Zwei Menschen stehen in einem Garten. Bernhard Janitschke/Evangelische Stiftung Neuerkerode

Fünf Fragen an...
Marcus Eckhoff

Marcus Eckhoff leitet die Wohnen und Betreuen GmbH, eine Tochtergesellschaft der Evangelischen Stiftung Neuerkerode. Hier leben rund 700 Menschen mit geistiger oder Mehrfachbehinderung. Was Inklusion bedeutet und warum Unternehmen gut daran tun, Menschen mit Behinderung einzustellen, erklärt Eckhoff hier.

Herr Eckhoff, was bedeutet Inklusion?

Früher hat man von Integration gesprochen. Aber Inklusion geht weiter und ist wechselseitig. Inklusion bedeutet, dass es normal ist, dass Menschen mit und ohne Behinderung zusammenleben und -arbeiten. Sie bedeutet, dass keine Separation stattfindet. Wir arbeiten in unseren Einrichtungen mit geistig behinderten Menschen, bei denen so gut wie immer eine Intelligenzminderung vorliegt. Da geht es eben nicht nur um Personen, die im Rollstuhl sitzen und ansonsten aber geistig  nicht beeinträchtigt sind.

Es gibt allerdings viele Perspektiven darauf, was Inklusion und Barrierefreiheit ausmacht. Ein Beispiel: ein abgesenkter Bordstein an einer Fußgängerquerung ist für einen Rollstuhlfahrer eine Erleichterung – für einen sehbehinderten Menschen ist er eine Hürde, da er nicht abschätzen kann, wo der Bordstein beginnt. Bei Menschen mit einer geistigen Behinderung stellt die Sprache häufig eine Hürde dar. Hier hilft einfache oder leichte Sprache, wie sie schon vielerorts angewendet wird.

Wie gelingt Inklusion?

Die Vielfalt ist der Schlüssel zum Erfolg. Die Evangelische Stiftung Neuerkerode unterhält Einrichtungen in Braunschweig, Wolfenbüttel, Sickte und eben das inklusive Dorf Neuerkerode. Das geht von betreuten Wohneinheiten bis zu einzelnen Appartements. Entscheidend ist es, unterschiedliche Möglichkeiten zur Entfaltung zu bieten.

Wir versuchen die Menschen, die bei uns leben und arbeiten, zur Selbstständigkeit zu befähigen. Wer in den Waschsalon gehen kann, soll das auch tun und erhält dabei die notwendige Unterstützung. Wer im Blumenladen arbeiten möchte, soll dazu die Möglichkeit haben. Wir sehen uns die Menschen individuell an und suchen geeignete Aufgaben für sie oder ihn.

 

Ein Mann mit Brille und grauen Haaren. Bernhard Janitschke/Evangelische Stiftung Neuerkerode
Marcus Eckhoff ist der Geschäftsführer der Wohnen und Betreuen gGmbH in Neuerkerode.

Welche Hürden gibt es?

Menschen mit geistiger Behinderung brauchen Menschen, die ihnen zur Seite stehen und sie unterstützen. Oder anders: Wie verschaffe ich mir Gehör, wenn ich intelligenzgemindert oder beispielsweise gehörlos bin? Unternehmen sollten offen sein, denn diese Menschen haben auch Stärken, die sie in die Betriebe einbringen können. Hier braucht es Barrierefreiheit in den Köpfen.

Dabei finden Menschen mit geistigen Behinderungen in vielen Bereichen Jobs, die ihren Fähigkeiten entsprechen. Beispielsweise sind sie in der Gastronomie tätig oder bei Unternehmen in der Poststelle. In der Hauswirtschaft beziehungsweise der Hotellerie finden sie Arbeit. Tätigkeiten im Logistikbereich oder der Konfektionierung liegen vielen intelligenzgeminderten Menschen. Dazu kommt der ganze „grüne Bereich“ – Garten- und Landschaftsbau etwa.

Die Werkstatt für Menschen mit Behinderung stellt hier die Brücke dar, aus der der Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt gelingen kann. Der Optimalfall ist, wenn – wie in unserer Schwestergesellschaft, der Mehrwerk gGmbH geschehen – ein junger Mann über gezielte Maßnahmen qualifiziert wird, einen Praktikumsplatz bekommt und in der Folge eingestellt ist. Dies ist erfreulicherweise im Braunschweiger Bauamt geschehen.

Wir haben nicht ein Programm, das wir einfach allen überstülpen. Wir arbeiten mit jedem individuell.

Marcus Eckhoff, Geschäftsführer der Wohnen und Betreuen GmbH

Wie profitiert ein Unternehmen davon, einen Menschen mit Behinderung einzustellen?

Unternehmen, die Menschen mit einer geistigen oder Lernbehinderung beschäftigen, berichten häufig, dass die Loyalität gegenüber dem Unternehmen deutlich höher als bei anderen Arbeitskräften. Die Arbeit stärkt das Selbstbewusstsein der Arbeitenden, aber auch der Kollegen. Das macht etwas mit beiden Seiten.

Gerade für einfache Tätigkeiten wird das Thema Inklusion in Zukunft sehr wichtig. Aufgrund des demografischen Wandels werden immer weniger Menschen für diese Berufsfelder zur Verfügung stehen. Die hier notwendigen Arbeitskräfte kann man nicht nur aus dem Ausland holen. Inklusion kann darauf eine Antwort sein. Da muss ein Umdenken stattfinden.

Wer sich dahingehend interessiert, findet bei der Agentur für Arbeit, aber auch im Integrationsamt Ansprechpartner. Letzteres kann auch prüfen, ob Geld vom Staat ins Spiel kommen kann. Die Evangelische Stiftung Neuerkerode steht natürlich ebenfalls als Berater zur Verfügung.

Zwei Menschen stehen in einem Garten. Bernhard Janitschke/Evangelische Stiftung Neuerkerode
Zwei der Bürger, die in Neuerkerode leben und arbeiten.

Welche besondere Herangehensweise hat die Evangelische Stiftung Neuerkerode gewählt?

Wir passen die Wohnsituationen, aber auch die Arbeitsmöglichkeiten an die Menschen an. Wir haben nicht ein Programm, das wir einfach allen überstülpen. Wir arbeiten mit jedem individuell. Was kann der- oder diejenige? Darauf gilt es eine Antwort zu finden.