Trotz der Nähe meines Wohnortes Braunschweig zu Salzgitter und der Tatsache, dass ich drei Jahre lang an der Ostfalia Hochschule in Salzgitter studiert habe, kann ich nicht von mir behaupten, dass ich mich in Salzgitter auskenne. Sauingen? Noch nie gehört. Beddingen? Ähm … Da klingelt nichts. Bleckenstedt? Keinen blassen Schimmer, wo das ist. Doch genau dieses kleine Dorf ist heute mein Ziel.
Käsekuchen, Kaffee und Kikeriki
im Dorfcafé Bleckenstedt
Dort, im beschaulichen Salzgitter Bleckenstedt, zwischen Kanal und A39, besuche ich das Dorfcafé Alt Bleckenstedt. Inhaberin Sabine Scholz und ihr Hund Ellie begrüßen mich fröhlich. Für Ellie ist diese Fröhlichkeit zwar selbstverständlich (Sabine Scholz verrät mir, dass ihr Hund eine echte Rampensau ist und das ein oder andere Kunststück beherrscht), aber Sabine Scholz hat bereits einen harten Arbeitstag hinter sich. „Heute Morgen bin ich um viertel nach vier aufgestanden“, verrät mir die gelernte Bäckermeisterin.
Unter der Woche kommen oft geschlossene Gesellschaften zum Frühstück zu ihr, heute eine Gruppe von 21 Personen. Aber die Uhrzeit ist für Sabine Scholzʼ Verhältnisse eigentlich schon spät. Am Wochenende klingelt ihr Wecker bereits eine Stunde eher. Dann steht sie zur Morgendämmerung in der Küche des Cafés, backt Kuchen, Torten, Brot und Brötchen, bereitet frischen Obstsalat zu, Marmelade, Käse und Wurst vor und richtet die Eier an. Die stammen von ihren eigenen Hühnern.
Vom Nest in den Kuchen
40 fleißige Produzentinnen leben direkt auf dem Hof, der zum Café gehört, weitere 60 sind ausgelagert. Sie leben auf einer Wiese am Ortsrand. Als Stall dient den Hennen ein ausrangierten Wohnwagen, den Sabine Scholzʼ Tochter gestaltet hat. „Wir arbeiten für das Dorfcafé“ steht in fetten Lettern über der Tür, der Wohnwagen selbst ist grün angemalt. „Drei Arten Hühner leben bei uns: Grünleger, Zwerghühner und die normalen Hühner“, erklärt mir Sabine Scholz. Die unterschiedlichen Hühnerrassen legen auch unterschiedliche Eier. Etwas ganz besonderes sind die Eier der Grünleger, ihre Schale hat eine grünliche Färbung.
Doch nicht nur für das umfangreiche Frühstücksangebot werden die Eier verwendet, Sabine Scholz nutzt sie auch zum Backen. Für ein Wochenende backt sie unter anderem drei Käsekuchen, das ist ihre Spezialität. Von Mandarine-Käse-Kuchen, über Käse-Sahne-Torte bis hin zu Käse-Aprikosenkuchen ist alles dabei. „Eigentlich wollte ich das Café sogar ‚Das Käsekuchenhaus‘ nennen. Mein persönlicher liebster Käsekuchen ist der Käse-Streuselkuchen.“ Das Grundrezept hat sie verschlüsselt. „Das verrate ich auch nicht“, schmunzelt Sabine Scholz, „außer mir kennt das nur noch meine Tochter und die wird das Ganze ja später mal übernehmen.“
Von der Generationenbäckerei zum Dorfcafé
Für die Wiedereröffnung des Cafés vor fünf Jahren hat Sabine Scholz 28 Kuchen und Torten gebacken, natürlich auch ihre berühmten Käsekuchenvariationen. „Das Haus ist von 1792“, erläutert sie die Historie. Damals wurde es als Kleinbauernhof genutzt. Fünf Jahre dauerte die Sanierung. Dabei sind einige Vorschlaghammer zu Bruch gegangen, etliche Gebäude, die nach und nach auf dem Grundstück gebaut wurden, mussten komplett abgetragen werden, um das Haus erst einmal freizulegen.
Beraten wurden Sabine Scholz und ihre Familie dabei vom Denkmalschutz und einem Gebäuderetter. Für die Sanierung musste sogar das gesamte Wohnhaus angehoben werden. „Wir haben das Haus mit Wagenhebern angehoben. An der höchsten Stelle um 80 Zentimeter, an der niedrigsten um 30, das Haus war total abgerutscht.“ Danach wurde ein neues Fundament gelegt, Balken und Sandsteine ergänzt; anschließend wurde das Haus wieder herabgelassen. „Meine Eltern und Großeltern haben vorher direkt neben dem Kleinbauernhof, der damals einer älteren Dame, Tante Thieß, gehörte und später unser Café wurde, gewohnt. Das war unser Wohnhaus und das Backhaus.“
Bäcker Handerwerk von der Pike auf
Diese Räume dienen Sabine Scholz nun als Backstube. Sie stammt aus einer Bäckerfamilie, ihr Großvater war Bäcker auf einem Frachtschiff im ersten Weltkrieg. Nach dem Krieg ist er dann hierher gekommen.“ Der Ort Bleckenstedt, gehörte damals noch zu Wolfenbüttel. 1930 baute ihr Großvater dann das Backhaus. „Als Bäckermeister hat er das Handwerk von der Pike auf an meinen Vater weitergegeben. Der wollte zwar eigentlich Landwirt werden, aber so war das nun mal. Der älteste Sohn musste den Familienbetrieb weiterführen.“ Nach ihm führte Sabine Scholz die Familientradition weiter, mittlerweile in vierter Generation.
