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Stadionfunk – Eintracht Braunschweig-Kolumne
Patsche ist ja auch noch da

Am Samstag war der SV Darmstadt 98 zu Gast im Eintracht-Stadion. Ein Spiel, zwei Perspektiven. Unsere Regionäre Kay Rohn und Malte Schumacher berichten.

Malte Schumacher:

Wie der aufmerksame Leser dieser Serie längst weiß, verpasse ich in dieser Saison so viele Heimspiele wie schon lange nicht mehr. Aber es wird auch endlich Zeit dafür, dass DFL und DFB mich und meine Freizeit-Pläne in ihre Spieltagsansetzungen mit einbeziehen. Das entspannte Indoor-Musikfestival „Rolling Stone Weekender“ in der Ferienanlage „Weissenhäuser Strand“ an der Ostsee besuche ich gemeinsam mit Freunden seit 2014 immer am ersten November-Wochenende – das hätten die Planer also berücksichtigen können. Schließlich haben wir im letzten Jahr hier auch schon das Heim-Derby gegen die Roten miterlebt – nachzulesen im Stadionfunk unter dem Titel „Großmutter aller Derbys“. Genossen habe ich dort in der Vergangenheit Live-Erlebnisse von und mit Bob Mould, Thurston Moore, The Notwist und vielen anderen großartigen Musikern. Besonders reizvoll an der erneuten Teilnahme auch in 2017 sind die Konzerte von Gang of Four und meinen „alten Helden“ Madness.

 

Ab an die Ostsee

Da sich im Moment so einiges gegen die Eintracht verschworen hat, bin ich nicht sonderlich enttäuscht, als ich am Freitag Vormittag mit TWANG-Gitarrist Clemens in Richtung Ostsee aufbreche. Neben Domi, Bole, Baffo und Totte Nyman ist nun auch noch Quirin Moll länger verletzt – das ist eine halbe Stammelf. Bereits am Mittwoch hatte der Kicker mehrere Finger in die offenen Wunden der Eintracht-Fans gelegt: Unter der Überschrift „Braunschweig vor den Wochen der Wahrheit“ hieß es da: „Eintracht Braunschweig hinkt derzeit dem eigenen Anspruch hinterher und steht im Niemandsland des Tableaus.“ Kann man wohl so sagen. Danach dann der Hinrunden-Restprogramm-Leberhaken: „Es wartet nun das Duell gegen den Tabellennachbarn Darmstadt, ehe es auf die Alm nach Bielefeld geht, wo unliebsame Erinnerungen an das letzte Gastspiel wach werden: Im Mai setzte es bei der Arminia eine 0:6-Klatsche.

Mit drei Heimspielen gegen die aktuelle Ligaspitze (erst Nürnberg, dann Kiel und Düsseldorf) endet die Hinrunde.  Zwischendurch muss die Eintracht übrigens auch noch nach Ingolstadt. Clemens und ich, normalerweise bei Heimspielen Nachbarn in Block 6, sind uns einig: Noch vor Weihnachten entscheidet sich, ob die Eintracht nochmal „oben anklopfen kann“, oder ob das eine Saison der Mittelmäßigkeit wird.

 

Lange Nacht – kurze Nacht

Der Freitagabend vergeht dann wie im Flug: Die niederländische Band Birth of Joy meistert den anstrengenden Job als Anheizer auf der Zelt-Hauptbühne ab 17.15 Uhr bravourös, und das Jever perlt dazu. Gang of Four sind später anstrengender und nichtssagender als erhofft – egal, über Fußball reden wir kaum. Irgendwann zwischendurch erhasche ich einen Eindruck des Auftritts von Jochen Distelmeyer, der im „Baltic Saal“ Coverversionen spielt und just in meinem Moment einen ziemlich schlaffen Altherren-Witz erzählt. Der hat hier seine Fan-Gemeinde, klar – Hamburg ist gerade mal 90 Minuten Autofahrt entfernt. Ich schaffe es tatsächlich, vor 2.00 Uhr ins Appartementbett zu sinken – Clemens ist noch etwas länger unterwegs.

