Es ist wie ein Besuch bei alten Freunden. Als ich das heimelige Gelände des Mönchehaus Museums in Goslar betrete, kommt mir alles sehr vertraut vor: das imposante Fachwerkgebäude, der Garten mit Skulpturen namhafter Künstler wie Christo oder Max Ernst, der freundliche Eingangsbereich zum Museum und die Eingangshalle mit Arbeiten bisheriger Kaiserringträger wie Robert Longo, Richard Serra oder Victor Vasarely.
Aus Düsseldorf in den Harz
Bettina Ruhrberg setzt im Mönchehaus Museum neue Akzente
Vor drei Jahren war ich schon einmal hier, um mit der Direktorin Dr. Bettina Ruhrberg über den Kaiserring zu sprechen - eine Auszeichnung, mit der die Stadt Goslar seit 1975 jedes Jahr einen international renommierten Gegenwartskünstler ehrt.
Damals wie heute zeigt das Mönchehaus Museum neben den Ausstellungen der jeweiligen Preisträger weitere hochkarätige zeitgenössische Kunst.
Dennoch hat sich in der Zwischenzeit viel getan. Gesellschaftlich und politisch haben sich weltweit neue Abgründe aufgetan und zeitgenössische Kunst kann sich aktuellen gesellschaftlichen Themen kaum entziehen.
Kann es die Jury, die jährlich über die Vergabe des Kaiserrings entscheidet? „Das Kunsturteil ist nie unabhängig von aktueller gesellschaftlicher Entwicklung“, stellt Ruhrberg gleich zu Anfang klar. Ein Blick in die Geschichte des Kaiserrings macht dies deutlich: Dafür steht zum Beispiel der Künstler Jimmie Durham, der 2016 den Kaiserring erhielt. Er setzte sich früh als Pionier für die indigenen Völker ein, berücksichtigte ihre Perspektive und kritisierte die amerikanische Gesellschaft für die Ausgrenzung anderer Völker. Auch der Künstler Wolfgang Tillmanns passe in diese Kategorie, so Ruhrberg. „Er hat in seiner Kunst sehr früh Geschlechterrollen in Frage gestellt und Toleranz gegenüber vielfältigen Lebensformen gefordert. In seiner Darstellung von neuen Körperbildern, sozialen Rollen und der alternativen Szene war er Pionier.“
Globalisierung in der Kunst berücksichtigen
Der Kaiserring ist ein Exzellenz-Preis, der für eine bereits arrivierte Position in der Kunst vergeben wird. Die Preisträger sind zwar Pioniere mit ihrem Thema, aber keine Neulinge. Inzwischen werden immer häufiger außereuropäische Positionen wie afrikanische und chinesische Kunst berücksichtigt. „Neue Kunstzentren bilden sich heraus“, sagt Ruhrberg. „Heute stehen Künstler im Fokus, die früher gar nicht wahrgenommen wurden.“
Umbrüche in der Kunstwahrnehmung spielen natürlich eine Rolle. „Sie sind zwar nicht alleiniger Anlass, um einem Künstler den Kaiserring zu verleihen, aber sie werden diskutiert“, so Ruhrberg. „Der Kaiserring ist insofern auch ein Spiegel der Zeit.“ Und die Jury wolle auch versuchen, die Globalisierung und gesellschaftlichen Veränderungen mit zu vollziehen. „Die eurozentrierte Sicht soll sich weiten, und somit auch das Kunsturteil.“
Aktuelle Preisträgerin thematisiert Macht und Konsum
Die Werke der diesjährigen Preisträgerin Barbara Kruger sind vor dem Hintergrund der Trump-Regierung aktueller denn je. Sie hat bereits in den 1980er Jahren angefangen, Macht- und Konsumstrukturen zu kritisieren und früh darauf hingewiesen, wohin ein gnadenloser Kapitalismus führen kann. Aber auch die Form ihrer Arbeit habe bei der Entscheidung eine große Rolle gespielt. „Sie ist beispielsweise in den öffentlichen Raum gegangen, um ein sehr breites Publikum zu erreichen, und sie hat ihre berufliche Nähe zum Marketing genutzt und dessen Strategien und Mittel für die Kunst verdichtet und reduziert.“
Ruhrberg möchte gestalten
Ruhrberg selbst kam vor dreizehn Jahren von Düsseldorf nach Goslar. Aus einer der Kunst-Metropolen Deutschlands in den Harz – den Anlass für diese Entscheidung gab Robert Longo, der 2006 den Kaiserring gewann. Ruhrberg betreute den Künstler für eine renommierte Düsseldorfer Galerie. Als die Position des Direktors im Mönchehaus Museum neu besetzt werden musste, fragte der Förderverein kurzerhand sie. Und Ruhrberg nahm an. „Dem Haus über den Kaiserring hinaus ein Profil geben“, war ihr erklärtes Ziel. Ist ihr das gelungen?