Kuchenessen im ehemaligen Wohnzimmer
Den Kleinbauernhof neben der Bäckerei kaufte Sabine Scholz Vater von Nachbarin Thieß. „Mein Vater durfte seine Tiere in den Stallungen unterstellen, Tante Thieß hatte allerdings Wohnrecht auf Lebenszeit.“ Bevor aus dem Haus ein Café wurde, lebten dort nach dem Tod der alten Dame in den 1950er Jahren die Bäckergesellen mit ihren Familien. „Einige von ihnen kommen ab und zu zum Kuchen essen und Kaffee trinken hier her. Dann wollen sie mal in ihrem ehemaligen Kinderzimmer, mal im Wohnzimmer oder Schlafzimmer sitzen.“ Im Zuge der Sanierungen wurden einige Zwischenwände entfernt, sodass ein offenes Raumkonzept entstand. Dunkle Holzbalken, knarzende Dielen und gemütliche Polstermöbel schaffen eine heimelige Atmosphäre.
Liebe zum Detail
Mit viel Liebe zum Detail und historischen Fotografien hat Sabine Scholz einen gemütlichen Ort zum Verweilen und Ankommen geschaffen. Sogar die Vergangenheit ihrer Familie hängt gerahmt an den Wänden. Nachdem ihre Eltern altersbedingt den Bäckereibetrieb aufgeben und Sabine Scholz ihre Bäckerei-Karriere aufgrund einer Mehlallergie vorzeitig beenden musste, stand das Wohnhaus 35 Jahre lang leer. Zu der Zeit lebte Sabine Scholz mit ihrer Familie im Ausland. Als der Abriss des denkmalgeschützten Hauses und der Bau von Fertiggaragen auf dem Grundstück zur Debatte stand, intervenierte sie. „Ausnahmsweise haben unsere Eltern dann mal auf ihre Kinder gehört“, das Haus blieb stehen. „Als wir aus dem Ausland wiederkamen haben wir uns überlegt: Wir machen etwas Schönes aus dem Haus“. Die Entscheidung, ein Café zu eröffnen, lag nahe – das Backen hatte sie ohnehin nie wirklich losgelassen. Mit der Unterstützung ihrer Familie und von Freunden setzte sie ihr Vorhaben in die Tat um.
Käsekuchen und Glühwein
Zur Eröffnung im Dezember 2012 kamen viele Gäste. Die 16 Torten und 12 Bleche Kuchen, die Sabine Scholz gebacken hat, waren ein voller Erfolg, nichts ist übrig geblieben. „Ich war total aufgeregt, man weiß ja gar nicht, was da so auf einen zukommt“, gestand Sabine Scholz, „die Leute standen Schlange auf dem Hof“. Passend zu den winterlichen Temperaturen servierte das Team Glühwein. Mittlerweile arbeiten für Sabine Scholz zwölf Mitarbeiter. Meist stellt sie Studenten oder junge Leute aus der Umgebung für den Service ein. „Mir ist ein junges Team sehr wichtig. Das läuft total gut. Da ist es dann auch in Ordnung, wenn ich mal kurzfristig umdisponieren muss, weil jemand am Vortag zu lang gefeiert hat.“
Tierisch viel los in Bleckenstedt
Neben den Hühnern beherbergt das Dorfcafé weitere Tiere: Gänse und Enten, Ziegen und Mini-Ponys. Sie alle leben zusammen in Stallungen, die an den Hof des Cafés grenzen, tagsüber haben sie Zugang zu einem Außenpaddock. „Meine Tiere vertragen sich alle gut miteinander“, erklärt Sabine Scholz und weist mich auf die Ente hin, die vor kurzen drei Hühner-Küken ausgebrütet hat. Patchwork mal anders. Besonders zutraulich ist Henne Oma Krakow. Sie ist das älteste Huhn auf dem Hof, ich darf sie sogar auf den Arm nehmen. Auch Hund Ellie freut sich über Zuwendungen. Sabine Scholzʼ Tochter bringt ihr regelmäßig neue Tricks bei, später bekomme ich eine kleine Privatvorstellung.
Saisonal und hochwertig
Geöffnet ist das Dorfcafé Samstag von 13:00 Uhr bis 18:00 Uhr und sonntags von 9:00 Uhr bis 18:00 Uhr; unter der Woche öffnet das Café auf Anfrage für geschlossene Gesellschaften. „Ich habe einen ganz bestimmten Wochenrhythmus“, verrät mir Sabine Scholz. Der Montag ist für ihre Erholung da, dann reitet Sie auf ihren Pferden aus, die ebenfalls im Dorf untergebracht sind, oder geht mit Hund Ellie spazieren. Dienstags plant sie die kommende Woche, überlegt Kuchenrezepte und erstellt Einkaufslisten. Außerdem kommen dienstags und mittwochs oft geschlossene Gesellschaften zum Frühstück vorbei.
Donnerstags ist Einkaufstag. Gekauft werden dabei vorzugsweise regionale und saisonale Zutaten, Wurst und Fleisch kommen von Schlachter Simon aus Beddingen. Der Kaffee, der im Café ausgeschenkt wird, stammt von der Kaffee Manufaktur Heimbs aus Braunschweig. Außerdem achtet Sabine Scholz darauf, hochwertige Zutaten zu verwenden: „Mein Vater hat immer gesagt: ‚Mit Margarine kann man keinen guten Kuchen machen.‘ Außerdem muss das Mehl leben, das muss eigenen Geschmack haben und nicht nur als Bindemittel dienen.“ Freitags ist Sabine Scholzʼ Backtag und samstags und sonntags kommen die Gäste.