Ein Mann auf einer Vogelbeobachtungsplattform. Frank Spyra

Wenn die Region aufblüht, haben alle etwas davon.
Interview mit Prof. Heinz-Dieter Quack.

Von den Bergen im Süden bis zur Heide im Norden, von den großen Industriezentren wie Salzgitter und Wolfsburg zur Kulturmetropole Braunschweig und dem historischen Kleinod Wolfenbüttel – kaum eine Region ist so divers wie diese. Wir sprachen mit Prof. Heinz-Dieter Quack von der Ostfalia Hochschule über geteilte Identität, Tourismus und den Freizeit-Trend nach draußen.

Herr Quack, wie verbringen Sie am liebsten Ihre Freizeit?

Ich wandere gerne mit meiner Familie oder hier in der Region mit meinem Hund.

Womit Sie voll im Trend liegen. Viele Menschen haben während der Pandemie einen Ausgleich in der näheren Natur gesucht. Glauben Sie, das wird sich erhalten?

Das nimmt auch wieder ab, wie bei eigentlich jeder neuen Entwicklung gesellschaftlicher Art. Aber wir haben jetzt etwas Neues in den Fächer unserer Verhaltensoptionen aufgenommen Deswegen gehe ich davon aus, dass das Draußensein – ob zu Fuß, mit dem Fahrrad oder das Treffen draußen im Park – tatsächlich zum Teil bleiben wird. So wie auch das Homeoffice zu einem guten Teil bleiben wird.

Und dieser Trend nach draußen wird meiner Ansicht nach für die nächsten zwei bis vier Jahre zu spüren sein. Wobei wir auch vor der Pandemie schon eine positive Entwicklung in diesem Segment hatten. Das muss man auch einmal ehrlich sagen.

Wer sind die neuen Outdoor-Begeisterten?

Wandern war früher vom Image her eher bei den älteren Menschen verortet, das konnten wir sogar messen. Bei den 20- bis 30-Jährigen lag eine gewisse Nachfragelücke vor. Aber wer früher mit seinen Eltern wanderte, kehrte in seinen 30ern, teilweise 40ern, zu diesem Hobby zurück. Während der Pandemie hat sich dagegen eine stabil wachsende Gruppe von jüngeren Menschen gezeigt, die sich für diese Art der Freizeitgestaltung interessiert. 

Ein Mann steht vor einem See. Frank Spyra
Prof. Quack forscht zum Thema Tourismus. Dass sich jüngere Wanderer bewusst für analoge Orientierungsmöglichkeiten entscheiden, findet er spannend.

Unter Stichworten wie „Survival“ ist das Thema auch etwas cooler geworden, oder?

Ja, auch. Eine Dimension daran finde ich extrem spannend. Junge Menschen, die als Digital Natives aufgewachsen sind, entscheiden sich für das Draußensein bewusst als analoge Veranstaltung. Das Smartphone ist lautlos oder vielleicht gar nicht dabei. Auch die Orientierung läuft analog – über Landkarten oder Wegweiser.

Während der Pandemie mussten wir uns alle zunehmend digitalisieren, ob wir wollten oder nicht. Und damit einhergehend hat sich auch der Trend dahin entwickelt, bewusst für ein paar Stunden eine Auszeit zu nehmen.

„Junge Menschen, die als Digital Natives aufgewachsen sind, entscheiden sich für das Draußensein bewusst als analoge Veranstaltung.“

Prof. Heinz-Dieter Quack, Professor für Destinationsmanagement

Digital Detox…

Genau. Entscheidend ist dabei das bewusste Verlassen der klassischen Umgebung. Egal, ob man drei oder 30 Kilometer gefahren ist, das Setting ist ein anderes und man ist in einer anderen Welt. Dafür muss ich nicht zwölf Stunden auf der A7 im Stau stehen. Bereits in zwei oder drei Kilometern Entfernung können wir die Situationen vorfinden, die es uns erlauben, mental abzuschalten und uns am Ende erholt zu fühlen.

Wer profitiert von diesem Trend, abgesehen vom eigenen Kreislaufsystem?

Die Outdoor-Ausrüster natürlich. Dazu Verkehrsdienstleister und Gastronomiebetriebe, sofern es sie denn gibt. Wir haben in einer Untersuchung herausgefunden, dass die meisten Wanderer etwas zu trinken und einen Not-Snack mitnehmen. Gegen Ende der Wanderung kehren sie aber gerne in einen Gastronomiebetrieb ein. Das kennt der ein oder andere vielleicht aus dem eigenen Urlaub. Wenn wir uns entspannen, sind wir eher dazu bereit, noch spontan irgendwo einen Kaffee zu trinken. Dann diskutiert man nicht über 20 Cent. Dafür muss es die entsprechenden Lokalitäten allerdings auch geben.

Hinzu kommt der stationäre Einzelhandel. Im Harz beispielsweise finden wir in vielen touristischen Hotspots mittlerweile auch Bekleidungsgeschäfte. Vor zehn Jahren war das noch nicht der Fall. Und das ist der Vorteil. Als Tourist kaufe ich nicht bei Amazon, sondern vor Ort. Davon haben dann auch die Einheimischen etwas, deren lokaler Handel durch die Touristen gestärkt wird.

