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Studierende aus Göttingen beim Nahtkurs am Medizincampus Wolfsburg.. Marvin Reepschläger

Medizincampus Wolfsburg
Begeisterte Studierende und Zukunftspotenzial für die Gesundheitsversorgung

Das Klinikum Wolfsburg ist mit der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) eine zukunftsträchtige Kooperation eingegangen: Für ausgewählte Kurse kommen Göttinger Medizinstudierende an den Medizincampus Wolfsburg (MCW) und lernen hier die praktische Ausbildung. Und wie die aussieht, davon kann ich mich gleich beim „Nahtkurs“ überzeugen.

Nahtkurs und „Klopfkurs“ – hier wird medizinische Praxis geübt

In diesem Nahtkurs im Klinikum Wolfsburg, der von Professor Dr. med. Tomislav Stojanovic, Studienkoordinator des Medizincampus, geleitet wird, sitzen rund 30 Studierende im 5. Semester, die ihre universitäre Heimat sonst in Göttingen haben, wo sie Humanmedizin studieren. Hier am MCW haben sie nach zwei Jahren vorklinischem Studium ihr erstes klinisches Semester – das heißt, nun auch direkt an den Patienten.

Im Nahtkurs vermittelt Professor Dr. Stojanovic, unterstützt von Unfallchirurg Dr. med. Khelil, verschiedene Nahttechniken, die von den Studierenden eifrig und fingerfertig geübt werden. Thorsten Eckert, Pressesprecher des Klinikums, hatte mich vorgewarnt, dass auch mal an Exponaten wie Schweinefüßen geübt werden könne – doch in diesem Kurs gibt es künstliche Nahtexponate, die dem Aufbau der Haut zwar gleichen, aber doch keine tierischen Teile sind. Trotzdem komme ich nicht drum herum, auch mal einen Knoten zu machen. Carlotta Cleff und Florian Döbbe bestehen darauf. Und so nehme ich Pinzette und die gebogene Nadel mit Faden zur Hand, steche wie erklärt von oben nach unten, greife mit der Pinzette die Nadel, muss den Nadelhalter, der aussieht wie eine Schere, „entsperren“ und umgreifen, die Nadel durch die zweite Hautschicht führen und einen Knoten machen. Wie fummelig! Ich bewundere die Geduld und Fingerfertigkeit, mit der alle Studierenden im Raum die Knoten der Naht machen. „Und der Knoten muss immer auf einer Seite der Naht sein“, erklärt mir Carlotta Cleff noch mal, während sie schon den nächsten festzieht.

„Der Nahtkurs ist Teil des Untersuchungskurses“, klärt mich Lara Lange auf. „Die Untersuchungskurse sind richtig gut und meistens betreuen uns Chefärzte in Kleingruppen.“ Die Dozierenden in Wolfsburg besprechen im Voraus, welche Patientinnen und Patienten sie ihren Studierenden zeigen, das Vorgehen ist strukturiert. „Hier kann man in Zweiergruppen selber Untersuchungen vornehmen, bekommt direkt Rückmeldung und hinterher wird die Untersuchung noch mal in der Gruppe besprochen“, schildert Lena Berghaus das Vorgehen.

Und was ist jetzt der sogenannte „Klopfkurs“, bin ich neugierig. Carlotta Cleff klärt mich auf: „Da wird jede Untersuchungsmethode mit Stethoskop, den Händen und Hammer angewendet, von Kopf bis Fuß wird abgeklopft und abgehorcht.“ Ah, jetzt verstehe ich. 

Wolfsburg steht mittlerweile hoch im Kurs

In Göttingen fangen jedes Semester ca. 180 Studierende ihr Medizinstudium an. Aufgrund von begrenzten Kapazitäten können jedoch nicht alle Studierenden ihr zunächst erworbenes theoretisches Wissen auch direkt vor Ort in die Praxis überführen. Die UMG setzt deshalb auf die Kooperation mit dem Klinikum Wolfsburg. Einige Studierende absolvieren Teile ihrer „klinischen Ausbildung“ wie den „Unterricht am Krankenbett“ oder auch weitere Kurse am zweiten Ausbildungsstandort der UMG, klärt Studienkoordinator Professor Dr. Stojanovic mich auf. Auf den Plänen stehen Einsätze in der Inneren Medizin mit der Kardiologie und Gastroenterologie, in der Neurologie, der Allgemein- und Gefäßchirurgie oder auch in der Zentralen Notfallaufnahme.

Die Blöcke dauern einige Tage oder auch zwei bis vier Wochen. Geplant ist, dass in Wolfsburg künftig auch über mehrere aufeinanderfolgende Semester Studierende praktisch ausgebildet werden.

Florian Döbbe erzählt, dass der erste Praxiskurs in Wolfsburg so gar nicht auf Gegenliebe stieß. Wolfsburg ist weit weg von Göttingen, wo die Studierenden ihren Lebensmittelpunkt haben. Doch schon nach dem ersten Kurs in der Autostadt hat sich das Bild gewandelt: Mittlerweile ist Wolfsburg so beliebt, dass es meist doppelt so viele freiwillige Interessenten gibt wie Plätze und diese somit verlost werden müssen. Woran das liegt möchte ich natürlich wissen.

