Die Helmstedter nennen den kleinsten und romantisch mitten im Lappwald gelegenen Teil der Stadt liebevoll Brunnental. Auf dem Ortschild steht jedoch „Bad Helmstedt“ und ja, die 150-Seelen-Siedlung war im 19. Jahrhundert ein überregional bedeutender Kurort. Heute sind die stark schwefel- und kohlensauren Quellen versiegt und die Kurhotels verschwunden. Trotzdem darf die Siedlung den Namenszusatz „Bad“ wegen ihrer ehemaligen Bedeutung als Kurort führen.
„Kein Handy-Empfang, aber gute Unterhaltung“
Brunnentheater in Bad Helmstedt
Heute pilgern die Helmstedter nicht nur zum Durchatmen und Flanieren ins Brunnental, einem von 100 zeitORTEn in der Region Braunschweig-Wolfsburg. Sie kommen auch, wenn ihnen nach kulturellen Genüssen zumute ist. Denn am Standort des 1815 eröffneten Kurtheaters Bad Helmstedt baute ab 1924 Max Herbst, damaliger Besitzer des angrenzenden Hotels „Gesundbrunnen“, ein neues Brunnentheater.
Nostalgisches Theater mitten im Wald
In genau diesem Theater bin ich jetzt mit Holger Becker und Jörg Holtz verabredet. Jörg Holtz ist gelernte Fachkraft für Veranstaltungstechnik, Theaterwart, Spielleiter und für alles, was im Theater vor sich geht, zuständig.
Holtz hat im Jahr 2000 bei der Stadt Helmstedt, der Besitzerin des Brunnentheaters, angefangen und kennt das bald hundert Jahre alte Gemäuer wie seine Westentasche. Mit dem Geschick eines Affen klettert Jörg Holtz hoch unter das Dach des Bühnenraums, um vor der Vorstellung die Scheinwerfer einzurichten.
„Früher bedienten oft ehemalige Seeleute die Handkonterzüge für die Kulissen. Und auch was das Hochklettern angeht hat das Brunnentheater schon starke Ähnlichkeit mit einem großen Segelschiff“, schmunzelt Holtz.
Bühnenboden trägt seit fast einem Jahrhundert
Neben den Handkonterzügen und den Treppenhäusern sind auch die Bretter, die die Welt bedeuten, in Helmstedt noch aus den 1920er-Jahren. Das kann ich dem Boden jedoch nicht ansehen. „Der Holzboden wird jedes Jahr aufgearbeitet“, erklärt der Theaterwart.
So werden die Spuren des Schweißes, den Theaterleiter Holger Becker vor rund 40 Jahren an dieser Stelle vergossen hat, nicht mehr nachweisbar sein. „Ich stand tatsächlich mit Gitti und Erika, G. G. Anderson und Nicole – die „Ein bisschen Frieden“ gesungen hat – auf dieser Bühne“, erinnert er sich. Anlass war eine Liveübertragung der Fernsehsendung „Blick ins Land“ und Holger Becker war damals als Chorknabe dabei. „Am Schluss sangen alle zusammen ‘White Christmas‘“, sagt Becker und wird fast ein bisschen sentimental.
Heute ist er als Theaterleiter selbst für das Programm verantwortlich. Dabei hat Becker aber festgestellt, dass Fernsehserien wieder ein großes Thema sind, wenn auch nicht als Liveübertragung, sondern in Bearbeitungen für die Bühne. „Wir haben jetzt im April beispielsweise Ekel Alfred hier zu Gast und ein paar Tage später die ‚Golden Girls‘ von der Komödie am Altstadtmarkt.“
„Spielplanmachen macht Spaß“
Was beim Publikum gut ankommt und was weniger gut läuft musste Holger Becker erst lernen, als er vor nicht allzu langer Zeit Verantwortung für das Brunnentheater übernommen hat. „Ich war erst mal begeistert, als der Bürgermeister fragte ‚Willst Du nicht Theater machen?‘. Dann habe ich bemerkt, dass man nie vorhersehen kann, welche Stücke gut laufen. Erfahrene Kollegen sagten mir sogar, dass man das Spielplanmachen nicht lernen kann. Aber Spaß macht es trotzdem“, sagt Becker.
Eine Umfrage hat gezeigt, dass die Abonnenten zufrieden sind mit dem Programm. Und so bemüht sich Becker um eine bunte Mischung aus Musical-Zusammenstellungen, Produktionen mit qualitativ hochwertigen Coverbands und Kassenschlagern wie dem Ohnsorg-Theater. Wenn Heidi Mahler mitkommt ins Brunnentheater, sind alle 615 Plätze besetzt. Doch nicht nur dann.
