Wände in verführerischem Rot, mildem Grün oder martialischem Blaugrau – bereits nach wenigen Schritten durch die Gemäldegalerie des Braunschweiger Herzog Anton Ulrich-Museums – kurz HAUM – wird mir klar: Hier sucht man vergebens nach staubiger Museumsluft, hier atmet alles Emotionalität und Atmosphäre.
Alte Schätze, moderner Blick:
Tour de Surprise durch das Braunschweiger HAUM
Die erste Überraschung gelingt gleich perfekt: Nicht gedeckte oder schwere Erdtöne drücken hier auf die Stimmung, stattdessen geht es bunt zu rund um die ehrwürdigen Werke der großen Meister. Ähnlich wie bei modernen Wohnkonzepten rufen im HAUM die Wandfarben Empfindungen hervor, die mit den Motiven der gezeigten Gemälde konform gehen. Zum Beispiel ist Rembrandts Familienbild von 1668, eines der Prunkstücke des Museums, Dreh- und Angelpunkt des in einem ruhigen Grün gehaltenen Raums, eingebettet in ähnliche Sujets und doch auch in Kontrast zu ihnen.
In den angrenzenden Räumen geht es ähnlich weiter, wird die Gestaltung des Raumes selbst zu einem Kunstgriff und tritt in Kommunikation mit den Werken und dem Betrachter. So stutze ich vor Vermeers „Mädchen mit dem Weinglas“, das einen schlichten grauen Hintergrund bekommen hat, ist es doch ebenfalls eines der Highlights der Sammlung. Doch auch hier funktioniert der Farbzauber, denn Vermeers „cleane“ Malweise bedarf keines hervorhebenden Hintergrundes und tritt auf dem neutralen Grau besonders hervor. Nebenbei bemerkt, ist das „Mädchen“ dem Museum schon sehr lange treu, denn es befand sich nachweislich bereits 1710 im Besitz Anton Ulrichs und ist damit, im Gegensatz zu anderen Vermeer-Bildern, nicht durch unzählige Hände gegangen.
Tanz der Skulpturen
Weiter geht es für mich in der Skulpturengalerie, eine Präsentationsform, die in dieser Art übrigens im HAUM erstmals so zu sehen ist. Und hier wartet gleich die nächste Überraschung. Kein Flanieren an endlosen Reihen steinerner Büsten, stattdessen ein Slalomlauf durch Bildhauerkunst von der Antike bis zur Neuzeit. Werke, die seit Jahrzehnten nicht öffentlich gezeigt wurden, stehen hier dicht an dicht, wie ein Wald aus Skulpturen, fast mysteriös ausgeleuchtet vor den nachtblauen Wänden. Was besonders Spaß macht: Die meisten Skulpturen können von allen Seiten betrachtet werden, sie stehen frei im Raum, sind zu Inseln gruppiert, die auch als Ganzes wahrgenommen und erkundet werden können. Je nach Standpunkt sehe ich Vorder- oder Rückseite der Arbeiten, spannende Schattenspiele entstehen. Ich begreife, was in der Theorie schon lange klar ist, aber hier ins Leben tritt: Skulpturen sind Körper im Raum.
Lifestyle des Barock
Neben den 1.400 Gemälden und der feinen Skulpturensammlung beherbergt das Museum noch rund 12.000 Objekte der angewandten Kunst – seltenes Porzellan, italienische Majoliken, Möbel, Uhren. Eine Vase aus der Sammlung der Florentiner Bankiersfamilie Medici ist hier das wertvollste Stück. Nur rund 60 Werke aus der Medici-Sammlung sind heute noch erhalten, das Braunschweiger Gefäß gehört dabei zu den wenigen, die kunstvoll bemalt sind. Natürlich kann man in dieser Abteilung viele wertvolle Raritäten bestaunen, doch viel spannender ist oftmals der Mythos, der sich hinter den seltenen Objekten verbirgt.
Bestes Beispiel: das sogenannte Mantuanisches Onyxgefäß, entstanden um 54 n. Chr., ein antiker Steinschnitt, um den sich unzählige, fast legendenhafte Geschichten ranken. Erste nachgewiesene prominente Besitzerin war Isabella d’Este, Markgräfin von Mantua, weithin bekannte Mäzenin der Künste. Nach ihrem Tod und der Plünderung Mantuas ging das Gefäß durch zahlreiche blaublütige Hände, unter anderem durch die von Ferdinand Albrecht I., dem jüngeren machtlosen Bruder von Herzog Anton Ulrich. Später wurde es von seinem Urenkel gar auf die Flucht vor den napoleonischen Truppen mit nach England genommen. Mutmaßlich einem Brand zum Opfer gefallen, galt es zwischenzeitlich als zerstört, bis es überraschend in einem Nachlass in Genf auftauchte und schließlich nach Braunschweig zurückkehrte.
Die historischen Objekte finden sich hier häufig mit aktuellen Fragestellungen verbunden. Schön umgesetzt in einer eigens entwickelten raumfüllenden hydraulischen Tischvitrine, die barocke Tafelfreuden hautnah erlebbar und die Bedeutung einer solchen festlichen Inszenierung der Tafelkultur als Machtinstrument barocker Fürsten deutlich macht. Bis heute ist uns diese Tradition vor allem bei Staatsbanketten erhalten geblieben.
Unmittelbares Seherlebnis
Für den Abschluss meiner Museumsrunde habe ich mir ein ganz besonderes Highlight aufgehoben: das Kupferstichkabinett. 156.000 Arbeiten zählt es und gehört damit zu den größten Grafiksammlungen in Europa. Hier geht es fast noch mehr um das richtige Sehen als in den anderen Abteilungen des Museums. Die lichtempfindlichen Papierarbeiten, die stets nur für wenige Wochen gezeigt werden dürfen und anschließend wieder für Jahre ins Archiv wandern, erfahren endlich eine erstaunliche Unmittelbarkeit. Möglich wird das durch spezielle Vitrinen, in denen die Grafiken auf angeschrägter Rückwand fast wie Objekte präsentiert werden.
Wie an einer Reihe von Schaufenstern spaziert der Besucher an den großen Vitrinen entlang. Dank der schräg geführten Glasscheibe und der Position der integrierten blendfreien Beleuchtung meint man, direkt auf die Grafik zu schauen und nimmt das schützende Glas gar nicht wahr. Den oft filigranen Details der Zeichnungen lässt sich auf diese Weise ganz wunderbar nachspüren.