„Als Tourist kaufe ich nicht bei Amazon, sondern vor Ort. Davon haben dann auch die Einheimischen etwas, deren lokaler Handel durch die Touristen gestärkt wird.“

Prof. Heinz-Dieter Quack, Professor für Destinationsmanagement

Wo sehen Sie solche Hotspots in unserer Region?

Natürlich in Braunschweig mit seinen vielen Angeboten im touristischen Umfeld. In Wolfenbüttel sieht es mit dem Projekt Lessingstadt ähnlich aus. In Wolfsburg haben wir die Autostadt, das Phaeno und den Allerpark.

In Salzgitter dominiert der geschäftstouristische Bereich. Dabei hat die Stadt mit dem Salzgittersee einen starken Hotspot. Der Heerter See und auch der Reihersee sind touristisch dagegen noch weiße Flecken, die nur von den Einheimischen genutzt werden. Aber mit Schloss Salder beispielsweise kann man auch schon arbeiten.

Aber die großen Schwerpunkte sind, wie gesagt, Braunschweig und Wolfsburg als Kultur- und Shoppingzentren sowie Wolfenbüttel mit seiner bezaubernden Innenstadt und hoher Aufenthaltsqualität.

Es heißt, es gelte in der Region Kirchtürme zu überwinden. Was meint das?

Der Pfarrer sieht seinen Kirchturm und seinen Sprengel. Aus Sicht einer Stadt oder einer Gemeinde sollte man aber die Nachbarn im Sinne einer Region mitdenken. Das heißt, man redet dann nicht davon, in Salzgitter oder Braunschweig, sondern in der Region übernachten zu können. Aus Sicht der Touristiker bedeutet es: „Hauptsache der übernachtet in der Region, der wird schon bei mir vorbeikommen.“

Lokale Egoismen gibt es in allen Regionen, aber die muss man überwinden, will man Tourismus professionell und damit erfolgreich betreiben. Denn wenn man als Region wahrgenommen werden möchte, gilt es nach außen auch einheitlich auftreten. Da wir keine historisch erlernte Tourismusregion sind, haben wir darin noch Nachholbedarf. In den Voralpen oder im Schwarzwald gibt es eine ganz andere Tradition und eine ganz andere Wertschöpfung, die durch den Tourismus generiert wird. Dort ist der Tourismus sichtbarer als bei uns.

Fachwerkhäuser. Frank Spyra
In der Wolfenbütteler Altstadt, in einer Nebengasse unweit des Stadtmarktes, liegt das schmale Haus.
Ein Einkaufszentrum in der Innenstadt Wolfsburgs. WMG Wolfsburg
In der Porschestraße in der Innenstadt Wolfsburgs liegt die City-Galerie, ein modernes Einkaufszentrum.
Ansicht Stahlwerk Salzgitter Stadt Salzgitter / André Kugellis
Fußgängerbrücke durch Baumwipfel in Harz Baumwipfelpfad Harz
Fachwerkhäuser. Frank Spyra
Ein Einkaufszentrum in der Innenstadt Wolfsburgs. WMG Wolfsburg
Ansicht Stahlwerk Salzgitter Stadt Salzgitter / André Kugellis
Fußgängerbrücke durch Baumwipfel in Harz Baumwipfelpfad Harz

Ist die Region zu heterogen, um eine gemeinsame Identität auszubilden?

Wir sind kein einheitlicher Naturraum, der optisch so abgegrenzt ist, wie beispielsweise für sich genommen der Harz. Wenn es steil hoch geht, fängt der Harz an. Wenn es wieder runter geht, hört der Harz auf. Auch wenn das nicht mit den Gebietskörperschaften übereinstimmt, ist der Harz damit umrissen.

Überhaupt lassen sich die Grenzen der touristischen Regionen nicht mit denen der jeweiligen Verwaltungseinheiten in Eins setzen. Individuelle Interessenlagen der Touristen entscheiden darüber, ob sie im Harz im engeren Sinne bleiben oder ob sie noch einen Abstecher in die Region Braunschweig-Wolfsburg machen.

Vernetzt, aber dezentral – so wird die Region in Zukunft wohnen
Hier geht's zum Experten-Interview

Angebote zu bündeln, ermöglicht es auch, eine regionale Identität aus touristischer Sicht zu stiften. Zum Beispiel mit Kombinationen, bei denen der Gast beispielsweise in einem Ort im Harz übernachtet und einen Ausflug in die Autostadt, die Lessingstadt Wolfenbüttel oder eines der anderen spannenden Ziele in der Region gleich dazu bucht. Solche Pakete ließen sich über Radfahren, Wandern oder Kulturangebote erschließen. Aber das dauert seine Zeit, sowohl in der Entwicklung als auch in der Akzeptanz bei Gästen.

