Gast im Eintracht-Stadion. Wo es um pure Fußball-Leidenschaft und sportliche Rivalität gehen sollte, bleiben zwar eine kreative Choreographie und die gute Laune in der Löwenstadt in Erinnerung, aber auch ein mageres Spiel und aus dem Ruder laufende Fan-Aktionen. Malte Schumacher und Kay Rohn berichten.

Malte Schumacher:

DAS Derby

Matchday – Nein: Derby-Tag! Eintracht gegen 95+1, also West-Peine. Wie viele Niedersachsen-Derbys habe ich eigentlich schon gesehen in meinen bald 60 Lebensjahren? Keine Ahnung. Alleine geschrieben haben Kay und ich über mindestens fünf, darunter in unserem Buch die legendären Bundesliga-Duelle 2013/14 (0:0 und 3:0) sowie vor einem Jahr der „Last-Minute-Derby-Sieg“, den ich ja mit Clemens in Austin/Texas gefeiert habe.


Hubschrauber und Innenministerin

Um 10.30 Uhr geht’s los für mich, ich radele den Bohlweg runter – und über mir knattert schon der erste Hubschrauber im fast blauen Himmel. Wahnsinn, was um so ein Derby herum alles los ist. Die Braunschweiger Zeitung hat seit Tagen geschrieben über Sicherheits-Aspekte unseres Stadions, über Polizei-Taktiken, über die Einschätzungen allerlei Experten bis hoch zur Innen-Ministerin. Aufgeladen ist das Spiel also mal wieder bis zum Anschlag.


Wir sollten gewinnen!

Mich beschäftigt beim Radeln aber eher die Tabellen-Situation – wir sollten heute unbedingt gewinnen, denn Rostock, Lautern, Osnabrück und Wiesbaden haben ihre Spiele am Freitag und Samstag verloren. Wie wichtig wären heute drei Punkte, wir könnten bis auf Platz 12/13 klettern… In diesem Moment radele ich an meinen Buddies vom Fanclub „Braunschweiger Theke“ vorbei. In der Hinrunde im September hatten sie mir Nürnberger Würstl mit Kraut serviert – weil sie sich ja am Heimspiel-Tag immer einem typischen Gericht des Gegners widmen.


Braunschweiger Theke

Aber was ist denn bitte ein typisches Essen in der Landeshauptstadt? Aldi-Toastbrot mit Ketchup? Sie lachen: „Keine Ahnung, heute gibt’s natürlich Braunschweiger Mettwurst!“ – strahlt Fabian mich an und beißt in eine dicke Scheibe rein. Na, da bin ich ja beruhigt. Und wie geht das Derby heute aus? Von Heimsieg und Unentschieden ist die Rede – überwiegend optimistisch würde ich das nennen.

Braunschweiger Fußballfans essen Wurst. Malte Schumacher
Bei der "Braunschweiger Theke" gibt es heute - natürlich - Braunschweiger Mettwurst.

Zuversicht bei den Fans

In Höhe des Architektenturms auf der Mühlenpfordstraße treffe ich auf eine sehr optimistische Gruppe, die sich klar für die Eintracht ausspricht. André ist sich sicher, dass wir 3:0 gewinnen -- und Antonia prophezeit ein 1:0 in letzter Sekunde, wie vor einem Jahr. Wow, Danke – Ihr gebt mir eine große Portion Optimismus mit. Beim Fanclub „Löwenherz Edemissen“, die sich auf dem Görge-Parkplatz an der Hamburger Straße zum Aperitif-Bier versammelt haben, ist Andrea von einem 3:1 überzeugt, während Sven mit einem 2:2 rechnet.

Was sagen Poppy und Steini?

Vor der „Wahren Liebe“ ist um 11.15 Uhr schon gut was los, ich bin dort mit Poppy und Steini verabredet. Poppys Agentur „Benefactor“ und die Eintracht haben Anfang April erstmals die Jobmesse „Transferbörse“ realisiert. Sponsoren und Unterstützer der Eintracht haben sich dabei als Arbeitgeber gerade für Eintracht-Fans präsentiert. Jetzt aber will ich von den beiden wissen, was sie vom heutigen Derby erwarten…

„Wir zeigen Euch, was Fußball heißt!“

Jetzt aber schnell rein ins Stadion, ich muss noch was essen und versuchen, frühzeitig im Block 6 zu sein. Hinter dem Südkurven-Eingang fotografiere ich endlich mal das schöne blau-gelbe Wand-Gemälde auf einem dort platzierten Container – kreativ und gelungen! Obwohl es noch sehr früh ist, ist es überall schon gestopft voll im Stadion, lange Schlangen vor den Wurst-Bratereien – vor den Getränke-Buden eher nicht so, es ist ja nur Alkoholfreies im Ausschank heute.

