Blick auf die Neuwerkkirche in Goslar. Jörg Scheibe

Neuwerk in Goslar: Alte Kirche, neue Ideen

Eine wunderschöne romanische Kirche aus dem 12. Jahrhundert, eine rege und kreative Pfarrgemeinde, eine Kirchenstiftung, die christliches Leben bewahren und klösterliches Leben in moderner Form ermöglichen will, und Stadtschreiber, die künftig mit dem anspruchsvollen Titel „WortWerker*innen jedes Jahr für einige Monate in einem 1.100 Jahre alten Wohnturm residieren und schreiben sollen. Das alles steht für die Neuwerkkirche und das ehemalige Kloster Neuwerk in Goslar.

Beide Gebäude befinden sich am Rande der Goslarer Altstadt, nur wenige Meter von der belebten Zugangsstraße in die Innenstadt entfernt, aber abgeschirmt durch Reste der mächtigen früheren Stadtmauer. Ich gehe durch das Mauertor und betrete ein Gelände, zu dem auch ein romanischer Kräutergarten gehört, fühle mich gleich in eine andere Welt versetzt. Dies ist ein Ort der Ruhe, der Einkehr und der Besinnung.

Ein stilreines Beispiel romanischer Kirchen-Architektur

Ich spreche mit Gabriele Radeck-Jördens, Stiftungskuratorin, und mit Sabine Fontheim, Vorstand der Stiftung Kloster Neuwerk Maria in Horto über ihre Arbeit und ihre Pläne. Dabei machen wir einen Rundgang durch das Kirchengelände. Mich haben romanische Kirchen schon immer begeistert. Sie beeindrucken mich mit ihren klaren und einfachen Strukturen, sowohl innen als auch außen. Davon gibt es in der Neuwerkkirche jede Menge. Sie wurde vor 850 Jahren erbaut und seitdem nicht mehr verändert oder umgebaut. „Es ist ein Juwel, ein stilreines Beispiel für romanische Kirchen-Architektur, wie man sie in Norddeutschland nirgends mehr findet“, erklärt mir Gabriele Radeck-Jördens. Von der „unglaublichen Schlichtheit“ des Baus ist auch Sabine Fontheim fasziniert. Besonders beeindruckt sie der hohe Chor mit dem großen Wandgemälde, das eine thronende Maria darstellt. „Wenn man hier in einem Gottesdienst oder in einer Andacht sitzt, entsteht eine ganz besondere Stimmung, die nur schwer in Worte zu fassen ist“, meint sie: „Man findet hier gut zu sich selbst und zu seinem Glauben.“

Am Anfang war ein Nonnenkloster 

Gabriele Radeck-Jördens erzählt, dass die Neuwerkkirche eines von zwei Gebäuden in der Stadt war, die die UNESCO ausdrücklich erwähnt hat, als sie 1992 die Goslarer Altstadt und den Rammelsberg zum Weltkulturerbe erklärte. Internationale Kultur-Experten haben also diese Kirche geschätzt, was in der Stadt selbst – so deutet sie an – nicht immer der Fall gewesen sei. Die Kirche hat eine wechselvolle Geschichte mit durchaus turbulenten Zeiten. In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts wurde vor den Toren der Stadt, gewissermaßen auf der „grünen Wiese“, ein Nonnenkloster und dazu die Kirche St. Maria in Horto gebaut. Der Name wurde schon bald in Neuwerk geändert. „Bis heute wissen wir nicht genau, warum die Namensänderung erfolgte“, stellt Gabriele Radeck-Jördens fest. Einen Hinweis gibt ein mittelalterliches Relief, das in die Fassade des ehemaligen Klostergebäudes eingemauert worden ist, und auf dem „Novum Opus“ (Neues Werk) steht. Später wurde das Kloster eine Versorgungseinrichtung für höhere Töchter gut betuchter Goslarer Bürger und dann bis ins 20. Jahrhundert hinein ein Damenstift. Die Kirche stand nach dem zweiten Weltkrieg längere Zeit leer. Es wurde über andere Nutzungen diskutiert, das benachbarte ehemalige Klostergebäude, in dem heute Teile der Stadtverwaltung sitzen, sollte verkauft werden.

Ein altes Relief in das Novum Opus graviert ist. Jörg Scheibe
Auf diesem Relief, das in die Fassade des ehemaligen Klostergebäudes eingemauert ist, steht: Novum Opus (übersetzt: Neues Werk).

Stiftung mit Frauen-Power

Es kam erfreulicherweise anders. „Gabriele Radeck-Jördens: „Die Kirche erwachte aus ihrem Dornröschen-Schlaf, als 1964 die Pfarrgemeinde Neuwerk gegründet wurde.“ Das Gemeindeleben sei von Anfang sehr rege gewesen, berichtet sie. Heute beteiligt sich auch die Stiftung an den Gemeinde-Aktivitäten. Sie wurde 2010 von dem damaligen Neuwerk-Pfarrer Werner Böse initiiert. Das Geld kam aus der Erbschaft eines Gemeindemitglieds, später gab es noch Zustiftungen. Böse hatte gezielt Goslarer Bürger und Bürgerinnen angesprochen und für die Stiftung begeistert. Wohl auch deshalb war deren Engagement und Kreativität von Beginn sehr stark. Heute hat die Stiftung elf Mitglieder, davon neun Frauen. Diese Frauen-Power war für Sabine Fontheim – neben der Kirche selbst – ein Grund mitzumachen. „Frauen haben das Leben im Kloster und in der Kirche immer geprägt. Deshalb macht es Sinn, dass vor allem Frauen diese Arbeit fortführen und sie ihre Fußabdrücke hinterlassen“, meint sie. Die Stiftung hat schon einiges bewirkt, stets mit dem Ziel das christliche Leben an diesem historischen Ort zu bewahren und zu stärken und darüber hinaus vor allem das Gemeindeleben von Neuwerk zu fördern. So gestalten die Stiftungsmitglieder Gottesdienste mit oder organisieren eigene „mystische Themenabende“, bei denen in freier Liturgie und besonderer Atmosphäre religiöse Themen mit Bezug zur Neuwerk-Geschichte angeboten werden.

