Das Gewerkschaftshaus in der Siegfried Ehlers Straße in Wolfsburg. Marike Bebnowski

Faire Arbeitsbedingungen für alle erreichen:
Die IG Metall Wolfsburg gestaltet zusammen mit den Beschäftigten

Faire Arbeitsbedingungen brauchen alle. Selbstverständlich war das bislang nicht: Entwicklungsdienstleister, die für Automobilbauer Forschungs- und Entwicklungsaufgaben von Software oder Fahrzeugkomponenten übernehmen, haben in anderen Regionen Deutschlands nur selten Betriebsräte oder Tarifverträge.

Das Team der Wolfsburger IG Metall unter der Leitung von Vize-Chefin Ricarda Bier hat in kurzer Zeit schon viel erreicht; innerhalb von zwei Jahren haben nahezu alle Betriebe in der Region Wolfsburg ein Betriebsratsgremium. Junge Ingenieure und IT-Fachkräfte lernen so in Wolfsburg häufig zum ersten Mal die Vorzüge von Mitbestimmung im Betrieb kennen – und zu schätzen.

Entwicklungsdienstleister rüsten sich für die digitale Zukunft

Die Gründe für den Erfolg der IG Metall und den Beschäftigten sind vielfältig. Zum einen spielt der Standort eine große Rolle. Entwicklungsdienstleister leisten wertvolle Tätigkeiten im Umfeld von Global Player Volkswagen. Als Ingenieure, Software- und App-Entwickler oder IT-Experten entwickeln sie Ideen, die unsere Gesellschaft für die digitalisierte Zukunft rüsten. Insgesamt gibt es rund 70 Betriebe in der Region mit etwa 15.000 Beschäftigten – Tendenz steigend. Und natürlich spielen dann die Arbeitsbedingungen eine Rolle. „Viele Kolleginnen und Kollegen aus den Betrieben kamen auf uns zu, hatten konkrete Anliegen zu Themen wie Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen. Die Gründung eines Betriebsrats hilft natürlich maßgeblich, diese Themen in den Betrieben zu verankern. Die Betriebe expandieren sehr stark. Dieser Beschäftigungszuwachs ist natürlich auch für uns als IG Metall relevant, denn gute Arbeitsbedingungen darf es nicht nur bei Volkswagen geben, sondern ebenso im gesamten Umfeld“, berichtet Ricarda Bier über die Rolle der IG Metall. Mittlerweile gibt es in den allermeisten Betrieben Betriebsräte, die als Sprachrohr der Belegschaft deren Interessen vertreten.

Gute Bezahlung und passende Arbeitszeitmodelle sind wichtige Themen

Ricarda Bier ist seit fast zwei Jahren bei der IG Metall in Wolfsburg und begleitet die Entwicklungsdienstleister seitdem intensiv. Deutlich wurde in dieser Zeit, dass die verschiedenen Entwicklungsdienstleister oftmals die gleichen Themen beschäftigen. Das sind etwa Fragen wie eine gute Bezahlung oder flexible Arbeitszeitmodelle, die dem heutigen Zeitgeist entsprechen, aber zugleich die Kolleginnen und Kollegen davor schützen, ihr Familienleben nicht mehr mit dem Arbeitspensum vereinbaren zu können. „Daher war es ein wichtiges Thema, diese Menschen miteinander zu vernetzen. Denn auch diese Beschäftigten haben einfach gute Arbeitsbedingungen verdient und wir unterstützen da, wo es sinnvoll ist“, so Bier.

Eine gute Vernetzung stärkt das Miteinander

Insbesondere den Vernetzungsgedanken wertschätzt Melanie Bungert, Betriebsrätin beim Entwicklungsdienstleister Altran in Wolfsburg. „Bei den Netzwerktreffen der IG Metall konnten wir uns gut untereinander austauschen. Dabei merkten wir häufig, dass uns ähnliche Probleme und Themen beschäftigen. Und schaut man dann etwa zur IAV, die hier schon mehr Erfahrung hat als wir verhältnismäßig neu gegründeten Betriebsräte, dann profitieren wir selbstverständlich von deren Erfahrung.“ Ein wichtiger Aspekt für die Zukunft sind hier auch Tarifverträge, die es in vielen Betrieben zu verhandeln gilt. Durch Tarifverträge würden sich gute Arbeitsbedingungen weiter stabilisieren und Anreize für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geschaffen, in dieser Region sesshaft zu werden.

Starke Mitbestimmung als Kriterium für den Arbeitsplatz

Melanie Bungert lebt seit fünf Jahren in der Region, genauer gesagt in Braunschweig. „Für mich war es damals wichtig, in eine Region zu gehen, die gewerkschaftlich stark geprägt ist. Die dadurch existierenden guten Arbeitsbedingungen strahlen auf die Region und die Arbeitgeber aus. Ich empfinde die Region dadurch als sehr attraktive Arbeitgeber-Region“, so Bungert, die aktuell neben ihrer Betriebsratstätigkeit als Projektassistenz tätig ist. Gemeinsam mit einigen Kolleginnen und Kollegen initiierte sie die Gründung eines Betriebsrats bei Altran. Dieser konstituierte sich im Oktober 2017, seitdem sind einige Regelungen auf den Weg gebracht worden, wie etwa eine Betriebsvereinbarung zum Thema Mobilarbeit. Diese war den Kolleginnen und Kollegen sehr wichtig.

