„Wir lachen jeden Tag.“ Melanie Bänsch blickt schon ein wenig stolz in die Runde. Zehn syrische Frauen sitzen in einem Nebengebäude des SOS-Mütterzentrums in Salzgitter-Bad um einen großen Tisch zusammen. Alle haben etwas zu essen mitgebracht, der Geräuschpegel ist hoch, es wird fröhlich geschwatzt. Fast wie auf einem arabischen Markt, so kommt es mir vor. Doch dass die Stimmung so gelöst ist, ist nicht selbstverständlich. Die Frauen und ihre Familien haben einen langen, beschwerlichen und traumatisierenden Weg hinter sich. Sie sind gerade erst dabei, ihre Lebensfreude wiederzuentdecken. Und einige von ihnen erleben ihr erstes Weihnachten in Deutschland.
Fern der Heimat
– Wie zehn syrische Frauen Weihnachten in Salzgitter erleben
Sich vertraut machen
Wieder im Alltag ankommen, die Sprache lernen, auf das Berufsleben vorbereitet werden – die kleine Gruppe syrischer Frauen, die sich im Rahmen einer Maßnahme des Jobcenters an fünf Tagen in der Woche trifft, hat viele Ziele. „Wir bieten den Frauen konkrete Hilfe im Alltag“, sagt Melanie Bänsch, die die Gruppe betreut. „Und wir möchten ihnen auch unsere Kultur näherbringen.“ So wird nicht nur über die Inhaltsstoffe von Lebensmitteln im Supermarkt gesprochen, sondern auch mal gemeinsam „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry gelesen – in Deutsch und Arabisch.
Natürlich wurde in den letzten Wochen auch viel über Weihnachten gesprochen. Was gefällt ihnen denn an Weihnachten in Deutschland, möchte ich wissen. Die Frauen, die seit fünf Jahren nur noch Krieg und Zerstörung kennen und in deren Gedanken das Erlebte nachhallt, sind sich einig: die Fröhlichkeit, die schöne Dekoration, die friedliche Stimmung. „Wenn man all diese Lichter sieht, wird man unbewusst fröhlicher“, sagt Sohad Askoul, die mit ihrer Familie schon den Braunschweiger Weihnachtsmarkt besucht hat. Mit deutschen Familien gibt es leider so gut wie keinen Kontakt, nur über das SOS-Mütterzentrum. „Das SOS-Mütterzentrum ist für uns ein Ort geworden, wo wir atmen können und auf andere Gedanken kommen. Sonst merkt keiner, dass wir existieren.“ Melanie Bänsch hat schon viel mit der Gruppe unternommen, hat im Sommer mit den Frauen am Reihersee im Salzgitter Höhenzug gepicknickt oder ihnen das Fachwerk in Goslar gezeigt. „Mit Melanie haben wir unseren Krieg vergessen“, meint auch Nassira Tawiel.
Weihnachten hier und dort
Und so erleben die neun muslimischen Frauen und die syrische Christin Eiva im Laufe der Adventszeit noch so einiges an deutscher Weihnachtskultur: Melanie Bänsch backt mit ihnen Weihnachtsplätzchen und auch einen der traditionellen Weihnachtsfilme möchten sie gemeinsam anschauen. Ein Weihnachtsmarktbesuch in der Region steht ebenfalls noch auf dem Programm. Ist das nicht eigenartig, wenn sich die kulturellen Traditionen so vermischen, frage ich. Wie war das in Syrien?
„Manchmal sitzen dort zehn Frauen zusammen, alle mit unterschiedlicher Religion oder Glaubensrichtung“, erzählt Nisreen Abd Allah. Die Religionen begegnen einander mit mehr Toleranz. Man trifft sich bei gemeinsamen Essen, im Beruf und in der Familie. So bekomme man schon etwas mit von den Traditionen der anderen Glaubensrichtung. An Weihnachten kommen auch viele muslimische Familien zusammen und bereiten gemeinsam ein traditionelles Gericht zu, auch wenn die christlichen Bräuche bei ihnen keine Rolle spielen.
Rituale müssen sein
Ich frage die einzige Christin in der Runde, Eiva, wie sie Weihnachten in ihrer Heimat gefeiert hat. Ähnlich wie bei uns gehöre der Heiligabend der Familie, erst am nächsten Tag würden Freunde und weitere Familienmitglieder besucht. Begangen wird die Feier traditionell beim Familienältesten. Zum Gottesdienst ziehen die syrischen Christen aus Eivas Familie mit Kerzen in der Hand.
Abends kommt der Weihnachtsmann – Papa Noel – und bringt Geschenke, die von den Eltern vorher bei ihm abgeliefert wurden. Freiwillige aus der Kirchengemeinde übernehmen in der Regel diese schöne Aufgabe. Auch sie selbst habe als Weihnachtsmann verkleidet die Kinder beschenkt, sagt Eiva. „Das Kostüm konnte ich bei der Flucht nicht mitnehmen“, erzählt sie bedauernd.
Der eigentliche Glanz der Weihnacht
Die Heiterkeit weicht schnell wieder einer ernsteren, fast feierlichen Stimmung, als ich meine letzte Frage in die Runde stelle: Was wünscht Ihr Euch zu Weihnachten? Frieden, sagen fast alle Frauen spontan. Dass in Syrien kein Krieg mehr herrscht und alle, die noch in der Heimat verblieben sind, wieder zusammenfinden. „Meine Mutter lebend wiederzusehen“, meint Fatima Kasem leise. Oder den Sohn, den es nach Schweden verschlagen hat. „Zufriedenheit“ höre ich auch mehrmals. Nihaya Amarah würde gerne im nächsten Jahr einen Mann kennenlernen und heiraten – zur Normalität zurückfinden, ein nachvollziehbarer Wunsch. Als Letzte ist noch mal Eiva dran. „Liebe“, sagt sie. Dass die Menschen miteinander auskommen. „Und Glaube. Egal, welcher Glaube. In Syrien sagte man ursprünglich: Der Glaube ist für Gott, das Land ist für alle da.“