Fast kann man sich noch vorstellen, wie Gutsherrin Charlotte Eleonore von Schwicheldt im frühen 18. Jahrhundert an heißen Sommertagen durch die geometrisch angelegten Heckenwege flaniert, die den strengen, quadratischen Barockgarten vor ihrem Gutshaus durchziehen. Zu sehen ist von der barocken Pracht allerdings kaum noch etwas. Bewegte Zeiten haben das Bild im Gutspark Flachstöckheim komplett gewandelt. Doch wer sich darauf einlässt, kann sich in der großzügigen Anlage in vergangene Zeiten versetzen und den Relikten aus der bewegten Vergangenheit des Parks nachspüren.
Zauber des Vergangenen –
Ein Besuch im Gutspark Flachstöckheim
Vom strengen Barock zum luftigen Landschaftspark
Viele strukturelle Elemente des barocken Lustgartens, dem sich im Westen ein Obstgarten und im Osten ein Küchengarten mit Gewächshäusern und Melonenbeeten anschloss, lassen sich nur noch erahnen. Ortsheimatpflegerin Petra Strobach, mit der ich mich zu einem Spaziergang durch den Park verabredet habe, berichtet von der einstigen Terrassierung zwischen Nutzgarten, Barockgarten und Obstgarten. Die Stufe zwischen der Gemüsefläche und dem früheren Barockgarten in der Mitte ist noch deutlich zu erkennen, bildet sie doch heute das Podest für die schon früh als Sommertheater bezeichnete Freilichtbühne.
Die zweite Erhebung wurde im Laufe der Jahrzehnte abgeflacht. Rampen und Treppenaufgang wichen einem fließenden Übergang, der dem Bild eines typischen Landschaftsparks mit sanften Hügeln, imposanten Baumriesen und freiem Blick über das Gelände entspricht.
Very British
Die Umgestaltung zum englischen Landschaftsgarten erfolgte schrittweise. Im Park wurden zunächst die strengen Formen des Barock aufgelöst. Der östliche Teil erfuhr die deutlichste Wandlung: Der Gemüsegarten wurde durch lockere Gehölzgruppen und geschwungene Wegen ersetzt, später mussten dann auch die Obstbäume dem Konzept eines aufgelockerten Landschaftsgartens weichen. „Es gab sogar eine für englische Landschaftsparks typische Aussicht in Richtung Lobmachtersen“, berichtet Petra Strobach. „Und einen kleinen Hügel, den Katzenberg, muss es damals auch hier im Park gegeben haben.“ 1836 war die Umgestaltung unter dem damaligen Besitzer Georg Wilhelm Ludwig Karl von Schwicheldt abgeschlossen.
In der Nachfolge diente das Gut allerdings nur noch als Sommerresidenz. Die Familie verlegte ihren Hauptwohnsitz nach Schloss Söder bei Hildesheim. Viele der Vasen und steinernen Sphinxe, Löwen und Schwäne, die noch aus Charlotte Eleonores Barockgarten stammten, zogen mit nach Söder um.
Skulpturen erinnern an glanzvolle Zeiten im Gutspark
Petra Strobach zeigt mir, was noch im Gutspark verblieben ist und die Zeiten durch Hilfe überdauert hat: Zwei sehr verwitterte Löwenskulpturen, die einst neben einem der Tore Wache hielten, liegen versteckt im dichten Efeu, zwei weitere säumen die Treppe vom Sommertheater Richtung des zentralen Geländes. Einsam steht auch noch eine Sphinx auf der weitläufigen Rasenfläche. Schwer lädiert auch sie: eine Brust abgeschlagen, der Kopf nicht mehr das Original, sondern eine Rekonstruktion aus der Braunschweiger Bildhauerwerkstatt Zerries in Anlehnung an Figuren, die noch im Schloss Söder zu finden sind. Schwer zu schaffen machte dem Gutspark vor allem der Zweite Weltkrieg. Gutshof und Park waren ab 1938 im Besitz der Reichswerke Hermann Göring.
Im Gutshof wurden Bergarbeiter untergebracht, der Park sollte ihnen zur Erholung dienen. Allerdings dachten die Anwohner eher pragmatisch: Bäume und Sträucher wurden für die Brennholzgewinnung abgeholzt; Beete und Viehställe angelegt. Schon 1942 wurde der Park zwar wieder als Landschaftsschutzgebiet in den Karten verzeichnet, doch der Verlust an altem Baumbestand und Gestaltungselementen ließ sich nicht mehr rückgängig machen.
Beständig an ihrem Platz
Eine, die allen Widrigkeiten der Jahrhunderte getrotzt hat, ist die imposante Linde im Westteil des Parks. Sie findet erstmals Erwähnung auf den Karten ab 1817. Auf einer kleinen Erhebung steht sie; weithin sichtbar über das offene Parkgelände und flankiert von zeitgenössischer Kunst: Die „Große Klammer“ aus Stahl und Granit von Hartmut Stielow sowie eine titellose Installation aus einer schweren Granitplatte und U-Stahl von Hawoli gehören heute zur großen Freiluft-Kunstausstellung der Städtischen Kunstsammlung Salzgitter. Beide Skulpturen aus den 1980er Jahren greifen das Zusammenspiel von Natur und Kultur auf und fügen sich damit nahtlos in die Thematik des von Menschenhand gestalteten Landschaftsgartens.
Hinter der alten Linde stößt der Besucher auf ein weiteres Relikt aus Charlotte Eleonores Zeit: Ein Teil der nördlichen Mauer, die den Barock- und Nutzgarten einst schützend umgab, ist erhalten geblieben und wurde inzwischen aufwändig restauriert. Wir bleiben kurz stehen und stellen uns vor, wie hier das Spalierobst der Gutsherrin im Schutze der Mauer wuchs und gedieh.
Vom Barock zum Rockkonzert
Heute ist der Park Zentrum für ein lebendiges kulturelles Leben: Die Freilichtbühne wird für Open-Air-Rockkonzerte ebenso gern genutzt wie für das jährliche stattfindende Kindertheater des Kulturkreises Salzgitter. Auch das Adventscafé im Zelt auf der Freilichtbühne ist beliebt und inzwischen eine feste Tradition. Seit die Stadt Salzgitter, inzwischen Eigentümerin der Parkanlage, 2006 ein Pflege- und Entwicklungskonzept für den Park vorgelegt hat, kümmert sich der ein Jahr später gegründete Förderverein Gutspark Flachstöckheim um die Instandhaltung und die Umsetzung des von den Gutachtern vorgeschlagenen historischen Zustands.
Aber auch ganz unabhängig von seiner historischen Bedeutung lädt der Gutspark Flachstöckheim zum entspannten Spaziergang oder einem Plausch unter dem dichten Blätterdach eines der alten Baumriesen ein. Und mit etwas Glück beobachtet man bei dieser Gelegenheit auch einen Milan, der über dem traditionsreichen Park seine Kreise zieht.