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Wundermittel Wasserstoff?
Spannende Forschung und Anwendung in der Region

Wasserstoff ist in aller Munde, er wird in Verbindung gebracht mit allen Arten von Mobilität, neuerdings sogar als Energieträger für die Schwerindustrie.

Für unsere Region ist die Versorgung mit zukunftsfähiger Energie von großer Bedeutung. Daher findet hier extensive Wasserstoff-Forschung und eine enorme Kompetenzbündelung statt. Industrie-Pioniere wie der Zugbauer Alstom oder die Salzgitter AG bringen Wasserstoff bereits zur Anwendung.

Dicke Luft in den Städten, zu viel heiße Luft in der Atmosphäre: Dass fossile Energieträger ausgedient haben, ist nicht mehr umstritten. Die Frage ist nur noch: Wann? Und: Was kommt danach?
Während sich im Individualverkehr die Elektrifizierung über Batterie abzuzeichnen scheint, könnte für andere Mobilitätstypen und die Industrie der Wasserstoff als Energielieferant die Zukunftslösung sein.

Steigt künftig aus den Schornsteinen der Stahlindustrie also nur noch Wasserdampf in den Himmel? Für Thomas Ahlswede-Brech ist das zwar noch ein wenig Zukunftsmusik, doch diese wird immer lauter. „Wasserstoff hat ein enormes Potenzial zur Dekarbonisierung der Industrie“, sagt der Mobilitätsexperte von der Allianz für die Region. Eine echte Alternative sieht er nicht: „Es gibt die Klimaschutzvorgaben der EU, die Bundesrepublik will bis 2045 klimaneutral sein. Dafür müssen wir heute die Weichen stellen.“

In der Pole Position: Salzgitter

Genau das hat die Salzgitter AG schon vor Jahren getan. Mit ihrem Transformationsprojekt „SALCOS“ („Salzgitter Low CO2-Steelmaking“) hat Deutschlands zweitgrößter Stahlhersteller 2015 begonnen, die Stahlherstellung umzubauen und damit eine Führungsrolle in diesem großen und wichtigen Industriebereich übernommen.
Einige Produktionsprozesse in der Stahlveredelung nutzen schon heute „grünen“ Wasserstoff. Denn das ist das entscheidende: Nur, wenn Wasserstoff mithilfe regenerativer Energien gewonnen werden kann, macht er auch Sinn. Nur dann ist er klimaneutral.

Um das sicherzustellen, hat die Salzgitter AG gemeinsam mit der Avacon Natur GmbH sieben Windenergieanlagen auf dem Konzerngelände in Salzgitter errichtet. Der damit erzeugte Ökostrom wird genutzt, um grünen Wasserstoff herzustellen. Das Herzstück der Umstellung ist allerdings die so genannte Direktreduktionsanlage. In Direktreduktionsanlagen kann Wasserstoff den bisher zur Stahlherstellung benötigten Kohlenstoff komplett ersetzen und die CO2-Emissionen damit um über 95 % senken.

Die Grafik zeigt den Prozess der Stahlproduktion mit grünem Wasserstoff. Salzgitter AG
Die Grafik zeigt den Prozess der Stahlproduktion mit grünem Wasserstoff.

„Die Demonstrationsanlage geht nun in den Betrieb über“, sagt Stefan Mecke. Er ist Referent für Umweltschutz- und Energiepolitik der Salzgitter AG und muss derzeit häufig erklären, wie genau dieser Prozess funktioniert: „Wasserstoff wird durch die altbekannte Elektrolyse erzeugt. Das ist eine chemische Reaktion, wobei Wasser durch Strom in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff gespalten wird. Bei der Direktreduktion hilft Wasserstoff, Eisenerz zu reduzieren: Der Wasserstoff reagiert mit dem Sauerstoff im Eisenerz (Eisenoxid) und wandelt dieses in Eisenschwamm, also fast reines Eisen, um.“
Statt CO2 entsteht bei dieser Technologie nur Wasserdampf.

„Um mit grünem Wasserstoff wettbewerbsfähig Stahl produzieren zu können, müssen die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen angepasst werden.“

Dr. Stefan Mecke, Senior Referent für Umweltschutz-/ Energiepolitik bei der Salzgitter AG

Die Fantastischen Fünf
Top-Unternehmen aus Salzgitter

Was ganz einfach klingt, ist bisher allerdings relativ aufwändig und daher teuer. Und das ist bislang das größte Problem bei der Transformation. „Um mit grünem Wasserstoff wettbewerbsfähig Stahl produzieren zu können, müssen die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen angepasst werden“, sagt Stefan Mecke. „Ohne öffentliche Förderung wird der Transformationsprozess der Industrie nicht gelingen.“

Oliver Fuchs vom Niedersächsischen Landesamt für regionale Entwicklung sieht den Ausbau ebenfalls als wichtigen Punkt an. „Jetzt geht es darum, Wasserstoff in großen Maßstäben wirtschaftlich sinnvoll anwenden zu können“, sagt er. Zwar sei beim Transport von Wasserstoff noch die ein oder andere technische Hürde zu überwinden, aber bereits vorhandene Gas-Pipelines stellen eine absolut nutzbare Infrastruktur dar. Denn die Technologie an sich sei ja schon alt: "Elektrolyse wird seit über hundert Jahren praktiziert." 