Ein von Eintracht-Fans bemaltes Plakat. Malte Schumacher
Blaugelbe Zuversicht im Vorfeld.

Derby-Touristen

Auch bei uns oben im Block ist es bereits mächtig voll – auf unseren Fanclub-Plätzen stehen drei Derby-Touristen. Das ist ein winziger Nachteil unserer Stehplätze. Egal – von den Mädels und Jungs unseres Fanclubs ist noch niemand am Start… Um uns herum hängen Seile, Ultrás stehen am Wellenbrecher hinter uns – na klar, sie haben eine große und sicherlich spektakuläre Derby-Choreografie vorbereitet. Ich bin gespannt, ein blaues Plakat und eine blau-gelbe Fahne habe ich schon im Treppen-Aufgang in die Hand gedrückt bekommen, plus den Zettel mit der „Gebrauchsanweisung“ für uns.

Blau-Gelbe Choreo

Ich stehe wegen der Enge mitten in Block 6 inzwischen am Treppen-Aufgang, da ist mehr Platz und Luft. Gerade ist Clemens in mich reingelaufen – eher ging’s nicht bei ihm, und ein Durchkommen zu seinen Buddies am Zaun zu Block 5 ist längst unmöglich. Lange vor dem Anpfiff startet die Choreo-Einleitung: ein Herzschlag-Rhythmus ertönt vom Band… Und dann halten wir die blauen Plakate hoch und es geht los.

Clemens: Optimismus und Desorientiertheit

Wir sind in den ersten Spielminuten Teil der Choreo, also können wir nur ahnen, wie das von draußen aussieht – und wir verpassen deshalb auch die ersten Aktionen des längst laufenden Spiels. Also frage ich Clemens einfach nochmal nach seinem Tipp für heute inmitten dieser Szenerie. Ich glaube, er hat vorsichtshalber Rest-Alkohol mitgebracht, denn seine Erinnerung an das vermeintlich „letzte Spiel“ ist zehn Jahre her…

Rauch statt Support

Parallel zu dieser wunderbaren, kreativen Aktion unserer Ultrás aber zeigt das Derby genau jetzt auch seine hässliche Seite: Drüben bei 95+1 in der Nordkurve qualmt es zum Anpfiff schwarz-grün und auch bei uns in den Blöcken 8 und 9 wird alsbald gezündelt und es qualmt. Viele Hass-Parolen sind zu hören – das Spielgeschehen rückt anscheinend bei vielen in den Hintergrund. Dabei wäre der situative Support unserer Jungs heute so wichtig, weil drei Punkte doch so wertvoll sind heute…

Blaugelber Rauch: Hübsch anzusehen, trotzdem beißend in den Augen. Malte Schumacher
Blaugelber Rauch: Hübsch anzusehen, trotzdem beißend in den Augen.

Kein Spaß auf und neben dem Platz

Nee, Spaß macht mir das heute gar nicht. Das Spiel ist sehr zerfahren von beiden Mannschaften, viele Fehler, eher wenig Chancen und Torraum-Szenen. Kurz vor der Pause spielt Donkor, der sich für die kommende Saison mit Schalke einig sein soll, einen Katastrophen-Rückpass, und Teuchert ist durch. Fast durch – Kurucay flitzt hinterher, setzt zum Monster-Tackling an, klärt den Ball und feiert sich anschließend grandios ab. Yes! 0:0 zur Pause. In der zweiten Halbzeit dann wieder die hässliche Derby-Seite und ein weiterhin unspektakuläres Spiel. Leuchtraketen im Norden, Böller und Pyros aus den Blöcken 8 und 9 der Südkurve. Block 7-Vorsänger Benny kritisiert die Böller-Werfer via Megaphon – kann aber nichts ausrichten.