 

Eine Vision: Klösterliches Leben in moderner Form­

Zugleich haben die Stiftungsmitglieder eine Vision: Im alten Klostergebäude soll wieder klösterliches Leben Einzug halten und ein geistiges Zentrum geschaffen werden, eine Art Konvent in klösterlicher Tradition, aber in zeitgemäßer Form des 21. Jahrhunderts. Hier könnten sich Gemeindemitglieder sowie Bürger der Stadt, aber auch „Kirchenferne“ gemeinsam mit Fragen des modernen Lebens und ihrem persönlichen Bezug zum christlichen Glauben auseinandersetzen, heißt es in einem offiziellen Papier. Das klingt für mich ziemlich abstrakt, aber in unserem Gespräch wird deutlich, dass die Stiftung schon konkrete Pläne für das Projekt entwickelt hat. Sabine Fontheim nennt Beispiele: „Hier könnten wieder Frauen voll oder zeitlich begrenzt leben. Es könnte eine einfache Pilgerherberge einrichtet werden, ein kleiner Klosterladen und Räume für Veranstaltungen entstehen.“ Das koste natürlich viel Geld und übersteige die Möglichkeiten der Stiftung, deshalb sei in erster Linie die Stadt Goslar gefragt, aber auch andere Stiftungen oder Regionalverbände. Es gebe bereits positive Signale und erste Kontakte, berichtet Sabine Fontheim. Aber es werde dauern, das Projekt umzusetzen.

Harzer Klosterwanderweg

„Bis dahin werden wir mit kleinen Schritten andere Projekte realisieren, unsere Vision fest im Blick“, kündigt sie an. Beispielsweise war die Stiftung an der Einrichtung des Harzer Klosterwanderwegs beteiligt, der über 94 Kilometer von St. Marien in Quedlinburg in sechs Etappen bis zur Neuwerkkirche in Goslar führt. „Pilgerwanderungen sind sehr beliebt geworden“ stellt Gabriele Radeck-Jördens fest. Da die Neuwerkkirche auch eine Stempelstelle für Wanderer sei, seien viele neue und interessierte Besucher gekommen. In diesem Zusammenhang würde auch die geplante Pilgerherberge im ehemaligen Klostergebäude Sinn ergeben.

Mit Blick auf das Stadtjubiläum „1.100 Jahre Goslar“ im nächsten Jahr gibt es zwei aktuelle Stiftungs-Projekte: Die Neugestaltung des romanischen Kräutergartens und vor allem die Ausrufung des/der „WortWerker*innen“. „Wir wollen ausdrücklich keinen Stadtschreiber ausloben“, erzählt Sabine Fontheim: „Wir wollen mit dem neuen Titel deutlich machen, dass nicht die Stadt der Initiator ist, sondern die Stiftung. Wir wollten zugleich einen Namen, der unserer Zielsetzung gerecht wird.“

 

Wortwerker*innen zum Stadtjubiläum

Der oder die WortWerker*innen sollen künftig jedes Jahr ausgezeichnet werden. Ihre Aufgabe wird es sein, vier Monate in einer geräumigen Atelier-Wohnung im ehemaligen Wohnturm des Klostergebäudes zu leben und zu arbeiten – und dabei ein „neues Werk“ zu schreiben, in dem möglichst die Stadt und das Neuwerk-Ensemble reflektiert werden. Deshalb heißt das Motto des Projektes auch: Novum Opus. Sabine Fontheim: „Wir wollen der Stadt zum Jubiläum etwas schenken. Wenn das Projekt erfolgreich ist, sind wir bereit, es in den nächsten Jahren fortzuführen.“ Es passe gut ins Kulturleben der Stadt, das bisher von Musik (Paul-Lincke-Ring) und bildender Kunst (Mönchehaus Museum und Kaisering-Preis) geprägt ist. „Es fehlt noch das Wort“, fasst Sabine Fontheim zusammen.

Blick auf die Atelierwohnung. Jörg Scheibe
Im zweiten Stock des weißen Gebäudes befindet sich die Atelierwohnung, in der künftig der oder die 'WortWerker*innen wohnen und arbeiten sollen.

Interessant für Literaten, Poeten, Blogger oder Wortkünstler

Die Ausschreibung für den/die „WortWerker*innen 2022 läuft noch bis Februar. Dann wird im April eine kleine Fachjury entscheiden. Es folgt ein Kennenlern-Wochenende für alle Beteiligten, bevor im Herbst die offizielle Vorstellung stattfinden wird. Das Stipendium läuft dann in den vier Wintermonaten. Teilnehmen kann jeder, der schreibt: Literaten, Poeten, Blogger oder Wortkünstler. Für das neue Werk, das geschaffen werden soll, gibt es keine Vorgaben: Es kann ein Buch, ein Blog oder ein Beitrag in einem sozialen Medium sein. Vom Stipendiaten erwarte man, so Sabine Fontheim, dass er sich mit Lesungen oder Workshops etwa an Schulen der Stadt oder in der Neuwerk-Gemeinde einbringt.