 

Matchday-Rituale

Das wird mir am nächsten Morgen klar, als ich wie immer am Matchday voller Elan und mit leichter Anspannung  früh in den Tag starte und bereits um 8.00 Uhr die erste Kanne Kaffee koche. Ich hänge Schal und Mütze auf den Balkon und mache ein erstes Foto. Clemens grummelt: „Leg’ dich wieder hin, du Spacko …“ Frühstück gibt’s ab 10.00 Uhr bei TWANG-Sänger Henrik, Jan und Maren im Appartement: Viel Rührei für alle dient als gute Grundlage für Festival-Tag Nummer zwei … Henrik verkündet seinen Tipp: „1:1, ist doch klar.“ Gegen 12.30 Uhr sind wir wie im Vorjahr mit Hermann und Jörg in der hiesigen Sportsbar „Heimspiel“ verabredet – bleibt mir also noch Zeit genug dafür, die übliche vorbereitende Radtour zum Heimspiel durch einen kontemplativen Strandspaziergang zu ersetzen. Dabei begegnet mir tatsächlich eine Gruppe Strandreiter – so ein kitschig-schönes Matchday-Erlebnis ist auch eher selten.

Rockstars und Fußball

Auf der Seebrücke treffe ich dann schon wieder den Herrn Distelmeyer und ich bin versucht, ihn anzuquatschen, um aus ihm einen Spieltipp herauszuholen. Aber die Phase habe ich lange hinter mir gelassen – Rockstars behelligen, das war in den 1980ern mal angesagt. Anders dann aber etwas später bei den drei Herren von St. Beaufort, die am Strand für eine Filmaufnahme zwei Stücke performen. Die wirken sehr nahbar, ich berichte ihnen kurz von meiner Eintracht-Leidenschaft – und dann bitte ich sie einfach um ein Foto mit Fanclub-Schal. „Braunschweiger Turn- und Sportverein“ liest der Ami in der Band lautmalerisch vor und alle drei nicken: „Klar, mach‘ mal dein Bild – und good luck for the match.“ Neben dem Ami sind da noch ein Deutscher am Gesang und ein Chilene am Kontrabass aktiv, deshalb der Sprachen-Mix.

Malte Schumacher

Sky-Konferenz-Frieden

Natürlich bin ich viel zu früh in der Sportsbar – ich will versuchen, den Wirt davon zu überzeugen, dass er uns neunzig Eintracht-Minuten liefert auf Sky. Denkste: Erstens hat er die strikte Anweisung seines Chefs, immer die Sky-Konferenz zu zeigen, um den Festival-Frieden zu wahren. Und zweitens aber merke ich, dass wir damit ganz gut bedient sind, denn ob der Nähe zu Hamburg sind hier viele Totenkopf-Paulianer unterwegs. Die spielen heute in Berlin gegen Union. Nach dem bisherigen Saisonverlauf ist dies auch das Spitzenspiel des Tages – und eben nicht die Begegnung zwischen dem Bundesliga-Relegationsverlierer Eintracht und dem Bundesligaabsteiger Darmstadt.

 

Pauli-Übermacht

Die Aufstellung ist nicht sonderlich überraschend, den Innenverteidiger neben Gustav muss Breitkreuz geben, Samson die Einzel-Sechs, und Manni die Sturmspitze. Manni, Manni – unter der Woche war bei Facebook ein T-Shirt aufgetaucht mit dem Statement: „Wir saufen weiter, bis Manni trifft“ – das könnte lebensgefährlich werden. Clemens, Jörg und Hermann trudeln auch bald ein – ansonsten sind wir umgeben von Paulianern. Einer davon ist der Kettcar-Sänger Matthias Wiebusch. Die werden später am Abend ein Geheimkonzert unter dem Tarnnamen The Rural Juror geben.

 

Sky-Konferenz-Folter

Schnell wird uns klar, dass das hier keine vergnügliche Fernsehaktion wird. Wenn dir die anderen Spiele total egal sind, da du eigentlich nur Bilder aus deinem Stadion sehen willst, ist der Sky-Konferenz-Modus die Hölle. Gleichwohl: Wir sind heute die Ersten, die jubeln dürfen und den herrlichen Zwischenruf „Tor in Braunschweig“ positiv besetzt erleben: Eigentor Darmstadt nach Khelifi-Ecke in der 8. Minute. Yes, durchatmen. Nur wenig später schießt Khelifi an den Pfosten – da geht heute was im Eintracht-Stadion! Der Konferenz-Regisseur aber scheint Spaß daran zu haben, sowohl die Paulianer als auch uns leiden zu lassen. Höchsten Live-Bildanteil hat das Spiel Regensburg gegen Fürth. Für uns alle eher ein Klassiker aus der Rubrik Not gegen Elend.