Unrühmlicher Schlusspunkt

Und auf dem Platz? Tja, die hässliche Derby-Seite überlagert das Spiel. Hoffmann muss zweimal retten und tut das auch, Chancen für uns sehe ich keine echten. Kurz vor Schluss denke ich an den Tipp von Antonia, die ein 1:0 in letzter Sekunde prophezeit hatte, wie vor einem Jahr… Dann aber Schlusspfiff, 0:0, ein Punkt für uns gegen den Abstieg, Platz 15 momentan. Als die Mannschaft sich vor der Südkurve versammelt, um mit den Fans zu interagieren, schallt ihr „Hannover verrecke!“ entgegen. Ja, im Norden haben sie angefangen, ihre restlichen Leuchtraketen in die Nachbar-Blöcke zu verschießen und gefährden damit Menschenleben – dennoch hätte unsere Mannschaft jetzt was anderes verdient. Schlusspunkt eines hässlichen Derbys, ich bin bedient.

Eintracht-Spieler vor der Fankurve. Malte Schumacher
Schluss: Nach dem Spiel waren vielen Fans Schmähgesänge gegen den Gegner wichtiger, als mit der eigenen Mannschaft den Punktgewinn zu feiern.

Kay Rohn:

„Keine Gnade“

Vor den Eingangstoren sehr viel Polizeipräsenz und großes Medieninteresse. An vielen Stellen werden Fans in Interviews zum Derby befragt. Große Aufmerksamkeit liegt heute auf Braunschweig. 
Keine Gnade - Das steht in großen Lettern auf dem Transparent in der Südkurve. Es hat was von mittelalterlichem Markt und Schlachtkulisse. Die Eintrachtfans haben prima gearbeitet und präsentieren einen würdigen Rahmen für das, was auf dem Rasen folgen soll. „Die Spiele mögen beginnen“, so hieß es im alten Rom. Eine symbolische Schlacht sollte auf den Rängen stattfinden, die sportliche auf dem Grün.

Auch die Trainer beginnen gleich hektisch und giften sich zwischen den zwei Coachingzonen an. Pyro in grün/schwarz und blau/gelb hüllt immer wieder das Stadion in eine unangenehme Hülle. Beißender Qualm auch auf der Tribüne.

Nach dem Abbrennen von Pyros und Zünden von Raketen ziehen Rauchschwaden über den Platz und durch das Stadion. Kay Rohn
Nach dem Abbrennen von Pyros und Zünden von Raketen ziehen Rauchschwaden über den Platz und durch das Stadion.

Punkterechnen…

30 Punkte vor dem Spiel, mathematisch ein Durchschnitt von 1,07 Punkten pro Spiel. Das hieße 36 Punkte am Saisonende für uns. Andererseits können wir es mit jeder Mannschaft aufnehmen, siehe die Spiele gegen Paderborn und Kiel.
Unsicher ist, ob Robert Ivanov in den nächsten Spielen dabei ist. Kurucay, Bicakcic und Ivanov sind in der letzten Reihe schwer zu ersetzen. 36 Punkte sind realistisch, 39 Punkte sind mein persönliches Ziel für die Mannschaft. Also müssten 3 Punkte aus den nächsten zwei Paarungen gegen Osnabrück und Hamburg her.

Beide Teams laufen im Stadion von Eintracht Braunschweig auf den Rasen. Kay Rohn
Beide Mannschaften haben sich für das Derby viel vorgenommen.

Torloses Unentschieden

Torraumszenen gab es in diesem Derby kaum. Zerstören statt aufbauen, war die Devise auf dem Platz bei beiden Teams, ein Unterschied in der Qualität war nicht zu sehen.

Anton Donkor hatte keinen guten Tag, nach vorne war er nicht druckvoll wie gewohnt und im Abwehrverhalten sehr fehleranfällig. Das Zusammenspiel als Team, das Pushen, das gegenseitige Anfeuern wiederum gefiel mir. Mental ist Eintracht fokussiert, aber spielerisch war es nicht möglich, eine Leistung auch nur annähernd wie im Spiel gegen Elversberg abzurufen.

