Hammer und Meißel sind die wichtigsten Werkzeuge in der Ausbildung von Helena Reppin. Wie man damit historische Fassaden restauriert oder aus einem einfachen Steinquader kunstvolle Plastiken fertigt, lernt sie in der Steinmetzschule Königslutter. Wir besuchten sie 2017 vor Ort. Die Ausbildung hat sich seitdem nicht nennenswert verändert.
Eine steinharte Ausbildung
- Die Steinmetzschule Königslutter
Steinmetz. Das Wort klingt so, als wäre es schon immer da gewesen. In Stein gemeißelt sozusagen. Und so ähnlich ist es ja auch: Heute mag es IT-Kaufleute, Verwaltungsangestellte und Kraftfahrer geben. Steinmetze hingegen gibt es schon eine Ewigkeit.
In der Domstadt Königslutter werden sie seit gut 75 Jahren ausgebildet, dort steht die einzige Steinmetzschule Nord- und Mitteldeutschlands. Nähert man sich ihrem schönen und großzügigen Außengelände, ist schon von weitem ein emsiges Sägen, Hämmern und Fräsen zu hören. Ein knappes Dutzend junger Männer arbeitet in staubiger Arbeitskleidung an jeweils einem Werkstück, jeder konzentriert und mit Eifer am Werk. Hier entstehen Figuren oder Gedenksteine aus Sandstein und Kalkstein.
Die Ausbildung hier hat einen guten Ruf in ganz Deutschland
„Die arbeiten gerade an ihren Gesellenstücken“, sagt Helena Reppin. Die große 24-jährige mit den dunkelgrünen Augen und langen Haaren ist eine der wenigen jungen Frauen an der Steinmetzschule, sie selbst hat ihre Gesellenprüfung schon hinter sich.
Helena kommt eigentlich aus Lübeck, daheim arbeitet sie im Familienbetrieb, den schon der Großvater gründete. Nach einer Maurer- und Steinmetzlehre macht sie hier nun die Meisterausbildung.
Der Weg nach Königslutter ist weit für die meisten Auszubildenden. „Ich und viele andere mieten sich hier ein Zimmer für die Unterrichtswochen“, sagt sie. Die Schule in Niedersachsen ist eine der ganz wenigen Möglichkeiten zur Ausbildung, bundesweit gibt es nur drei Steinmetzschulen. „Und unsere hat einen recht guten Ruf“, sagt Lehrer Achim Brinke lächelnd, groß, dunkle Haare und Dreitagebart. Auch Betriebe aus Hessen oder Berlin schicken ihre Auszubildenden nach Königslutter.
Das Meister Yoda-Relief
Während draußen gemeißelt und gehämmert wird, ähnelt drinnen der Unterricht oft dem einer klassischen Schule. Es gibt Computerräume, Tafeln und einen Hausmeister, der auch einen kleinen Kiosk betreibt. Nur die Fächer sind neben Deutsch und Mathematik natürlich noch andere: Auf dem Stundenplan stehen zum Beispiel Denkmalpflege, Stilkunde und Restaurierung. „Am Ende des zweiten Lehrjahres gestalten die Schüler ein Relief“, sagt Brinke. Das ist eine Darstellung, die sich von ihrem materiellen Hintergrund plastisch abhebt, also mit Geschick und Können herausgearbeitet ist.
So wie Meister Yoda. Aus einem etwa handflächengroßen, quadratischen Tonstück ist mit viel Liebe zum Detail der kleine Lehrmeister aus der „Star Wars“-Reihe herausgearbeitet. „Super, oder?“, fragt Helena anerkennend, „ein Meister Yoda-Relief.“ Wir sind ihr ins so genannte Labor der Steinmetzschule gefolgt. Hier stehen Mikroskope auf den granitenen Tischplatten, dazwischen liegen höchst unterschiedliche Gipsmodelle und andere, fertige Tonreliefs – darunter griechisch anmutende Säulensockel und mittelalterliche Wappen.
