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Artenvielfalt beim Harzer-Windbeutel-König

Dieser Termin ist für mich eine süße Herausforderung: Ein Besuch beim Harzer Windbeutel-König, der in einem schmucken Haus idyllisch auf einer Landzunge der Oktertalsperre residiert. Das Café und Restaurant liegt mit einer großen Sonnenterrasse direkt am Stausee. Wenn man von der Oker aus in den Oberharz fährt, kommt man kurz vor Altenau dran vorbei. Der Windbeutel-König ist im Harz sehr populär, er verkauft jährlich tausende von Windbeuteln. Auf der Speisekarte stehen rund 35 verschiedene Windbeutel-Arten - die meisten süß und sahnig, einige herzhaft mit Harzer Käse oder Heringsfilet, bis zur exquisiten Kaviarvariation. Natürlich gibt es auch „Beutel to go“ für unterwegs.

Jörg Scheibe
Windbeutel-König Erik Holste mit Frau Yvonne.

Beim deutschen Windbeutel-Adel ganz oben

„Wir sind das Windbeutelparadies Nr. 1 in Deutschland“, erzählt mir Erik Holste, der mit seiner Frau Yvonne das Haus seit 18 Jahren führt. Sein Vater hatte in den 80er-Jahren die Artenvielfalt des Windbeutels kreiert und sich gleich den Titel „Windbeutel-König“ juristisch als Marke schützen lassen. Deshalb stehen die Holstes im deutschen Windbeutel-Adel heute ganz oben. Darunter gibt es unter anderem noch eine Windbeutelgräfin in Ruhpolding und einen Windbeutelbaron in Berchtesgaden.

Am Windbeutel scheiden sich bekanntlich die Geister. Man muss ihn schon mögen. Manchen Menschen ist er zu süß und mit zu viel Sahne gefüllt, andere können nicht genug davon bekommen. Entsprechend unterschiedlich sind die Kommentare, die ich im Internet über den Windbeutel-König gefunden habe. Bei meinem Besuch sitze ich auf der frühlingshaft sonnigen Terrasse und gönne mir eine Neuheit des Hauses: den Windbeutel „Vital“ – aber bitte mit etwas weniger Sahne. Er ist außerdem mit Quark-Sauerkirsch-Eis, mit Müsli-Komponenten und Honig gefüllt. Während ich das ansehnliche Gebäckstück genüsslich verzehre, schildert mir Erik Holste die Geschichte des Hauses.

 

Der Erfinder des themenbezogenen Windbeutels

Sein Vater hatte ein Hotel und Gasthaus im Ort Schulenberg, oberhalb der Talsperre. Er entwickelte den klassischen deutschen Windbeutel weiter und gilt – so Sohn Erik – „als Erfinder des themenbezogenen Windbeutels“. So kreierte er 1989 zur deutschen Wiedervereinigung den Riesen-Windbeutel „Blauer Brocken“ (mit Blaubeeren), der noch heute ein Renner des Hauses ist. Spezialangebote gab es auch 1999 zum Goethe-Jahr, zur Expo 2000 oder 2018 zur Fußball-WM (mit schwarz-rot-goldenen Saucenstreifen über Eis und Sahne).

35 Windbeutelarten: Süß und herzhaft, groß und klein

Erik Holste übernahm 2001 das in die Jahre gekommene Hotel Gemkenthal unten am Stausee, investierte kräftig, baute es zum Café um und führte die Windbeuteltradition des Vaters fort. Die Speisekarte wurde noch vielfältiger, die Lage an See und Straße war günstig – das Geschäft brummte, wie Holste rückwirkend anmerkt. Das Lokal ist mit seinen 250 Sitzen drinnen und draußen an den meisten Tagen rappelvoll. Es kommen Tagesausflügler mit dem Auto, erstaunlich viele Biker und zunehmend auch Familien mit Kindern. Holste: „Es ist eine gute Mischung. Es kommen keineswegs nur Senioren in Bussen auf Kaffeefahrt, wie man vielleicht vermuten würde“. Holste bietet Gruppen und Vereinen selbst organisierte Bus-Rundfahrten durch den Harz an – mit Start und Ziel (und natürlich mit Einkehr) beim Windbeutel-König. Das Café bietet sich auch als Startpunkt an, um per Rad, auf Inlineskatern oder zu Fuß die Talsperre auf asphaltierten Wegen zu umrunden. Die Strecke ist 18 Kilometer lang.

