Jedes Frühjahr erwarte ich mit Vorfreude die Blüte einer seltenen Schönheit! Ob es heute soweit ist? Das Adonisröschen ist eine besondere Frühblüherin, denn in Europa ist sie rar. Nur an wenigen Orten gedeiht sie und erwartungsvoll besuche ich einen davon. Der Heeseberg im Südosten des Landkreises Helmstedt: eine 200 Meter hohe Erhebung südlich des Naturparks Elm-Lappwald am Rande des großen Bruchs.
Das Adonisröschen –
eine seltene Schönheit erblüht!
Das Liebesspiel der Natur
Der Name Adonisröschen verspricht viel. Adonis, der antike Gott aus der griechischen Mythologie ist bis heute ein Sinnbild für Schönheit. Ursprünglich jedoch war Adonis der Gott über das Pflanzenreich. Der Sage nach war seine Geliebte Aphrodite, die Göttin der Liebe. Doch auch Ares, der Gott des Krieges, verzehrte sich nach Aphrodite. Es kommt, wie es in einer klassischen Herz-Schmerz- Tragödie kommen muss. Ares tötete den schönen Adonis. Dramatisch stirbt Adonis in Aphrodites Armen und ihre Tränen vermischten sich mit seinem Blut. Aphrodite ließ dort, wo die blutroten Tränen den Boden benetzten, kleine zarte Blumen erblühen.
Das Adonisröschen erinnert an dieses mythologische Drama aus der griechischen Götter- und Heldenwelt. Die Frühblüherin auf dem Heeseberg ist allerdings nicht blutrot, sondern gelb. Angepasst an unser kühleres Klima, entwickelte das Frühlings-Adonisröschen eine leuchtendere Farbe. Damit auch keine Schönheit beim Bestäuben durch die Bienen übersehen wird, müssen die Blumen auf Nummer sicher gehen. Die Blütezeit ist kurz und schließlich soll ja das Liebesspiel der Natur seinen Lauf nehmen.
Lust auf mehr
Oben auf dem Heeseberg angekommen erklimme ich als erstes den Aussichtsturm. Der Panoramablick macht Lust auf mehr! Die Natur erwacht gerade aus dem Winterschlaf. Die ersten grünen Knospen sprießen. Alles bekommt endlich wieder Farbe. Genüsslich atme ich den frischen süßen Duft des Frühlings ein. Der Heesebergturm eröffnet mir einen beeindruckenden Blick aus der Vogelperspektive ins Umland. Im Süden erkenne ich den Harz, aus dem sich majestätisch der Brocken erhebt. Schnee liegt noch auf der Bergspitze. Im Norden sehe ich den Elm und an seinem östlichen Rand, die Stadt Schöningen mit den weithin sichtbaren Zwillingstürmen der Klosterkirche St. Lorenz. Einen Moment lasse ich diesen herrlichen Ausblick auf mich wirken.
Von einer Naturattraktion zur nächsten
Unterhalb des Turmes starte ich meine Exkursion und folge dem Geopfad Heeseberg, der mich an die verschiedenen Sehenswürdigkeiten führt. Zum Beispiel den Steinbruch. Mit seinen kugelförmigen Stromatolithen sowie seinem prägnanten Rogenstein ist der Heeseberg schon allein eine Reise wert. Doch voller Ungeduld gehe ich weiter zum Adonisröschenhügel. Vorbei, an den noch leeren Schafweiden, führt mich der Weg. Nach der Adonisröschenblüte ziehen die Schafe über den Heeseberg. Sie halten das Gras niedrig, dämmen das Buschwerk ein und sorgen so für ein besonderes Mikroklima.
Rasenmäher als Brautgeschenk
Seit langem ist der Heeseberg schon in großen Teilen als Natur- und Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen. Auch das Adonisröschen steht unter strengem Naturschutz mit hoher Gefährdungsstufe – denn seine Zahl ist europaweit rückläufig. Durch die intensivierte Landwirtschaft findet es kaum noch geeignete Plätze. Das Adonisröschen benötigt viel Sonne sowie einen Magerrasen. Ohne die Beweidung der Schafe wäre das Adonisröschen wohl nicht geneigt, ihre Gunst dem Heeseberg zu schenken. So umwirbt der Heeseberg sein Adonisröschen jedes Jahr aufs Neue. Rasenmäher als Brautgeschenk sozusagen! Doch Achtung, die kleine Schöne weiß sich vor allzu aufdringlicher Annäherung mit ihren Giftstoffen zu wehren. Schafe wissen das und respektieren sie.
Die kleine Schönheit
Endlich! Da erblicke ich es. Das Adonisröschen. Klein, ja fast unscheinbar kommt es daher und erst auf den zweiten Blick offenbart sich die Schönheit. Dass Aphrodite diese Form für ihre unsterbliche Liebe zu Adonis wählte, macht sie sympathisch. Ganz offensichtlich waren der antiken Göttin Eitelkeiten fremd. Schüchtern reckt die kleine Schönheit ihr Köpfchen in die Sonne. Ihre Wuchshöhe ist niedrig, ihr Stängel fein gefiedert. Eine kurze Kälteperiode stört die Blume nicht. Sie schützt sich, indem sie ihre Blüte fest verschließt. Dadurch ähnelt sie ihrer Namenspatin der Rose. Erst bei wärmendem Sonnenschein entfaltet das Adonisröschen seine länglichen, gelb dominant leuchtenden Kronblätter. Dann erinnert ihre zarte Blüte an eine Kakteenblüte. Und das ist nicht verwunderlich, denn ursprünglich stammt das Adonisröschen aus trockenwarmen Steppengebieten des ostasiatischen Raumes.
Blume mit Reiselust
Irgendwie hat es diese Blume bis in unsere Region geschafft. So sind die unter Naturschutz stehenden Areale des Südhanges gesprenkelt mit ihren gelben Farbtupfern. Die klimatischen Verhältnisse am Südhang sind einzigartig. Viele Tierarten tummeln sich hier und mit etwas Glück erspäht man kleine Zauneidechsen beim Sonnenbaden. Durch günstige Windverhältnisse heizt sich der Südhang schnell in der Sonne auf und es entstehen mediterrane Temperaturen. Sogar Weißwein wurde einst für den Hof des Herzogs von Braunschweig am Südhang des Heeseberges angebaut. Aber das ist schon Jahrhunderte her und eine andere Geschichte.
Ruhe in voller Pracht
Am höchsten Punkt des Südhanges lädt mich eine Sitzbank zum verweilen ein. Ich genieße die wärmenden Sonnenstrahlen auf meiner Haut, lausche verträumt dem fröhlichen Vogelgezwitscher und lasse meine Augen über das Land schweifen. Überall sehe ich kleine, gelbe Schönheiten. Der warme Südhang des Heeseberges erstrahlt nun wieder in der vollen Blütenpracht des Adonisröschens!