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Stadionfunk
– die Eintracht-Braunschweig Kolumne: „Spitzenreiter, Spitzenreiter, …“

Am Montagabend war der 1. FC Kaiserslautern zu Gast im Eintracht-Stadion. Ein Spiel, zwei Perspektiven: Unsere Regionäre Malte Schumacher und Kay Rohn.

Malte Schumacher: 

 

Am Morgen bin ich noch genervt, dass in der Woche gespielt wird. Um 6.15 Uhr bimmelt der Wecker und um 20.15 Uhr ist erst Anstoß – wie soll denn da Matchday-Stimmung entstehen? Dagegen samstags oder sonntags: Gerade aufgestanden, schon geht’s los …

Selbst die Frühstückslektüre des Sportteils der Braunschweiger Zeitung bringt mich nicht in Wallung. Vielleicht aber ist die Ausgangslage zu klar: Wir ziehen oben an der Spitze einsam unsere Runden, die eigentlichen Verfolger Stuttgart und 95+1 sind im Wortsinne gar keine, sondern beziehen teilweise sogar deftige Klatschen, und der heutige Gegner Kaiserslautern scheint sich endgültig von seiner ruhmreichen Vergangenheit emanzipieren zu wollen. Wir haben 19 Punkte, der FCK hat 6.

Für uns ist es ja die 50-Jahre-Meister-Saison: 1966/67 gelang den Jungs unter Trainer Helmut Johannsen der große Wurf. In der aktuellen Zweitliga-Saison 2016/17 trifft die Eintracht auf immerhin sieben Vereine, die damals mit ihr in der Bundesliga spielten – Kaiserslautern gehört dazu. Das Heimspiel 2:0 gewonnen am 8. Oktober 1966, das Auswärtsspiel 2:0 verloren im März 1967. Na ja, da war ich zwei beziehungsweise acht Monate alt …

 

Ein alter Held wird Turner und Lehrer

Im Job ist heute genug zu tun, ich bin abgelenkt. Das gute Wetter weckt dann aber doch rasch die Lust auf das Flutlicht-Heimspiel. Und ich fange an, vor mich hinzuspinnen: Allein diese lauen goldener Oktober-Bedingungen müssen die Jungs doch motivieren wie nur was.

Unsere Thekenmannschaft, der SCH Lampe Braunschweig, hatte am 11. Oktober bei Nieselregen und 7 Grad seinen Saisonabschluss-Kick auf dem Uni-Gelände – das war grimmig … Aber heute? Das muss doch Domis Wetter sein …

Ich poste in der XING-Eintracht-Gruppe einen gewagten Tipp, den ich dann den ganzen Tag lang jedem auf die Nase binde: Drei Buden Kumbela, insgesamt 4:0 ist mein Tipp. Diese Überzeugung trägt mich dann auch durch den Arbeitstag und um halb sechs bin ich daheim und rätsele, welches Fan-Utensil heute dazu beitragen könnte, dass mein Tipp Realität wird.

Ich wähle das „Refugees welcome“-Trikot, matchworn und unterschrieben von Damir Vrancic am 28. September 2015 gegen Greuther Fürth. In meinen Besitz gelangte ist das gute Stück dank einer Versteigerung zugunsten der Eintracht Braunschweig Stiftung. Spieltag war damals auch ein Montag und unser Aufstiegsheld Damir hat gerade in dieser Woche einen Vertrag bei den Freien Turnern unterschrieben. Fußball genügt ihm künftig auf diesem Niveau, er will vorrangig Mathe und Sport an der TU studieren …

 

Sammeln für Hannes

Auf dem Fahrrad gen Stadion fange ich an, mir den Montag in einen Freitag schönzudenken: Carpe momentum, nutze den Augenblick – morgen ist erst morgen. Im FanWagen, der nun immer gegenüber vom FanHaus steht, haben heute Micha und Gio vom FanRat Dienst.

Dienst heißt heute: Spenden einsammeln für Hannes‘ Familie. Der Anfang Oktober verunglückte 25-jährige Fan des FC Magdeburg ist gerade erst seinen schweren Verletzungen erlegen.

Gestorben ist er wohl, weil er an einem Spieltag in den falschen Zug stieg und dort auf rivalisierende Fans traf. Jeden Fan, der sich mit welchem Verkehrsmittel auch immer schon mal auf die Auswärtsreise gemacht hat, trifft so eine Nachricht wie ein Schlag in die Fresse.

