Es ist ein sommerlich warmer Tag. Die Grillen zirpen. Unser Ziel heute: das 150-Seelen-Dorf Lüben in Kreis Gifhorn, sieben Kilometer nördlich von Wittingen. Lüben ist wie erwartet ein idyllischer Ort mit liebevoll sanierten Gehöften und Fachwerkhäusern. Und doch spüren wir sofort eine besondere Atmosphäre. Denn in Lüben findet gerade – wie alle zwei Jahre – die internationale Werkstattwoche statt. Künstler aus aller Welt arbeiten zehn Tage im Ort und im Umland an ihren Werken. Dass Besucher und Ortsansässige ihnen dabei über die Schulter schauen, ist durchaus erwünscht.
Kunst und Toleranz
Internationale Werkstattwochen in Lüben
Hilfsbereit weist man uns so auch den Weg zur „Lübener Tenne“, einem der zentralen Orte während der Werkstattwoche. Dort arbeiten nicht nur zahlreiche der teilnehmenden Künstler, auch ist das Gasthaus der Familie Wolter mit dem lauschigen Innenhof immer wieder Treffpunkt für Künstler und Organisatoren. Hier kommt man ins Gespräch, tauscht sich über die vielfältigen künstlerischen Erfahrungen aus, findet auch mal Hilfe, wenn Not am Mann ist.
Künstlerischen Austausch fördern
Und genau so ist es ursprünglich von den Gründern auch gedacht gewesen. Kurz nach der Grenzöffnung 1989 suchte der Altmarker Künstler Klaus Finger nach Möglichkeiten zum Austausch zwischen Künstlern aus Ost und West. Mit Unterstützung der damaligen Vorsitzenden des Wittinger Kulturvereins Barbara Berger organisierte er das erste gemeinsame Arbeiten in einer Wittinger Lagerhalle. Unter Trägerschaft der Stadt Wittingen fand 1991 schließlich die erste Werkstattwoche mit Teilnehmern aus Ägypten, Deutschland, England und Polen in Lüben statt. Heute ist das Symposium globaler geworden: 21 Künstler aus zwölf Ländern – neben Europa auch aus dem afrikanischen, asiatischen und südamerikanischen Raum – wurden von einer unabhängigen Fachjury ausgewählt und zur diesjährigen 14. Werkstattwoche nach Lüben eingeladen.
Vielfältige Zusammensetzung
Die richtige Mischung spielt dabei eine große Rolle. Fast alle künstlerischen Techniken sind vertreten. Angefangen bei der Malerei über Fotografie, Bildhauerei und Installation bis hin zu innovativen Richtungen wie Graffitikunst – die übrigens heute noch an zahlreichen Gebäuden in Wittingen zu sehen ist.
Etwa zwei Drittel der Künstler nehmen bereits zum wiederholten Mal am Symposium teil, die übrigen sind ‚Neulinge‘. „Daraus ergibt sich ein Geben und Nehmen“, berichtet Ursula Brüns, die ehemalige Vorsitzende des Kulturvereins Wittingen. „Ein belebender Faktor“, der für eine positive Gruppendynamik wichtig sei. Gerade auch, weil die Teilnehmer zu Beginn ein Motto festlegen müssen, nach dem gearbeitet wird. Das Motto soll einen intensiveren Fachaustausch und einen leichteren Einstieg in die Kommunikation ermöglichen. Und nicht zuletzt auch zur Nachhaltigkeit der Veranstaltung beitragen. In diesem Jahr wollen sich die Künstler mit dem Thema „Reduzieren“ auseinandersetzen.
Spannend, was uns beim Rundgang durch das Dorf an ersten Ergebnissen zu diesem Motto begegnet: etwa die puristischen, auf das Nötigste reduzierten Grashalme, die Doris Weiß mit gekonnten Pinselstrichen auf Pergamentpapier geworfen hat, oder die klaren Farbflächen und Strukturelemente der Niederländerin Hieke Veenstra, die Landschaftliches erahnen lassen. Unterm Dach des Lübener Museums treffen wir Klaus Müller, versunken in klare Landschaften aus Baum, Feld und Straße, die er mit einem speziellen Fineliner aufs Papier bannt. Wunderbar aber auch die Orte, an denen diese Kunst entsteht: im diffusen Licht der alten Kartoffelscheune, mitten in den unzähligen historischen Alltagsgegenständen des Lübener Museums oder eingerahmt von Jagdtrophäen aus längst vergangenen Zeiten.
Keine Berührungsängste
Die Kunst in die Region zu tragen und erlebbar für die Bevölkerung zu machen – das funktioniert hier vorbildlich. Nicht nur, dass die Künstler während ihres Aufenthalts bei den Lübener Bürgern untergebracht sind, die Lübener engagieren sich auch noch auf vielen anderen Wegen in und um das Symposium, suchen das Gespräch mit den Künstlern, wenn sie ihnen im Dorf oder in der Feldmark begegnen. „Viele Besucher treibt es aus Neugier hierher, die sonst nie eine Galerie besuchen würden“, meint Doris Weiß, die das künstlerische Management übernommen hat. „Plötzlich erfahren sie einen Zugang zur Kunst, können eine Arbeit mit einer Person in Verbindung bringen und das Eis ist gebrochen.“ Lüben macht Kunst erlebbar, und zwar über alle Altersgruppen hinweg.
Schüler von weiterführenden Schulen der Region erhalten beispielsweise die Möglichkeit, am Künstlersymposium teilzunehmen und mit den Künstlern zu arbeiten. Sie lernen Arbeitsweisen und Verfahren kennen, die über den schulischen Bereich hinausgehen, und bekommen im besten Fall Motivation und Impulse für die eigene Kreativität mit auf den Weg. „Die Schüler arbeiten mit den Künstlern einen ganzen Tag lang eng zusammen “, berichtet Katrin Kern, die gemeinsam mit Natascha Engst-Wrede für die pädagogische Betreuung verantwortlich ist. Die Zusammenkunft trägt aber offenbar Früchte, denn aus den Schülertagen und der Nachwuchsförderung ist schon der ein oder andere ins Kunststudium gewechselt und findet sich heute auf den Teilnehmerlisten der Werkstattwoche wieder.
Und auch eine Strahlkraft über die Region hinaus kann das Symposium für sich verbuchen: Die Künstler laden sich gegenseitig ein, inzwischen fand bereits die siebte Ausstellung im Ausland statt. Folgeausstellungen in Wittingen, Gifhorn und Wolfsburg sind geplant. Die Resultate der Werkstattwoche können aber zunächst einmal am Wochenende in der Lübener Tenne begutachtet werden.
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