 

Live-Ticker

Pausenlos aktualisiere ich deshalb den Kicker-Live-Ticker auf meinem Smartphone und ich lese, dass Biada in der 27. Minute für ein böses Foul die rote Karte hätte sehen müssen. Kurz danach wird’s dann bitter für uns: Der Ausgleich fällt, Maxi Sauer sieht ziemlich alt aus dabei. In Regensburg steht’s mittlerweile auch 1:1, bei Union gegen Pauli tut sich nichts. Vor einem Jahr hatten wir hier ein 2:2 nach 2:0-Führung gegen die Roten, und im Moment steht’s also auch mal wieder unentschieden. In der Halbzeitpause erst bemerke ich, dass um uns herum längst fleißg gebowlt, geflippert und allerlei anderem lautstarken Amüsement nachgegangen wird.

 

Hilft die Mütze?

Torsten nimmt Biada runter, Canbaz kommt zur zweiten Halbzeit, der sonst in der zweiten Mannschaft spielt. In der 52. Minute dann wieder der Zwischenruf „Tor in Braunschweig“. Wir haben gerade das 2:2 in Regensburg live gesehen – diesmal allerdings bedeutet das, dass wir 1:2 hinten liegen. Wir vier werfen uns lange Blicke zu. Die Paulianer um uns herum lassen uns damit Gott sei Dank alleine und gießen nicht noch Öl in unser Frustfeuer. Clemens zieht sich meine blau-gelbe Mütze tief über die Ohren und meint: „So geht vielleicht noch was.“

 

Patsche stöpselt ihn rein

Die Zeit verrinnt, das Regensburg-Spiel interessiert uns alle nicht die Bohne, und ich sehe im Smartphone, dass Torsten Patsche Schönfeld einwechselt. Die Nachspielzeit läuft, und auch die Paulianer bekommen noch ihre kalte Dusche: Union schießt in der 92. Minute das 1:0. Plötzlich aber schaltet der Konferenz-Regisseur aus dem Union-Jubel nach Braunschweig, wo wir eine blau-gelbe Spielertraube sehen. Die Auflösung in der Wiederholung: Patsche hat tatsächlich das 2:2 reingestöpselt. Manni hatte geschossen, der Darmstädter Torwart abgeklatscht und Patsche den Ball dann reingestochert.

 

Madness, we call it Madness

Yes – der Abend ist gerettet! Ja klar, wieder nur ein Punkt, wieder nur unentschieden zu Hause – aber nach dem Rückstand ist das doch okay. Wir haben nun acht Unentschieden in der Bilanz und wir sind seit vier Spielen ungeschlagen. Ich gehe jetzt nochmal ein Stündchen ins Appartement etwas ruhen. Heute stehen ab 23.30 Uhr Madness auf der Zelt-Hauptbühne und ich freue mich jetzt schon auf Songs wie „Nightboat to Cairo“ und insbesondere „Madness, we call it Madness“.

Kay-Uwe Rohn:

 

Von Löwen und Lilien

Diese Überschrift ist meine erste Assoziation bei diesem Aufeinandertreffen der zwei Traditionsmannschaften. 1988 habe ich mit an einem Buch für die Stadt Braunschweig gearbeitet. Ein großformatiger Bildband mit kleinen interessanten Textbeiträgen. Die Autorin Marianne Winter wies in ihrem Text daraufhin, dass die Spargelpflanze aus der Familie der Lilien komme. Was jetzt aber nicht den Schluss zulässt, dass die „Löwen“ und die „Lilien“ aus einer Familie kommen und sie sich friedlich verhalten. Nein, die Punkte wollten beide Mannschaften.

Co-Schreiber Herr Schumacher postet Festivalfotos

Der arme Malte ist wieder auf digitale Medien angewiesen. Ich hoffe, er hatte Empfang und hat den Liveticker auch bis zum Schluss angelassen. Nach dem Spiel hatte ich in einem Whatsapp-Chat schon einen voreiligen Nörgler, der sich über die Niederlage beschwerte. Bin gespannt auf die Ostseenachrichten.