Angesichts des Heim-Derbys am 6. November gegen 95+1 frage ich mich seitdem, ob ich nicht vielleicht einfach zu Hause bleibe. Spaß haben die letzten beiden Derbys in der Bundesliga jedenfalls nicht gemacht, nur die Feierei des Heimsiegs damals wog das wieder auf …

Als ich eintrudele, steckt Bronco gerade 50 Euro in die Spenden-Dose …! Jeder, der vorbeikommt, tut was rein. Klasse! Rest in peace, Hannes.

 

Ein Bier auf Luca!

Oben im Block bei den Fanclub-Jungs gibt’s dann wiederum was zu feiern: Markus ist Vater geworden. Prost auf Luca, seinen Sohn! Die Tipps und Erwartungen liegen hier weit auseinander: Präsi Volker und auch Jungvater Markus bemühen die alte Fanclub-Weisheit: Hauptsache drei Punkte, egal wie! Meine Domi-drei-insgesamt-vier-Geschichte nehmen sie alle so hin …

19.15 Uhr, Aufstellung wie erwartet: Domi und der Kubaner vorne, Cello hinten in der Viererkette – alles klar. Der Gegner kommt ja gleichsam ohne Stürmer, die entweder verletzt oder wegen Dummheit intern gesperrt (Osawe) sind. Dafür bringt er trotz Montagabend und Tabellenende 400 bis 500 Zuschauer mit. Kompliment dafür!

 

Die Eintracht-Feuerwehr macht Druck

Und dann geht’s auch endlich los. Die Stimmung ist prächtig, wir singen gleich mächtig-gewaltig das Spitzenreiter-Lied. Der FCK hatte wohl die Seitenwahl gewonnen und lässt unsere Jungs zuerst auf uns, die Südkurve, spielen. Das tun sie eigentlich lieber in der zweiten Halbzeit, um unsere Power hintenraus als Unterstützung sicher zu haben. Na ja, egal.

In den ersten 15 Minuten erinnert mich unsere Mannschaft an die Performances der Nationalmannschaft gegen Tschechien und Nordirland: intensives Pressing, hohe Laufbereitschaft, Druck ohne Ende auf einen Gegner, der hinten mit einer Fünferkette und davor mit einer Viererkette – ja, was eigentlich? Spielt? Nee, zum Spielen kommen die nicht. Die verhindern einfach nur, wollen schlicht nicht verlieren.

Dann bekommt Omladic zwei Freistöße aus perfekter Entfernung, den ersten wehrt der Torwart noch ab und Mex neben mir unkt: „Mit sowas machste den Torwart stark …!“ Quatschkopp: Denn den nächsten, fünf Minuten später, ballert Nik Omladic rein!

19 Minuten gespielt, 1:0. Die Grundlage für meinen Tipp ist gelegt. Markus holt weiter Bier und von einem Montag ist eigentlich nichts zu spüren, es fühlt sich an wie Freitag.

 

Fußball, du unbekanntes Wesen

Nur wird’s nach dem Tor irgendwie komisch. Die Mannschaft führt, aber macht nicht weiter mit ihrem Feuerwehrspiel. Ende mit Pressing. Als hätte ihnen jemand den Stecker gezogen. Bis zur Halbzeit zieht sich das Spiel wie das Kaugummi, das ich seit Stunden malträtiere. Der Gegner schießt zwar nicht ein einziges Mal auf unser Tor, aber wir reißen auch nichts mehr.

Komisch, wie sowas passieren kann? Das habe ich noch nie verstanden. Wir bauen darauf, dass Torsten in der Halbzeitpause den Burschen klare Kommandos dazu gibt, wie man hier jetzt noch zwei, drei Buden macht. Aber er scheint die richtigen Worte nicht gefunden zu haben, die zweite Halbzeit wird nicht besser. Von Domi oder Onel Hernandez ist vorne nicht viel zu sehen, Torgefahr geht anders. Ein, zwei Chancen für uns, fast nichts nach vorne von Lautern. „Laaaangweilig“ würde Homer Simpson jetzt sagen.

 

Die Götter sind mit uns

Und dennoch kennen gerade die alten Hasen bei uns im Block diese Situationen und es blitzen die Erinnerungen auf an Tage, in denen die Eintracht dank solcher lahmen Spielweisen doch noch Ausgleich oder gar Niederlage einstecken musste. Markus, Namensvetter des frisch gebackenen Papas, schwört bei diesen Gelegenheiten immer Stein und Bein, dass das Eintracht-Stadion an der Hamburger Straße einst auf einem alten Indianer-Friedhof errichtet wurde – kein gutes Omen.