„Die Ärzte hier geben sich sehr viel Mühe mit uns“, erläutert Carlotta Cleff. „Wir lernen hier sehr viel praktisch, gerade, weil man quasi gleich ins kalte Wasser geworfen wird“, schmunzelt sie.

Es wird viel getan für die Göttinger Gäste

Auch Lara Lange, Emilia Eichinger und Lena Berghaus zeigen sich begeistert von Wolfsburg. Das ist auch das erklärte Ziel der Stadt, die sich viel Mühe gibt, die Studierenden von der Region zu überzeugen. Untergebracht werden die angehenden Medizinerinnen und Mediziner – übrigens sind hier die Frauen deutlich in der Überzahl! – aktuell im Hotel. Da der Medizincampus schrittweise ausgebaut wird und mehr Studierende ihre klinische Ausbildung in Wolfsburg absolvieren werden, sind alternative Unterkünfte wie Wohngemeinschaften, Studentenwohnheime und ähnliche Modelle in Planung.

Neben der Lehre kann sich auch das Freizeitprogramm sehen lassen: Besuche im VfL-Stadion mit Vorträgen der Mannschaftsärzte, beim Eishockey, Werksbesichtigung bei Volkswagen oder ein Abend auf der Bowlingbahn, wer will, dem wird bestimmt nicht langweilig. „Beim ersten Mal haben wir es ein bisschen zu gut gemeint“, berichtet Pressesprecher Eckert: „Die Studierenden waren vom Arbeitsalltag so platt, dann fast jeden Abend eine Aktivität – da haben wir auf ihre Anregung hin das Abendprogramm etwas reduziert“, lacht er. 

Den Studentinnen macht der Nahtkurs viel Spaß. Marvin Reepschläger
Den Studentinnen macht der Nahtkurs viel Spaß.

Campuskoordinator Professor Dr. med. Nils Homann bestätigt, dass die Stadt Wolfsburg sehr engagiert ist. Die enge Zusammenarbeit funktioniere sehr gut, denn die Stadt hat großes Interesse daran, mehr universitäres Leben hierher zu holen. „Dann ändert sich auch irgendwann das Stadtbild von der Arbeiterstadt hin zu einer Universitätsstadt“, ist sich Professor Dr. Homann sicher. Er sieht durch die Studierenden großes Entwicklungspotenzial, damit junge Leute zurückkehren. Familien mit Kindern finden Wolfsburg schon cool, nun kommen die angehenden Ärztinnen und Ärzte dazu.

Zukunftspotenzial für das Gesundheitswesen

„Sicher ist unser Betreuungs- und Personalaufwand sehr hoch“, bemerkt der Campuskoordinator. „Alle, die bei uns lehren, haben einen Didaktikkurs gemacht. Das sind ca. 50 Fach-, Ober- und Chefärzte bzw. -ärztinnen aus allen Abteilungen, die auf hochmotivierte Studierende treffen.“ Und Studienkoordinator Stojanovic lobt: „Das Engagement unserer Studierenden ist sehr hoch, sie fühlen sich auch über alle Abteilungen hinweg sehr gut aufgehoben. Darüber hinaus sind sie sehr dankbar dafür, dass wir uns für die Lehre so viel Zeit nehmen und sie damit wirklich viel davon haben.“

Doch welchen Benefit bringt es, den Medizincampus in Wolfsburg anzusiedeln, außer das Medizinstudium in Göttingen zu ergänzen? „Wolfsburg ist ein Paradebeispiel dafür, wie Gesundheitsversorgung sein sollte“, sagt Professor Dr. Homann. „Im Einzugsgebiet unseres Klinikums leben knapp 200.000 Leute und wir haben ein großes Klinikum. Damit sind wir ja schon quasi eine Modellregion.“ Aber auch hier ist der Ärztemangel wie überall im Land spürbar. Viele Abteilungen auch im Klinikum Wolfsburg sind schwer zu besetzen. Deshalb ist es das erklärte Ziel, akademischer zu werden und damit junge, begeisterte Leute anzuziehen. Erste Effekte machen sich bereits bemerkbar: „Für die Chefarztstellen kommen Bewerber aus Unis zu uns, die hier die akademische Ausbildung sehr schätzen. Das ist unser großer Vorteil“, so Professor Dr. Homann.

Zudem gibt es weitere Überlegungen, beispielsweise ambulante Lehre in Verbindung mit Versorgungsforschung zu betreiben: „Ab einem bestimmten Semester könnte der Unterricht hier in Wolfsburg komplett mit 30 Studierenden stattfinden“, überlegt der Campuskoordinator. „Und wenn ich mir etwas wünsche, dann dass wir die Konstanz schaffen, auch 2030 noch dieselbe Qualität in der Ausbildung anzubieten, wie jetzt.“

Ich bin zuversichtlich, dass dieser Wunsch in Erfüllung geht, denn alle Akteure seitens der Stadt, des Klinikums, der UMG und die Studierenden zeigen so viel Feuereifer, dass es nur gelingen kann.

Medizincampus Wolfsburg - Hier wird medizinische Praxis geübt