Man sieht Dr. Reich im Schaumagazin. Beate Ziehres

Das Staatliche Naturhistorische Museum
– ein Ort zum Staunen und Lernen

Nachts im Museum – der Stoff für großes Kino. Beate Ziehres hat es zu dieser Zeit ins Staatliche Naturhistorische Museum Braunschweig geführt. Dort trifft sie nicht den Nachtwächter, sondern den neuen Museumsdirektor Dr. Mike Reich. Und alle Besucher treffen dort ab dem 12. April 2022 die frisch geschlüpften Osterküken.

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In seiner Brust schlagen drei Herzen, sagt Dr. Reich: für die Biowissenschaften, die Geowissenschaften und Wissenschaftsgeschichte. Aufgrund dieser Vorlieben hat ihn die Aufgabe, das Naturhistorische Museum Braunschweig zu leiten, besonders gereizt. „Schließlich ist es eines der ältesten naturkundlichen Museen weltweit. Die Sammlungen des Museums sind die reinste Fundgrube für mich“, schmunzelt Reich. Seit Jahresbeginn ist der gebürtige Brandenburger nach einer mehr als siebenjährigen Stippvisite in Bayern wieder zurück in Norddeutschland.

Mike Reich hat in Greifswald Geologie-Paläontologie und Zoologie studiert und auch später immer wieder für Museen im äußersten Nordosten der Republik gearbeitet. Weitere Stationen seiner Laufbahn waren Innsbruck, Hannover und Göttingen. Außerdem arbeitete Reich als Gastdozent an zwei chinesischen Universitäten.

Die Sammlungen des Museums sind die reinste Fundgrube für mich.

PD Dr. Mike Reich, Museumsdirektor des Stattlichen Naturhistorischen Museums Braunschweig

Nach diesem kleinen geistigen Ausflug in die weite Welt gehen wir in die Schatzkammer. Auf dem Weg durch dunkle Fluren und Treppenhäuser muss der Museumsdirektor zahlreiche Lichter anknipsen. Die Tür zur Schatzkammer öffnet sich wie bei Ali Baba in „Tausendundeine Nacht“ wie von Zauberhand. Nun erblicke ich die wundersamsten Schätze aus der Sammlung Herzog Carls I. von Braunschweig und Lüneburg.

Die Schatzkammer ist einer der Lieblingsräume des neuen Museumsdirektors. „Hier werden einige ganz besondere Stücke aus dem 17. und 18. Jahrhundert gezeigt. Es handelt sich um die ältesten und wertvollsten Objekte des Museums“, erklärt Dr. Reich. Ich bestaune kunstvoll verzierte Venusmuscheln aus dem 17. Jahrhundert, das weltweit einzigartige Paar Strümpfe aus Muschelseide und den Embryo eines Indischen Elefanten, der sogar schon Goethes Aufmerksamkeit erregt haben soll.

Man sieht Dr. Mike Reich und den Elefantenembryo (links oben im Bild). Beate Ziehres
Dr. Mike Reich und der Elefantenembryo (links oben im Bild).

Hier in der Schatzkammer lerne ich auch die Ursprünge des Naturhistorischen Museums kennen. Den Grundstock für die Sammlung legte ab den 1660er-Jahren Herzog Ferdinand Albrecht I. von Braunschweig und Lüneburg. In seiner Wunderkammer auf Schloss Bevern sammelte er Kunstgegenstände und seltene naturkundliche Objekte. Etwa 20 Jahre später legte auch Ferdinand Albrechts Bruder Herzog Anton Ulrich eine Wunderkammer in Salzdahlum an.

Herzog Carl I., ein Urenkel von Herzog Anton Ulrich, erbte viele der erstaunlichen Objekte aus den beiden Wunderkammern. Im Jahr 1754 eröffnete er ein Kunst- und Naturalienkabinett, in dem die Sammlungen öffentlich gezeigt wurden. Aus diesem ersten Museum Deutschlands gingen später das Staatliche Naturhistorische Museum und das Herzog Anton Ulrich-Museum hervor.