Ich würde immer noch gerne Hampus Findell einmal von Beginn an auf dem Platz sehen. Es fehlt im Mittelfeld an Bindung zwischen Abwehr und Angriff. Ron-Thorben Hoffmann rettete uns den Punkt mit einem zur Ecke abgefälschten Ball. Zweikämpfe, die sehr hart geführt wurden, gehören zu einem Derby. Kleine Rudelbildungen ebenso. Der Schiedsrichter hatte das Spiel gut in der Hand, gab kaum gelbe Karten und musste nur selten eingreifen. Zum Abschluss machen wir eine Stadionrunde und laufen an den Überbleibseln des Derbys vorbei. Muss das so enden?

Wunsch-Derby

Ja, ich wünsche mir ein Derby. Mit ironischen, rivalisierenden Spruchbändern, mit kreativen Choreos. Mit Sprechgesängen und Songs extra fürs Derby. Mit karnevalesken Einfällen von den Rängen, mit sortierter, geplant eingesetzter Pyro. Ohne Feuerwerkskörper, die auf Menschen zielen, ohne Schmähgesänge, ohne unsägliche Beleidigungen, ohne Belagerungszustand durch die Polizei. Sondern mit viel positiver Aufmerksamkeit durch Presse und TV zu einem traditionsreichen Match, bei dem sich alle Kontrahenten, Spieler, Verantwortliche und Zuschauer nach dem Spiel die Hand schütteln können.

Wunsch, Traum oder irgendwann Wirklichkeit? Was meint ihr? Ich kann dazu nur sagen, Freunde von mir fahren morgens nach Hannover oder Wolfsburg und arbeiten und leben den Tag über prima in diesen Nachbarstädten. In der Pressemitteilung unseres Vereins beruft sich Geschäftsführer Wolfram Benz auf das Leitbild der Eintracht. Vielleicht sollte damit noch mehr gearbeitet werden.

Spiel der Legenden

Es ist kein Derby, aber der Hinweis auf dieses „Klassentreffen“ muss gestattet sein. Am 30. April um 18:00 Uhr findet das „Legendenspiel“ bei der BTSV-Eintracht im Eintracht-Stadion statt. Die Namen lassen sofort Bilder entstehen, ein Fallrückzieher von Pfitze, Bole, der den Platz umpflügt, Elfmeterdrama in Nürnberg, ein sich in ungeahnte Höhen hochspringender Domi Kumbela bei seinen Kopfballtoren und natürlich Damir, „the brain“, Vrancic bei DEM Freistoßtor zur 1. Bundesliga in Ingolstadt. Bestimmt gibt es beim Legendenspiel wieder so einen Freistoß aus ähnlicher Position, da kann der Schiedsrichter sicher für sorgen.

Da ich so eine Vorfreude habe auf jeden Einzelnen, der es möglich macht, zu diesem Spiel zu kommen, hier die Aufstellungen inklusive Staff. Ein Punkt scheint mir noch nicht geklärt. Wer sitzt im „Kölner Keller“: Mein Vorschlag: Jumbo Weishaupt, Andreas Sander, „Kurvenmutti“ Christel und ganz unbescheiden würde ich das Team gern vervollständigen.

 

Team Blau (Fejzić, Dogan, Reichel, Pfitzner)

Trainer: Benno Möhlmann

Start-11: Jasmin Fejzić, Deniz Dogan, Ken Reichel, Matthias Henn, Jan Washausen, Kosta Rodrigues, Marc Pfitzner, Tim Danneberg, Damir Vrancic, Pierre Merkel, Orhan Ademi

Bank: Smail Morabit, Jonas Erwig-Drüppel, Markus Unger, Mathias Fetsch, Oliver Petersch

Team Gelb (Kessel, Boland, Kruppke, Kumbela)

Trainer: Torsten Lieberknecht

Start-11: Marjan Petković, Marco Caligiuri, Benjamin Kessel, Jan Schanda, Maximilian Sauer, Mirko Boland, Jan Hochscheidt, Karim Bellarabi, Patrick Schönfeld, Dennis Kruppke, Domi Kumbela

Bank: Kevin Kratz, Julius Düker, Phillip Tietz, Julius Reinhardt, Gianluca Korte, Daniel Davari, Jürgen Rische

Staff: Alexander Kunze, Darius Scholtysik, Christian „Bussi“ Skolik, Florian Horn, Holm Stelzer

Wir treffen uns im Stadion am 30. April zum großen Wiedersehen mit den Legenden!! Aber natürlich auch wieder zum nächsten Derby – Keine Gnade!