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Entdeckungstour
Denkmäler zur jüdischen Kultur in unserer Region

In der jüdischen Geschichte spielt unsere Region eine bedeutende Rolle. Hier war im 18. und 19. Jahrhundert, im Zeitalter der Aufklärung, eines der Zentren der jüdischen Reformbewegung. In der Reihe Merian ist jetzt ein Reiseführer über die jüdische Kultur und Geschichte in der Region Braunschweig-Wolfsburg erschienen. „Wir wollen alte Bauwerke, authentische Orte und wichtige Themen aus der so reichen jüdischen Geschichte unserer Region sichtbarer und bekannter machen“, erzählt mir Dr. Katrin Keßler. Die Architekturhistorikerin ist Mit-Herausgeberin des „Merian guide“ und arbeitet bei der Forschungsstelle für jüdische Architektur in Europa (abgekürzt Bet Tfila) an der TU Braunschweig. Bet Tfila ist ein gemeinsames Projekt der beiden Universitäten Braunschweig und Jerusalem.

Mirko Przystawik

Nicht nur für Touristen gedacht

Viele der Bauten und Orte in der Region, die in dem Reiseführer vorgestellt werden, waren mir bisher unbekannt – oder ich habe sie nicht mit jüdischer Geschichte in Verbindung gebracht. So dürfte es vielen Menschen gehen. „Deshalb kann dieser Reiseführer nicht nur von Touristen genutzt werden, die in unsere Region kommen, sondern auch von Menschen hier vor Ort, die auf Entdeckungstour gehen wollen“, erklärt Katrin Keßler.

Die Initiative für das ungewöhnliche Projekt kam von der Allianz für die Region und Mitarbeiter des TU-Instituts für Baugeschichte und des Braunschweigischen Landesmuseums haben mitgewirkt. Erarbeitet wurde der Guide für das Israel Jacobson Netzwerk für jüdische Kultur und Geschichte. Katrin Keßler: „Das Netzwerk wurde im vergangenen Jahr gegründet, dem Verein gehören Museen, Gedenkstätten, Kommunen und andere öffentliche Institutionen, aber auch Privatpersonen aus der Region an.“ Ziel des Netzwerks sei die Erforschung und Vermittlung der jüdischen Kultur und Geschichte in der Region.

Eine Reformbewegung aus Seesen

Schon gewusst?! Der Namensgeber Israel Jacobson gilt als einer der Begründer der jüdischen Reformbewegung. Er war Bankier und Rabbiner im Braunschweiger Land. 1801 gründete er in Seesen eine Freischule, in die erstmals jüdische und christliche Kinder gemeinsam gingen. Die jüdischen Kinder sollten im Sinne der Gleichberechtigung eine bürgerliche Bildung bekommen, um so andere Berufschancen nutzen zu können.

Auf dem Schulgelände wurde eine Synagoge gebaut, in der Jacobson bauliche und liturgische Reformen verwirklichte. Katrin Keßler nennt Beispiele: So wurden Teile der Liturgie in deutscher Sprache abgehalten, erstmals eine Orgel eingesetzt, eine Art Predigtkanzel errichtet. Diese Reformbewegung strahlte von Seesen auf ganz Deutschland und später in alle Welt aus. Viele jüdische Gemeinden in den USA beispielsweise berufen sich bis heute auf diese Reformbewegung. „Der Name Seesen ist dort gut bekannt“, erzählt Katrin Keßler. Das war mit ein Grund, warum der Merian-Führer zweisprachig auf Deutsch und Englisch erschienen ist.

 

Lessing und Mendelssohn: Nathan der Weise

Anstöße für seine Reformen erhielt Jacobson auch von dem Dichter Gotthold Ephraim Lessing, der ein halbes Jahrhundert zuvor in Wolfenbüttel lebte und arbeitete, und dem jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn. Die beiden hatten sich mehrere Male in Wolfenbüttel getroffen und über die Aufklärung sowie über gleichberechtigte religiöse Toleranz diskutiert. Mendelssohn war das Vorbild für die Figur des Nathan des Weisen in Lessings gleichnamigen Spätwerk.

Der Reiseführer stellt, gegliedert nach den acht Städten und Kreisen der Region, nicht nur bekannte Bauwerke und Orte, sondern auch bisher kaum erschlossene Plätze sowie historische Themen und bekannte jüdische Persönlichkeiten aus der Geschichte vor. Immer wieder wird auch die Verfolgung und die Vernichtung der Juden in der Nazi-Zeit thematisiert. Beispielsweise werden die beiden KZ-Gedenkstätten Salzgitter-Drütte und Braunschweig-Schillstraße vorgestellt.

Vor der Nazizeit gab es in der Region mehrere Synagogen, etwa in Braunschweig, Wolfenbüttel, Peine, Goslar oder Seesen. Sie wurden alle zerstört. Heute existieren in Braunschweig und Wolfsburg wieder jüdische Gemeinden, in der Braunschweiger Innenstadt wurde 2006 im Innenhof des erhalten gebliebenen alten Gemeindehauses eine neue Synagoge gebaut.

Der älteste Friedhof  befindet sich in Goslar

Fast in allen größeren Orten der Region gibt es alte jüdische Friedhöfe. Katrin Keßler: „Der älteste und für mich schönste Friedhof befindet sich in Goslar. Er wurde 1609 angelegt und liegt am Rande der Altstadt. Hier kann man gut die Entwicklung der Grabsteinkunst über Jahrhunderte hinweg sehen.“

 

Eine barocke Synagoge im Landesmuseum

Die Judaica-Sammlung des Braunschweigischen Landesmuseums, die schon vor hundert Jahren entstand, findet heute deutschlandweit Beachtung. Sie ist in einem eigenen Museum im Ägidienviertel untergebracht. Im Blickpunkt steht ein großer Saal, in dem die komplette Inneneinrichtung der ehemaligen barocken Synagoge von Hornburg gezeigt wird. Die Synagoge war 1776 gebaut worden, stand viele Jahre leer, bevor sie 1924 in den Vorläufer des Landesmuseums gebracht wurde. Sie hat die Nazi-Zeit überstanden. „Es ist die älteste vollständig erhaltene Inneneinrichtung einer Synagoge in Deutschland“, fasst Katrin Keßler zusammen. Zur Sammlung des Museums gehören auch viele Dokumente und Ritualobjekte aus der regionalen jüdischen Kulturgeschichte.

Hotel Parkhaus in Bad Harzburg und Samsonschule in Wolfenbüttel

Interessante und erhaltene Bauten mit jüdischer Geschichte, die heute anders genutzt werden, gibt es unter anderem noch in Steinhorst im Kreis Gifhorn (eine ehemalige jüdische Landwirtschaftsschule), im Seesener Ortsteil Groß Rhüden (eine ehemalige, schon früher aufgegebene Synagoge), in Bad Harzburg (das ehemalige Hotel Parkhaus) oder in Wolfenbüttel (die ehemalige Samsonschule).

Da es sich um einen Reiseführer handelt, stellen die Herausgeber auch kurz allgemeine touristische Highlights der Region vor, machen Vorschläge für Ausflüge und geben gastronomische Tipps.