Wie Integration in unserer Region funktionieren kann, erfahren wir von Gül Preisler-Demirag. Die Deutsche mit türkischen Wurzeln kam vor 45 Jahren nach Peine und fühlte sich dort von Anfang an gut aufgehoben. Heute leitet sie eine Abteilung des größten teilautomatisierten Mode-Logistikzentrums Norddeutschlands.
Neue Heimat Deutschland:
Wie Gül Preisler-Demirag in Peine Karriere machte
„Ich stehe doch nicht morgens auf und denke: Ich bin eine Türkin in Deutschland!“ Gül Preisler-Demirag (50) lacht mich strahlend an. Deutschland ist ihre Heimat, seit nunmehr 45 Jahren. Hier hat sie ihren Mann kennengelernt, hier wurde ihre Tochter Azra geboren, hier hat sie Karriere bei der Firma Meyer & Meyer Logistikzentrum Peine gemacht. Hier liegt ihr Lebensmittelpunkt. Eine Deutsche mit türkischen Wurzeln, für die Integration nie ein problematisches Thema war. Sie war integriert, mittendrin, von Anfang an.
Von Grossfamilie zu Grossfamilie
Fünf Jahre war sie alt, als der Vater die Familie aus Kayseri in Mittelanatolien nach Deutschland nachholte. Er arbeitete bereits seit zwei Jahren in der Ilseder Hütte, die Familie bezog zwei Zimmer zur Untermiete in einem Zweifamilienhaus. „Das war für mich als Kind damals ganz einfach: Ich kam von einer Großfamilie in der Türkei in die nächste in Ölsburg“, sagt Gül Preisler-Demirag. Herzlich seien sie aufgenommen worden, Deutsch lernte Gül spielend mit den Kindern beim Gummitwist und Puppenspielen. Ostern und Weihnachten haben sie gemeinsam gefeiert, es wurde türkisch und deutsch gekocht. „Es gab keine Berührungsängste, wir sind von beiden Seiten offen aufeinander zugegangen“, berichtet sie.
Integration hat viele Facetten
Als sie aus Ölsburg nach Peine zogen, fehlten der kleinen Gül nicht nur Tante Margrit, Onkel Dieter und Onkel Hermann, sondern auch der Weihnachtsbaum. „Das erste Weihnachten ohne Baum war schrecklich“, erzählt die aparte Frau. Sie bettelte so lange bei ihrem Vater, bis er im nächsten Jahr einen Weihnachtsbaum aufstellte. Da waren natürlich die türkischen Nachbarn irritiert. „Mein Vater hat das aber klug gelöst. Er sagte: Was wollt ihr denn, wir freuen uns über die Geburt von Jesus.“ Schließlich verehren die Moslems Jesus als Propheten und Gesandten Gottes.
Gül Preisler-Demirag ist religiös erzogen worden. Aber eben nicht ausgrenzend. Im Gegenteil: „Mein Vater hat mich damals verdonnert, am Religionsunterricht teilzunehmen. An sich war man ja als Moslem vom Unterricht befreit. Mir hat das aber geholfen, mich mit dem Christentum zu beschäftigen. Es fördert das Verständnis“, sagt sie und ergänzt schmunzelnd: „Und eine Eins hat es mir auch noch aufs Zeugnis gebracht.“
Aktiv gegen Vorurteile
Gewiss, sie hat auch Vorurteile kennengelernt. Wenn sie allein aufgrund ihres Äußeren automatisch gefragt wurde, ob sie überhaupt alles verstehe, kann sie auch heute noch nur mit dem Kopf schütteln. Bewerbungen der jungen Frau seien mitunter so kommentiert worden: „Da braucht man aber gute Deutschkenntnisse.“ Man übertreibt wohl nicht, Gül Preisler-Demirags Deutsch als „muttersprachlich perfekt“ zu bezeichnen.
Auch damals, als sie nach Peine umgezogen sind, spürte das Kind bei den Nachbarn zunächst Ablehnung. Aber ihre Familie zog sich nicht zurück, sondern ging den entscheidenden Schritt auf die Nachbarn zu. Klingelte mit türkischen Köstlichkeiten an der Haustür, suchte das Gespräch im Hausflur. „Zehn Jahre später, als wir auszogen, waren alle traurig.“
Karriere als Speditionskauffrau
Aus familiären Gründen arbeitete sie als junge Frau zunächst sieben Jahre bei Blaupunkt in der Produktion. Sie musste den Lebensunterhalt verdienen. Mit 29 kündigte sie. „Ich dachte: Das kann’s noch nicht gewesen sein“, erzählt sie. Ein Praktikum bei Meyer & Meyer, eigentlich als Überbrückung gedacht, war der Einstieg in ein neues Berufsleben: Sie kam gut an, wurde zur Speditionskauffrau umgeschult. Mit Bestnote 1,4. Mittlerweile ist sie 19 Jahre dabei, Abteilungsleiterin Administration und Ausbildungsverantwortliche.
Dass Integration für sie nie schwierig gewesen sei, „liegt vielleicht auch an meiner Persönlichkeit“, sagt sie. Schon immer habe sie Kontakt gesucht, war offen. „Mein erstes Taschengeld habe ich in Ölsburg verdient, indem ich dem Organisten beim Stimmen der Orgel in der Kirche geholfen habe“, erzählt sie. Mit den Töchtern des Pastors sei sie befreundet gewesen. Man müsse eben aufeinander zugehen. Vorbehaltlos.
Integration und Familie
„Deutsche waren mir nie fremd, sie gehörten von Anfang an zu meinem Leben, meiner Familie“, betont sie. Und sie und ihre Familie konnten von den Tugenden beider Kulturen profitieren. Ein Beispiel: In der Grundschule ihrer Tochter traf sie auf eine aufgeschlossene Lehrerin. Im Unterricht konnte sie ihr Geburtsland Türkei vorstellen, servierte türkisches Essen, organisierte einen Moscheebesuch.
Immer miteinander im Gespräch zu bleiben, ist ihr auch im Betrieb wichtig. Ihre Abteilung setzt sich jeden Tag eine Stunde zum Mittagessen zusammen. Als ich da war, gab es unter anderem deutschen Kartoffelsalat und gefüllte Aubergine. „Im Unternehmen arbeiten viele Menschen verschiedener Kulturkreise respektvoll miteinander“, sagt Gül Preisler-Demirag. Dass Achtung voreinander wichtig ist in der Firma, belegt wohl auch der neutral gehaltene Gebetsraum. Rückzugsort für Gebet und Meditation. Für alle.
Tochter Azra saß beim Mittagessen ferienfroh dazwischen. Es war ihr letzter Schultag in der Grundschule. Der Urlaub wird wie immer in der Türkei verbracht, ihr deutscher Mann wurde damals herzlich in dem „Riesenclan“ aufgenommen. Die Hochzeit feierten beide Familien in der Türkei. Am Abend vor unserem Gespräch hatten Deutschland und die Türkei ihre letzten Gruppenspiele der EM. Wem Gül Preisler-Demirag die Daumen drückte: beiden! „Das sind beides meine Mannschaften.“