 

15 Minuten Feuerwerk

Es ist schon fast Tradition, zu Hause gehören die ersten Minuten der Eintracht. So auch an diesem Nachmittag. Während die Darmstädter Lilienfans noch ihre Bengalos zündeten, zündeten die Brauschweiger ihr eigenes Feuerwerk. Angriff auf Angriff rollte auf das Darmstädter Tor und es schien nur eine Frage der Zeit, wann ein Tor fallen würde. In der 8. Minute war es so weit, Ecke Khelifi, „Manni“ schraubt sich hoch und dann ist der Ball irgendwie im Tor. „Manni“ hat sein Tor gemacht, dachten alle und alle hätten es ihm gegönnt. Doch die Stadionansage verkündete ein Eigentor der Darmstädter. Alles war gut zu diesem Zeitpunkt. Bis zur 27. Minute gab es weiter Chancen für die Eintracht, Khelifi trifft den Pfosten. Doch in der 27. Minute macht Biada eine sehr unglückliche Aktion, die das weitere Spiel bestimmen sollte.

 

Grobes Foul in der 27. Minute

Natürlich sollen im Mittelfeld Konter verhindert werden – auch auf Kosten eines Fouls. Der Darmstädter Sirigu war auf der rechten Seite frei und drohte mit einer gefährlichen Angriffsaktion. Julius Biada stürmt von der Seite heran, hat keine Chance, den Ball zu spielen und trifft den Gegner in vollem Lauf. Ein Foul, für das ich in dieser Form kein Verständnis habe. Sirigu musste anschließend ausgewechselt werde. Ich hoffe, er kann seinem Beruf weiter nachgehen. In Überzahl, Darmstadt hat nicht sofort gewechselt, erzielen die Darmstädter Lilien das 1:1. Ein Weltmeister-Diagonalpass von Großkreuz geht vorweg und Mehlem setzt den Ball mit einem gezielten Schuss ins linke untere Eck. Unsere Mannschaft ist regelrecht geschockt.

 

„Manni“

Suleiman Abdullahi macht seinen Weg. In diesem Spiel ist er zumindest zweimal wesentlicher Vorbereiter. Sein Einsatz ist vorbildlich und das 4-1-4-1-System kann er in der Spitze sehr gut ausfüllen. Man hat das Gefühl, alle im Stadion wünschen ihm das Tor. „Manni“ muss einfach seinen Weg weitergehen und alle sollten an ihn glauben.

 

1:2

Darmstadt kommt gut in die zweite Halbzeit und liegt ab der 52. Minute vorn. So schnell ist das Spiel gedreht, die Eintracht versucht sich zu sortieren kommt aber lange Zeit nicht mehr gefährlich vor das Darmstädter Tor. Die Spielstatistik sagt, 16 Torschüsse für Eintracht, 6 für Darmstadt. 13 zu 3 Flanken für Braunschweig.

 

Der Auftritt von „Patsche“

Einst soll er bei Rot-Weiß Oberhausen als Stürmer angefangen haben. Das kommt ihm heute zugute. Von Gerd Müller stammt der Ausspruch: „Ein Fußballspiel ist gar nicht leicht, weil es nur schwer zum Torschuß reicht.“ Vier Minuten Nachspielzeit sind angezeigt. Patrick Schönfeld, genannt Patsche, ist für Steve Breitkreuz seit der 88. Minute in der Mannschaft; Offensivkraft für Defensivmann. Auf der rechten Seite setzt „Manni“ nach, erkämpft sich den Ball und kann zumindest scharf auf den Torwart schießen. Der lässt den Ball abprallen und ähnlich wie weiland Gerd Müller ist Patrick Schönfeld zur rechten Zeit am rechten Ort und drückt den Ball über die Linie. „Patsche“ rennt jubelnd zur Eckfahne, die Südkurve rast und der Trainer kommt dazu, Gegenstände, die im Weg sind, werden zur Seite geschafft und die Mannschaft feiert sich, als wenn es drei Punkte für das Unentschieden gibt.

Mir ist aufgefallen: ein hässliches Foul vom Löwen an den Lilien.