 

Der „Schwan vom Okersee“

Bei der Einkehr hat der Gast die Qual der Wahl, wie ich selbst festgestellt habe. „Unter unseren 35 Windbeutelarten sind natürlich die meisten süß und neben Sahne meist mit Eis oder saisonalen Früchten gefüllt“, erläutert Holste. Er hat mit Ehefrau Yvonne pfiffige Windbeutelideen und dazu pfiffige Namen entwickelt, oft mit einem Bezug zum Harz. Am besten gefällt mir der „Schwan vom Okersee“, der aus mehreren zerschnittenen Teilen (einschließlich eines Gebäck-Halses) inklusive Füllung besteht. Mein persönlicher Favorit ist das „Pfläumchen-Träumchen“, eine Eis-Kombination aus Pflaume und Zimt – aber die gibt es leider nur im Winter.

Der Favorit des Hausherren: Im Frühjahr zur Saison Windbeutel mit Erdbeeren, Vanilleeis und Sahne. Durchaus beliebt seien die herzhaften Windbeutelkreationen, berichtet Holste: „Der Windbeutel ist ja geschmacksneutral, so dass er durchaus auch mit Käse oder Fisch gefüllt werden kann“. Seine persönliche Empfehlung: Ein Windbeutel mit Original-Harzer-Hirschschinken und Wildpreiselbeersahne. Die Windbeutel bezieht Holste täglich frisch von einem Bäcker im nahen Altenau. Das Angebot ist nicht nur, was die Füllung betrifft, flexibel. Neben normalen mittelgroßen Windbeuteln, auf Wunsch auch mit weniger Sahne, gibt es auch richtige Riesenstücke. Die Sahne ist übrigens ungesüßt.

Windbeutel-Tradition im Harz

Der Windbeutel hat im Harz eine große Tradition. Lange Zeit war das Gasthaus Königskrug nahe Braunlage berühmt wegen seiner Riesen-Windbeutel. Daran habe ich noch einige schöne Kindheitserinnerungen. Doch inzwischen dominiert der Windbeutel-König. Dabei scheint mir der Windbeutel etwas aus der Mode gekommen zu sein und sein Image ist eher hausbacken. „Uns gibt es eben nur einmal“, begründet der Windbeutel-König seine Erfolgsgeschichte gewissermaßen gegen den Trend.

Windbeutel sind in Deutschland seit mindestens 400 Jahren bekannt, sie wurden erstmals im Schwäbischen erwähnt. Ihre Herstellung ist nicht schwierig und basiert auf Brandteig. Dafür werden Mehl, Wasser und Fett zusammengerührt und erhitzt; dann werden Eier hinzugegeben. Die Hohlräume entstehen – vereinfacht gesagt – beim Backen, durch Wasserdampf, der nicht durch die Kruste aus verkleisterter Stärke des Mehls und geronnenem Eiweiß entweichen kann.

Holste hat „noch tausend Ideen für neue Windbeutelfüllungen, doch müssen die sich einfach realisieren und dann auch verkaufen lassen“. Seine Windbeutelkarte variiert saisonal. Wer partout keinen Windbeutel essen mag, kann aus einer kleinen Karte mit bürgerlicher Küche auswählen. Doch die meisten Besucher kommen wegen der Windbeutel.

Holste ist inzwischen so bekannt, dass ihm der Harzer Volksmusiker Walter von Triesen ein Lied gewidmet hat: „Ich bin der Windbeutelkönig“. Zum Nachschlag gibt es den Song „Holiday am Okersee“. Die CD gibt es natürlich im Café zu kaufen.