„In gewisser Weise schon“, bestätigt Ruhrberg. „Aber natürlich habe ich noch immer Vorstellungen, was ich außerdem erreichen, wo ich noch stärkere Akzente setzen möchte. Beispielsweise würde ich gerne mehr zu aktuellen Fragestellungen in Form von Gruppenausstellungen machen. Oder interessante Themenausstellungen, wie es auch das Kunstmuseum in Wolfsburg macht. Ich versuche im Rahmen unserer Möglichkeiten, über aktuelle Tendenzen zu informieren.“ Derzeit sei zum Beispiel eine Bewegung ökologisch orientierter junger Künstler zu beobachten. Diese machen aktuelle ökologische und klimatische Fragen zum Thema ihrer Kunst und schaffen einprägsame Bilder, die zu neuen Sichtweisen anregen. Der diesjährige Kaiserringstipendiat Andreas Greiner gehöre zu dieser Gruppe.
Ruhrberg realisierte zudem jüngst eine Ausstellung mit der deutsch-türkischen documenta- und Biennale-Teilnehmerin Nevin Alada, die untersucht, inwiefern die aktuelle Gesellschaft von anderen Kulturen durchdrungen ist. „Es finden sich etwa Beispiele des Ornamentalen in der westlichen Kultur und wechselseitige kulturelle Mischformen, die uns gar nicht mehr bewusst sind und zum Alltag gehören.“
Am Museumsleben partizipieren
„Ich möchte das Mönchehaus Museum zu einem lebendigen Ort der Begegnung machen und zu Diskussionen anregen“, sagt Ruhrberg. Dazu wurde unter anderem gerade die neue Reihe „Kunst am Mittag“ geschaffen. Künstlergespräche, Konzerte, Vorträge und Workshops sollen dazu beitragen, auch eigentlich „museumsferne“ Besucher ins Haus zu holen. Mit ihrem Team arbeitet Ruhrberg laufend an neuen Ideen für partizipative Projekte, schafft neue Veranstaltungsformen für Kleingruppen. Identifikation mit dem Museum ist der Direktorin wichtig.
Kulturelles Angebot der Region ist unterschätzt
Das Goslarer Mönchehaus Museum ist nur einer von zahlreichen kulturellen Schätzen der Region. Ich frage Bettina Ruhrberg nach ihrer Einschätzung der regionalen Kulturszene. „Ungeheuer vielfältig“, sagt sie ganz spontan. Aber sie werde überregional nicht so wahrgenommen wie sie es verdiene. Potential, die Zusammenarbeit der verschiedenen Kulturträger weiter auszubauen, sieht sie durchaus. Und auch, die kulturellen Angebote stärker in den Vordergrund zu stellen.
„Die Region ist sehr viel reicher, als ich dachte“, sagt sie, „wird aber traditionell als Kulturregion noch nicht so promotet wie etwa das Rheinland und speziell Düsseldorf.“ Gerade im Harz könnten kulturelle Schätze und historische Städte noch mehr in den Fokus rücken. „Ein Vorhaben, das auch auf unserer Agenda steht.“