Nach der Besichtigung der historischen Kostbarkeiten lässt uns die elektrische Sesam-öffne-dich-Tür erfreulicherweise wieder hinaustreten auf den dunklen Flur. Wir steuern jetzt das Schaumagazin an. Dr. Reich schaltet das Licht an, oder sollte ich passender sagen: Er fährt die Beleuchtung hoch.

Exotische Lebewesen im Schaumagazin

Ich erblicke linkerhand lange Reihen furchteinflößender Insekten und wundersamer Amphibien, Reptilien und Meeresbewohner, die in Gläsern mit Flüssigkeit konserviert sind. Rechterhand sind Säugetiere und Vögel aus allen Teilen der Erde zu sehen. Das Schaumagazin ist einer der Orte des Naturhistorischen Museums, an dem sich der neue Direktor am liebsten aufhält. „Die meeresbewohnenden Organismen gefallen mir hier am besten“, sagt er.

Tatsächlich könnte ich hier stundenlang schauen, zuordnen und mich wundern über die Geschöpfe, die die Natur hervorbringt und -gebracht hat. Mehr als 500 meist historische Präparate, die aus Platzgründen bisher in den Depots des Museums lagerten, werden im Schaumagazin im Stil des späten 19. Jahrhunderts präsentiert. Kein bisschen altmodisch: Antworten auf meine Fragen wie „Was ist das für ein Tier im 37. Glas von links in der dritten Reihe von oben?“ liefern zwei Medienstationen in der Mitte des Raumes. Über große Touchscreens lassen sie sich einfach bedienen.

Die gezeigte Medienstation gibt Auskunft über die Präparate im Schaumagazin. Beate Ziehres
Medienstationen geben Auskunft über die Präparate im Schaumagazin.

Das Schaumagazin und die Schatzkammer zählen neben dem Entdeckersaal und dem Vogelsaal zu den modernisierten Ausstellungsbereichen des Naturhistorischen Museums. „Ausstellungen, die älter als zehn Jahre sind, sind eigentlich fragwürdig“, sagt Mike Reich. Deshalb gilt sein Hauptaugenmerk jetzt dem schon älteren großen Lichtsaal und dem benachbarten Fossiliensaal. Ideen zur Neugestaltung gibt es schon. „Doch neue Ausstellungen sind teuer, wir müssen dafür Drittmittel einwerben“, sagt der Direktor. Eine neue Dauerausstellung zum Thema Mineralien wurde bereits von Reichs Vorgänger, Prof. Dr. Ulrich Joger, initiiert. „Wir hoffen, dass wir die Mineralienausstellung aller derzeitigen Widrigkeiten zum Trotz im Dezember eröffnen können“, so Dr. Reich.

Bereits bei seinem Antrittsbesuch im Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur hat Reich mit Minister Björn Thümler über die bisher fehlende Sonderausstellungsfläche im Naturhistorischen Museum gesprochen. „Mögliche Lösungsvorschläge wurden wohlwollend aufgenommen“, berichtet der Museumsdirektor. Dank der großen Bandbreite der Sammlung möchte er regelmäßig Sonderausstellungen zu aktuellen Themen ins Veranstaltungsprogramm aufnehmen.

Sonderausstellung "Facettenreiche Insekten"

Die aktuelle Wanderausstellung „Facettenreiche Insekten“ ist in Ermangelung einer Sonderausstellungsfläche im vormaligen Insektensaal des Naturhistorischen Museums zu sehen. Das Naturhistorische Museum Braunschweig konzipierte die Ausstellung, die sich mit der Vielfalt, der Gefährdung und dem Schutz von Insekten befasst, gemeinsam mit dem Zoologischen Museum des Leibniz-Instituts zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB) in Hamburg.