Bei einem meiner zahlreichen Besuche im Brunnental rockte eine Queen-Coverband das altehrwürdige Haus. Der Balkon bebte und das Publikum – Durchschnittsalter wahrscheinlich über 70 – raste. Die Stimmung hätte nicht besser sein können, wenn Freddie Mercury höchstpersönlich „We are the Champions“ und „We will rock you“ angestimmt hätte.
Im Brunnentheater mögen noch einige Features original aus den 1920er-Jahren stammen. Das Programm zählt definitiv nicht dazu. „Zur Eröffnung gab es damals die ‚Gräfin Mariza‘. Es war ein großer Erfolg. Und auch in den folgenden Jahren standen viele Operetten und Opern auf dem Programm. Das geht heute gar nicht mehr“, weiß der Theaterleiter.
Kleinkunst, Musicals und neue Formate
Dafür erfreuen sich seit einigen Jahren Kleinkunstvorstellungen so großer Beliebtheit, dass es ein eigenes Kleinkunst-Abo gibt. Auch neue Formate wie eine sonntägliche Matinee mit dem Staatsorchester Braunschweig werden gut angenommen. Nach einem gemeinsamen Frühstück gibt es beispielsweise Beethoven live und in höchster Qualität.
Bei Musicals schmelzen hingegen Kinder und junges Publikum dahin. „Viele junge Leute entdecken gerade das Theater wieder für sich“, stellt Holger Becker fest. Das ganz junge Publikum fesselt er mit dem alljährlichen Weihnachtsmärchen. In diesem Winter hat Becker eine klassische Schneewittchen-Aufführung gebucht. „Die Kinder haben gelacht und sich gut amüsiert, es gab sogar Szenenapplaus. Und das ganz ohne Smartphone“, freut sich Holger Becker, der davon träumt, einen Theaterpädagogen zu beschäftigen.
Das Läuten eines Smartphones stört übrigens höchst selten bis nie eine Vorstellung im Brunnentheater: Der Empfang ist in Bad Helmstedt gleich Null. „Trotzdem bieten wir hier draußen gute Unterhaltung“, schmunzelt Becker.
Kleines Paradies – Spaziergang im Brunnental
Nachdem ich mich von Jörg Holtz und Holger Becker verabschiedet habe, zieht mich nichts zurück an den Schreibtisch. Stattdessen drehe ich noch eine Runde um die beiden Teiche, um die sich gewissermaßen Bad Helmstedt gruppiert.
Zu Füßen des Brunnentheaters liegt der Kurpark, den seit ein paar Jahren moderne Skulpturen aus Velpker Sandstein bereichern. Hier lässt es sich zu jeder Jahreszeit prima lustwandeln. Ich überquere die Straße nach Beendorf und komme an den großen Clarabadteich. Das Clarabad selbst, mit dem einst Forstmeister Alers den Kurbetrieb in Bad Helmstedt begründete, fiel leider kürzlich der Abrissbirne zum Opfer.
Bis zu seiner Schließung vor einigen Jahren war das Café Clarabad ein beliebtes Ziel für Sonntagsausflüge. Das etwas nostalgisch-düstere Ambiente im Inneren wurde von hervorragenden Torten mit Leichtigkeit wettgemacht.
So bleibt den Spaziergängern als Beschäftigung jetzt nur noch, die Enten zu füttern. Ich spaziere am Südufer des Teichs entlang, mache einen Abstecher zum Grab des Forstmeisters Alers und auf den Burgberg.
Die gut im Wald versteckten Reste der Burgruine weisen auf eine mittelalterliche Besiedlung des Brunnentals hin. Nun kehre ich zurück ins Tal und komme an den Quellenhofteich. Hier im Quellenhof könnte ich mich stärken, wenn ich Hunger hätte. Die Terrasse und der Biergarten mit Blick auf den Teich sind in den wärmeren Jahreszeiten beliebt.
Vorbei an einer großen Familie von Nilgänsen und anderen Wasservögeln komme ich zum Berliner Bären. Von hier aus führt die Straße wieder auf den Hügel zum Brunnentheater, Helmstedts Kleinod im Lappwald. Unmissverständlich fordert mich die Uhr auf, dieses Paradies zu verlassen. Doch ich komme wieder, keine Frage.
Dieser Beitrag wurde für den Blog der zeitORTE verfasst von Beate Ziehres.