Betriebsräte als Win-Win-Situation für Belegschaft und Betriebe

Generell sieht die gelernte Industriemechanikerin das Zusammenspiel von Management und Betriebsrat als echte Win-Win-Situation. „Beide Seiten haben ein großes Interesse daran, die gut qualifizierten Kolleginnen und Kollegen im Betrieb zu halten. Themen wie Entgelt und Arbeitsbedingungen, die wir als Betriebsrat mitgestalten, sind wesentlich für die Fachkräftebindung- und akquise.“ Betriebsräte können hier wertvolle Verbindungselemente zwischen Belegschaft und Management sein und wichtige Zukunftsfragen diskutieren und gestalten.

Wichtige Eckpfeiler zum Schutz der Kolleginnen und Kollegen

Die IG Metall Wolfsburg hat dies erkannt und möchte hier „Eckpfeiler“ einschlagen. „Für die Beschäftigten der Entwicklungsdienstleister gilt das, was für alle Beschäftigten gilt: Sie möchten eine anständige Vergütung und Arbeitszeiten, die zum Leben passen. Als starke IG Metall haben wir hier die Chance, gemeinsam mit den Beschäftigten zu entwickeln, was gut für sie ist und dies dann kollektiv für die Kolleginnen und Kollegen zu regeln. Heute bedarf es dabei einer höheren Flexibilität und dennoch dürfen gewisse rote Linien zum Schutz der Kolleginnen und Kollegen nicht überschritten werden“, berichtet Bier von den Herausforderungen, die sich für die IG Metall ergeben. Dabei wachse bei den Entwicklungsdienstleistern mehr und mehr das Bewusstsein für und die Nähe zur Gewerkschaft. „So wie wir in den 50er-Jahren nur eine Handvoll Mitglieder hatten und sich die Strukturen seitdem massiv entwickelten, so sehe ich hier auch einen stetigen Entwicklungsprozess. Schließlich ist noch nichts vom Himmel gefallen“, vergleicht Bier.

Feierndes Publikum beim Sommerfest der IG Metall Wolfsburg. IG Metall Wolfsburg
Highlight auf dem diesjährigen Sommerfest der Wolfsburger IG Metall war der Auftritt von Popstar Max Giesinger.

IG Metall als wichtige gesellschaftspolitische Akteurin und Mitgestalterin 

Die IG Metall nimmt hier außerdem eine wichtige Rolle als politische Akteurin jenseits der Betriebe ein. Konkret geht es um Themen wie Rente, soziale Absicherung, Beschäftigungssicherung, Transformation und Infrastruktur. „Wir beschäftigen uns bewusst mit vielen gesellschaftspolitischen Fragen und begleiten Prozesse. Das Thema Infrastruktur in Bezug auf E-Mobilität ist hier ein gutes Beispiel. Auf das Wesentliche reduziert und stark verkürzt: Wenn die Ladesäulen für E-Fahrzeuge fehlen, dann sind auch Arbeitsplätze in Gefahr, weil keiner das E-Auto kauft. Daher setzen wir uns stark für dieses Thema ein, denn es sichert die Beschäftigung in unserer Region. Und in Wolfsburg sind wir hier schon gut aufgestellt“, betont Bier. In diesem Zusammenhang steht auch das Thema ökologische Nachhaltigkeit auf der Agenda. „Das Problem des CO2-Ausstoßes und die Erderwärmung können wir nicht den nachfolgenden Generationen überlassen, denn die Gesamtgesellschaft hat es mit verschuldet. Daher möchten wir diesen Wandel mitgestalten, anstatt hinterher nur zu reparieren.“

In der Region ein lebenswertes Zuhause gefunden

Wolfsburg und die Region seien für diese gesellschaftlichen Gemeinschaftsaufgaben gut aufgestellt, denn „die Stärke hier ist es, dass IG Metall und Betriebsräte intensiv zusammenarbeiten“ und dadurch in alle Richtungen wirken. So soll auch der hohe Freizeitwert der Region erhalten bleiben und ausgebaut werden. Durch die Unterstützung von anderen Vereinen und Institutionen sowie Kooperationen mit Freizeitveranstaltungen gestaltet die IG Metall diesen ebenfalls mit. Die auch daraus resultierende Lebensqualität heben sowohl Ricarda Bier, als auch Melanie Bungert hervor. „Als ich nach meinem Vorstellungsgespräch im Jahr 2017 den Braunschweiger Weihnachtsmarkt besuchte, da wusste ich, dass ich hier bleiben möchte“, lacht Bungert. Für Ricarda Bier als gebürtige Gifhornerin war ihr beruflicher Wechsel in die Region hingegen eine Art Nachhausekommen.  „Ich wohne sehr gerne hier. Die Stadt Wolfsburg bietet ein breites Freizeitprogramm. Der schlechte Ruf, den die Stadt bei manchen immer noch hat, ist vollkommen ungerechtfertigt. Immer wenn ich mit dem Zug nach Wolfsburg zurückkehre und die vier Türme sehe, dann denke ich: Endlich zu Hause.“