In dieser Saison aber scheinen alle Götter auf unserer Seite zu sein: Schlusspfiff, Sieg. Und das heißt: Spitzenreiter, Spitzenreiter, hey, hey, hey! Fünf Punkte Vorsprung auf Platz 4. Noch Fragen? Die Radfahrt nach Hause durch die laue Oktoberluft versöhnt mich damit, dass mein vermeintlich todsicherer, großartiger 4:0-Tipp nun so gar nicht in Reichweite war …

 

Kay Rohn:

1:0 gewonnen. Diese Aussage wird dem Spiel nicht ganz gerecht. Spieler und Zuschauer waren wohl beide im Trainingslager und haben sich für die nächsten Partien eingeschworen. Die Südkurve im Wechselgesang: „Hallo Gegengerade“ – Antwort der Gegengerade: „Hallo Südkurve“. Dann Bewegungsprogramm für das ganze Stadion: „Steht auf, wenn ihr Löwen seid … steht auf …“! Aufwärmprogramm gelungen.

Den Zuschauern wird es auch nicht leicht gemacht – Dienstagsspiel in Stuttgart, freitags gegen Düsseldorf und jetzt am Montag der Abschluss des Spieltages gegen die „Roten Teufel“. Bemerkenswert, dass der Gästeblock gut gefüllt ist. Das heißt aber auch, dass viele Fans der Lauterer ein oder zwei Tage Urlaub nehmen müssen.

 

Torschütze aus Slowenien

Die Braunschweiger Fans geben Gas, von Beginn an. Und auf dem Feld: Kombinationen, die man nicht alle Tage sieht, Hochgeschwindigkeitsfußball ohne individuelle Fehler. Nik Omladic, Nationalspieler für Slowenien, hat ungeheuer an Selbstvertrauen gewonnen. Er bietet sich an, übernimmt Verantwortung, ist vorne und hinten zu finden. Und er kann Freistöße schießen.

Torsten Lieberknecht hat ihm vor der Saison auf den Weg gegeben, den Ball auch ruhig mal ins Netz zu versenken und das macht er. Freistoß 1 von Omladic kann Julian Pollersbeck im Tor der Lauterer noch parieren, Freistoß 2 in der 18. Minute landet im Netz.

 

Faden gerissen

Fußball ist 30 Prozent Fußball spielen und 70 Prozent Kopf. Was passiert nach zwanzig Minuten? Ken Reichel muss zwei Minuten an der Seitenlinie behandelt werden, Kaiserslautern kann aufrücken und bestimmt das Spielgeschehen. Bei Eintracht ist „der Faden gerissen“ und die Mannschaft steht jetzt viel tiefer in der eigenen Hälfte.

Von außen habe ich das Gefühl, wir machen den Gegner stark. Die Folge ist eine große Chance für Kaiserslautern in der 45. Minute zum Ausgleich. Ein Freistoß, Torentfernung etwa 16 Meter, aber der Schuss landet in der Braunschweiger Mauer.

Mit einem positiven Gefühl aus den ersten 20 Minuten geht es in die Halbzeit. Alle sind zuversichtlich, die Stimmung ist gut. Die zweite Halbzeit geht an die Eintracht. Die Mannschaft erarbeitet sich Chancen. Und das, obwohl Kaiserslautern weiterhin mit einer Fünferkette und davor teilweise mit einer Viererkette agiert.

 

Schwierige Prognosen

Kaiserslautern bleibt insgesamt schwach und kann sich kaum Chancen erarbeiten. Spielfreude, Laufbereitschaft, Positionswechsel, Selbstbewusstsein, das sind Tugenden, die mir zum Spiel unserer Eintracht einfallen.

Die Südkuve drückt es anders aus: „SPITZENREITER, SPITZENREITER, SPITZENREITER, hej, hej, hej“. Und Eintracht spielt wie ein Spitzenreiter. Die individuelle Klasse im Kader ist zu sehen; es formt sich ein Spitzenteam der 2. Bundesliga. Für Torsten Lieberknecht ist der „Aufstieg“ zurzeit verständlicherweise kein Thema. Zu Beginn der letzten Saison hat er gesagt, ab dem 10. Spieltag kann man Aussagen treffen, welche Mannschaften zur Spitze gehören.

Hannover und Stuttgart sind erwartungsgemäß vorne zu finden. Eintracht und Heidenheim ernten die Früchte einer kontinuierlichen Weiterentwicklung und sind zurzeit auf den Plätzen 1 und 2. Union Berlin hat sich auf Platz 5 hingearbeitet und der Aufsteiger Würzburger Kickers ist auf dem Weg, ähnlich wie Eintracht oder Heidenheim, kontinuierlich zuzulegen. Meine Prognose: Wir haben eine Mannschaft, die zum Schluss unter den ersten drei der Tabelle sein wird.

Mir ist aufgefallen: Der Kader 2016/17 ist super.