Thomas Ahlswede-Brech versteht die Situation sehr gut und ordnet ein: „Jede Technologie ist am Anfang erstmal teuer und benötigt einen Anschub, man denke nur an die E-Autos noch bis vor fünf oder sieben Jahren“, erinnert er. „Da müssen wir eben einen etwas längeren Atem haben.“

„Jede Technologie ist am Anfang erstmal teuer.“

Thomas Ahlswede-Brech, Mobilitätsexperte der Allianz für die Region

Wandel mit Wasserstoff: Die Fabriken der Zukunft

Um die Technologie möglichst schnell in breite Anwendungsbereiche zu bringen, haben sich verschiedene Partner in der Region zum Wasserstoff Campus zusammengeschlossen. Dazu gehören unter anderem die Salzgitter AG und Bosch, aber auch die Stadt Salzgitter. Der wichtigste wissenschaftliche Partner ist das Fraunhofer Institut für Schicht- und Oberflächentechnik, kurz Fraunhofer IST. 

Abteilungsleiterin Prof. Sabrina Zellmer ist in mehreren der Projekte engagiert, etwa bei der Fabriktransformation. „Wir erforschen hier in digitalen Modellen die CO­­2-neutrale Energieversorgung industrieller Fabriken durch die Nutzung von H2-Technologien", sagt Zellmer. In diesem Zusammenhang verwirklicht die Bosch Elektronik GmbH auf ihrem Betriebsgelände eine Wasserstoff-Infrastruktur, wo das Betriebsverhalten in „real Life" beobachtet werden kann.

Video: Zu Besuch im Wasserstoff-Campus Salzgitter

Wagen eins bis zwei: Wasserstoff

In die Spur gebracht und vollendet hat das Thema Wasserstoff die Firma Alstom, ebenfalls aus Salzgitter. Der Schienenfahrzeughersteller konstruierte den ersten komplett wasserstoffbetriebenen Zug der Welt und stellte ihn 2018 in Betrieb.
Die Energie bekommt der Motor hier durch eine Brennstoffzelle. Der Wasserstoff wurde zwar durch den Einsatz von Erdgas gewonnen, ist also nicht „grün“, aber dennoch deutlich klimaschonender.
 
Auf der Strecke Buxtehude-Cuxhaven hat der CO2-neutrale Zug nun die Diesellok verdrängt. Auch die Verbindung zwischen Braunschweig und Herzberg im Südharz könnte bald durch den „Coradia iLint“ bedient werden. Im September 2022 fuhr der Zug 1175 Kilometer ohne Nachfüllen des Wasserstoff-Tanks. 

Die Fahrgäste fühlen sich wohl: Kein Diesel-Ruß und Feinstaub, sehr viel leiser – und deutlich eleganter. Wasserstoffzüge könnten vor allem dort zum Einsatz kommen, wo bisher Dieselloks auf weniger befahrenen Regionalstrecken verkehren und sich die Elektrifizierung nicht rechnet.
Dass der iLint nicht nur für ein Flächenland wie Niedersachsen von Interesse ist, zeigen die Anfragen aus anderen Bundesländern, europäischen Nachbarstaaten und aus Nordamerika.  

„Einmal volltanken, bitte!“ – Minister an der Wasserstofftankstelle

Der Schlauch sitzt fest am Tankstutzen des Autos, der Wasserstoff fließt fast lautlos in den Tank. Bernd Althusmann, der ehemalige niedersächsische Minister für Wirtschaft und Verkehr, ist begeistert. „Ein gutes Tankstellennetz ist von zentraler Bedeutung für die straßengebundene Mobilität“, sagt er, „auch bei Wasserstoff“.

Zusammen mit dem damaligen Braunschweiger Oberbürgermeister Ulrich Markurth besuchte er die Shell-Tankstelle an der Hamburger Straße am Stadion, die schon seit 2002 auch eine Wasserstoff-Zapfsäule beherbergt - wenn in diesem Zusammenhang von einer „Zapfsäule“ noch die Rede sein kann.

Ein Mann mit Maske und Jackett betankt ein Auto. Max Jackwerth
Niedersachsens Wirtschafts- und Verkehrsminister Althusmann betankt ein Auto mit Wasserstoff an der Shell-Tankstelle Hamburger Straße in Braunschweig.

Die H2 Mobility, an der auch Shell und Daimler als Gesellschafter beteiligt sind, ist verantwortlich für den flächendeckenden Aufbau von Wasserstoff-Stationen in Deutschland. Wagen mit Brennstoffantrieb erreichen vergleichbare Geschwindigkeiten und Reichweiten wie konventionelle Autos. Fahrer merken dabei kaum einen Unterschied: Für 500 bis 700 Kilometer Reichweite tanken H2-Autos nur drei bis fünf Minuten.  

„Wasserstoff-Anwendungen finden nicht nur in Laboren statt. Wir haben die Wertschöpfungskette hier vor Ort!“

Ulrich Markurth, Braunschweigs Oberbürgermeister

Minister Althusmann und Nikolas Iwan, Geschäftsführer der H2 Mobility GmbH, auf dem „Blauen Sofa". Max Jackwerth
Minister Althusmann und Nikolas Iwan, Geschäftsführer der H2 Mobility GmbH, auf dem „Blauen Sofa".