„Die Mikroskope“, sagt Helena, „nutzen wir zur Materialkunde.“ Sie erklärt, dass die Bearbeitung von Granit etwa dreimal zeitaufwändiger ist als die von Kalkstein. Zwischendurch muss sie lauter sprechen, als ein Mitschüler einen elektrischen Meißel an sein Werkstück ansetzt. Wie ein winziger Presslufthammer setzt das Gerät kleinen Unebenheiten an der Oberfläche zu.
„Ich habe großen Respekt vor den Leistungen der Vergangenheit“
Die wichtigsten Werkzeuge für die Gestaltung eines Tonreliefs sind Modellierhölzer, Modellierschlingen, Spachtel – „und natürlich Meißel und Knüpfel“, sagt Helena und nimmt beides in die Hand. Knüpfel sind zylinderförmige Holzhämmer. Sie werden zum Antreiben der Meißel in Ton oder weichen Gesteinen wie manchen Sandsteinarten benutzt. Ihrer eigenen weißen Gipsplastik, einer abstrakten, sehr harmonisch geschwungenen Menschenfigur, verleiht sie nun den Feinschliff. Ganz vorsichtig bewegt sie mit leichten Schlägen den Meißel, den sie fest in der linken Hand hält.
„Es ist eine tolle Herausforderung, einen gewissen Kraftaufwand zum Bearbeiten von Stein einzusetzen“, sagt Helena in einer Pause. Auf der anderen Seite muss sie auch viel Feingefühl walten lassen, weil ein zu kräftiger Schlag auch zu viel Stein wegmeißeln kann und dann alles verloren ist.
„Es motiviert mich total, alleine oder mit Kunden ein Projekt zu entwickeln“, sagt Helena. „Das Beste an der Steinmetz-Ausbildung ist aber, wirklich etwas mit den eigenen Händen zu erschaffen. Etwas, das über Jahre zu sehen ist.“ Gerade wenn man aus eigener Erfahrung wisse, wie mühselig und herausfordernd die Arbeit eines Steinmetzes sein kann, habe man großen Respekt vor den Leistungen in der Vergangenheit. Mittelalterliche Kathedralen oder antike Statuen, „das ist schon extrem beeindruckend“, sagt sie. „Wenn ich durch die Stadt gehe, sehe ich das nochmal mit anderen Augen.“
1000 Stunden Arbeit am Kreuzrippengewölbe
So weit braucht sie aber gar nicht zu gehen. Auf dem Außengelände der Steinmetzschule, auf einer grünen Wiese, steht ein echtes Kreuzrippengewölbe, wie es in gotischen Kirchen unter der Decke zu bewundern ist. Seine Bögen an den vier Seiten sind etwa vier Meter hoch. Es ist windig geworden, hier treffen wir Achim Brinke wieder. „Allein daran haben wir in den letzten sieben Jahren 1000 Stunden gearbeitet“, sagt er, „und alles freiwillig.“ Die Schüler hätten selbst großes Interesse und viel Freude, daran zu arbeiten: „Die wollen natürlich auch etwas hinterlassen.“
„Wenn wir damit im kommenden Sommer fertig sind, ist das schon ein kleiner Ritterschlag für uns“, findet Brinke. Denn ein vergleichbares Projekt habe keine andere Steinmetzschule zu bieten.
Das Geschick der Schüler aus Königslutter ist mittlerweile weithin bekannt: Viele Meisterstücke wurden bereits als Auftragsarbeiten in der Dresdner Frauenkirche verbaut, oder im Reichstag und im Ulmer Münster. Absolventen der Steinmetzschule arbeiteten sogar schon in der heiligsten aller Kirchen, der Grabeskirche in Jerusalem.
„Miss Handwerk 2017“
Helenas Ziel ist weniger glamourös, sie freut sich nach der Meisterausbildung einfach auf eine erfüllende Arbeit im heimischen Steinmetzbetrieb. Ins Rampenlicht hat sie sich und die Steinmetzschule allerdings bereits gerückt: Im Frühjahr wurde die hübsche Lübeckerin in München zur „Miss Handwerk 2017“ gewählt. „Schön, dass ich damit Werbung für den Steinmetzberuf machen konnte“, sagt sie. Dann verabschiedet sie sich und geht zurück in den Klassenraum.