„Die Ausstellung basiert auf einer Studie aus dem Jahr 2017. Diese kommt zu dem Ergebnis, dass in den vergangenen Jahrzehnten sowohl die Artenvielfalt als auch deren Häufigkeit sehr stark abgenommen hat“, sagt Dr. Reich. Dabei sind Insekten die artenreichste Gruppe aller Lebewesen. Sie stellen mehr als 70 % der Tierarten weltweit. Die interaktive Sonderausstellung „Facettenreiche Insekten“ will für die ökologische Bedeutung der Insekten sensibilisieren und zum aktiven Insektenschutz einladen.

Besonders im Modul Lebensräume geht es um den Artenverlust, beispielsweise bei standorttreuen und hochspezialisierten Schmetterlingen. „Feuchtgebiete werden trockengelegt, Steinvorgärten angelegt und offene Landschaften aufgeforstet. So verschwinden zahlreiche Lebensräume. Wir müssen an einigen Stellen deutlich sagen, dass die Hälfte der 3700 Arten, die  in Deutschland vorkommen, gefährdet ist. Einige wurden seit 50 oder 100 Jahren nicht mehr gesichtet“, verdeutlicht Reich das Anliegen. Die Ausstellung wird für etwa sechs Monate in Braunschweig und danach in weiteren Städten in Norddeutschland zu sehen sein.

Man sieht das Präparat einer Mauerbiene als Bestandteil der Ausstellung. Staatliches Naturhistorisches Museum Braunschweig
Mauerbiene als Bestandteil der Ausstellung.
Blick in die Ausstellung „Facettenreiche Insekten“. Staatliches Naturhistorisches Museum Braunschweig
Blick in die Ausstellung „Facettenreiche Insekten“.
Ausflug in die bunte Welt der Insekten. Staatliches Naturhistorisches Museum Braunschweig
Ausflug in die bunte Welt der Insekten.
Insekten bei der Arbeit – ebenfalls ein Thema der Sonderausstellung. Staatliches Naturhistorisches Museum Braunschweig
Insekten bei der Arbeit – ebenfalls ein Thema der Sonderausstellung.
Man sieht das Präparat einer Mauerbiene als Bestandteil der Ausstellung. Staatliches Naturhistorisches Museum Braunschweig
Blick in die Ausstellung „Facettenreiche Insekten“. Staatliches Naturhistorisches Museum Braunschweig
Ausflug in die bunte Welt der Insekten. Staatliches Naturhistorisches Museum Braunschweig
Insekten bei der Arbeit – ebenfalls ein Thema der Sonderausstellung. Staatliches Naturhistorisches Museum Braunschweig

Museum als Ort zum Lernen

Für das Frühjahr 2023 kündigt der Museumsdirektor eine Sonderausstellung zur Verschmutzung der Weltmeere an. Der Titel: „Planet or Plastic“. „Wir lassen beim Konzipieren von Sonderausstellungen natürlich auch den Publikumsgeschmack nicht außer Acht. Dinosaurier gehen immer“, schmunzelt er. Trotzdem ist es ihm wichtig, auch Themen zu präsentieren, die nicht so angesagt sind.

„Wir müssen immer wieder daran erinnern, dass kein Raubbau an der Natur betrieben werden sollte. Wir dürfen den Finger erheben, wir dürfen mahnen. Zu unseren Zielgruppen zählen insbesondere Kinder, denen wir gerne auch mit spielerischen Methoden schon sehr früh Wissen vermitteln wollen“, sagt Dr. Reich.

Nach diesem Schlusswort begeben wir uns durch das dunkle Museum zum Hinterausgang und treten hinaus in die Nacht. Alle Exponate sind an ihrem Platz geblieben. Die einzigen lebenden Kreaturen im Staatlichen Naturhistorischen Museum sind nun die Fische, Reptilien und Amphibien in den Aquarien und Terrarien.