Dazu gibt es manchmal aus Sicht der regionalen Wirtschaftsentwicklung auch kurzfristige Ziele, die leichter zu erreichen sind. Liegen hier Schwerpunkte, bindet das auch Ressourcen, die sonst für die Bildung einer regionalen Identität nützlich wären. Wir sind nicht die Top-Feriendestination in Deutschland und das werden wir auch auf absehbare Zeit nicht sein. Das wäre illusorisch zu erwarten.

„Für potenzielle Arbeitskräfte ist der Standort attraktiver, der vermitteln kann, dass sie in einer Freizeit-, Kultur- und Tourismusregion leben werden. Das befruchtet sich gegenseitig.“

Prof. Heinz-Dieter Quack, Professor für Destinationsmanagement

Industrie- und Tourismusregion scheint sich auch zu widersprechen, oder?

Auf den ersten Blick schon. Auf der anderen Seite kämpfen wir im Industrie- und Dienstleistungssektor um qualifizierte Arbeitskräfte. Und für potenzielle Arbeitskräfte ist der Standort attraktiver, der vermitteln kann, dass sie in einer Freizeit-, Kultur- und Tourismusregion leben werden. Das befruchtet sich gegenseitig.

Eine Freizeit- und Tourismusentwicklung steigert die Qualität des Lebens, des Wohnstandortes. Die touristische Nachfrage erhöht das Image des Standortes und bringt damit eine höhere Zuzugsbereitschaft. Im Grunde ist das eine Form von Lebensraumentwicklung. Wir wollen Tourismus machen, indem wir den Freizeit-, Kultur- und Erholungswert für die Einheimischen fördern und stärken.

Dort arbeiten, wo andere Urlaub machen.

Überspitzt formuliert, ja. Das ist das Ziel. Schauen Sie einmal in andere Regionen. München beispielsweise hat ein positives Image als lebenswerte Stadt. Das kommt auch daher, dass wir im Umfeld die Voralpen sehen. Und so kommt es, dass es dort weniger Probleme gibt, Fachkräfte zu gewinnen – obwohl die Stadt bezüglich ihrer Immobilienpreisentwicklung kaum zu bezahlen ist.

Die Frage lautet nun: Was machen wir, wenn wir jemanden haben, der auch nach München gehen könnte? Dann müssen wir zeigen, dass diese Person nicht nach München muss, weil es hier genauso schön ist. Wir müssen zeigen, dass wir in den Bereichen Freizeit, Kultur, Outdoor und Shopping ebenso spannende Angebote haben.

Welche Rolle spielt Naturschutz im Tourismus?

Es kann ein Hemmnis und ein Lockfaktor sein. Es ist ein zentraler Faktor, der für eine Region spricht, weil wir dadurch zeigen, dass wir nicht nur schützenswerte, sondern geschützte Regionen haben, die einzigartig sind und daher einen Besuch wert. Von manchen Akteuren wird das als Hemmschuh gesehen, weil man dann nicht am Seeufer Ausflugslokale bauen kann.

Aber gerade im Outdoor-Bereich ist es ein mächtiges Argument, um Gäste zu werben. Denn viele Gäste suchen die Natur. Mit der Einschränkung, dass wir darauf achten müssen, nicht Opfer unseres eigenen Erfolges zu werden. Denn bei großer touristischer Nachfrage kann es zu Überlastungserscheinungen kommen. Das ist eine Frage der Tragfähigkeit der jeweiligen Fläche, die wir touristisch herstellen.

Wie sehen Sie die Entwicklung zum Mischwald im Harz?

Die Nationalparkverwaltung betreibt eine intensive und gute Aufklärung über das, was mit dem klassischen Baumbestand im Harz gerade passiert. In der derzeitigen Transformationsphase gibt es leider immer wieder sowohl Gäste als auch Einheimische, die den Anblick verloren gegangener Fichtenwaldbestände beklagen. Dennoch bin ich der Überzeugung, dass wir in Verbindung mit weiterer Aufklärung über die laufenden Prozesse die Attraktivität des Nationalparks in den nächsten Jahren weiter erhöhen können.

„Ich bin der Überzeugung, dass wir in Verbindung mit weiterer Aufklärung über die laufenden Prozesse die Attraktivität des Nationalparks in den nächsten Jahren weiter erhöhen können.“

Prof. Heinz-Dieter Quack, Professor für Destinationsmanagement

Wir unterhalten uns am Heerter See. Sollte am Parkplatz eine E-Ladesäule stehen oder es W-Lan auf dem Aussichtsturm geben?

Nein, das braucht man nicht. Wir haben in den Salzgitteraner Ortskernen E-Ladesäulen, bei uns auf dem Ostfalia-Campus auch. Das hielte ich für übertrieben, genauso wie Ihre Frage nach W-Lan auf dem Turm. Ich glaube, dass sich die Sache mit dem W-Lan etwas nivelliert hat, seit die Menschen einen Handyvertrag mit großem Datenvolumen haben. Das war vor ein paar Jahren noch anders. Was erwartet wird, ist Handyempfang. Hier dürfte es halbwegs gut sein.