Klingende Schellen an einer Samtmütze mit gelben und roten Eselsohren – so stellt man sich die Narrenkappe des Till Eulenspiegel vor. Und genau damit empfängt mich auch der neue Till, Christian Voß, in Schöppenstedt vor „seinem“ Museum. Mein Auftrag, den neuen Eulenspiegel-Darsteller vorzustellen, entpuppt sich für mich als eine Zeitreise in das Mittelalter. So tauchen wir ein in die ernsthafte Wissenschaft darüber, ob es den Eulenspiegel wirklich gegeben hat. Was ich dabei entdeckte? Unter anderem ein kleines und feines Museum mit einer gelungenen Ausstellung für die ganze Familie.
Till Eulenspiegel in Schöppenstedt –
neuer Till, neue Ausstellung, neue Ideen
Ein Till, viele Aufgaben
Aber der Reihe nach: Seit Februar gibt es eine neue Till-Eulenspiegel-Figur in Schöppenstedt. Christian Voß löst Dag Wachsmann in seiner Rolle als altbekannter Narr ab. Der Neue repräsentiert als Touristiker den Ort Schöppenstedt und die Elm-Region, führt durch die Eulenspiegel-Ausstellung, soll den Eulenspiegel-Rundweg beleben, vernetzt sich mit anderen Tills in Deutschland und – er hat noch vieles vor.
Eulenspiegel zauberhaft interpretiert
Wie er zu der neuen Rolle kam, erfahre ich sodann: Er erlernte die Zauberei – mit Prüfung durch den „Magischen Zirkel“, versteht sich – und unterhält gern andere Menschen. Auch aufgrund seiner Zaubertricks überzeugte er die Bürgermeisterin der Samtgemeinde Regina Bollmeier, das neue Amt in Schöppenstedt zu bekleiden. Sogleich lässt er bei unserem Gespräch meine Visitenkarte verschwinden, die dann irgendwo an seinem Ärmel wieder zum Vorschein kommt. Zurzeit versucht Christian Voß, einige der rund 95 „Historien“, so heißen die Eulenspiegel-Geschichten, mit Zaubertricks zu verweben. Für Erwachsene und Kinder.
Ein berühmtes Kind des Elm?
Dass Till Eulenspiegel für die Elm-Region ein großer touristischer Anziehungspunkt ist, liegt auf der Hand. Soll er doch um 1300 in Kneitlingen das Licht der Welt erblickt haben. Die Betonung liegt auf „soll“, denn bis heute ist seine Existenz nicht hundertprozentig erwiesen. Aber es gibt viele Anhaltspunkt, die für sie sprechen und spätestens 1515 zeigte er sich nachweislich in Form eines Buches der Nachwelt.
Der Straßburger Buchdrucker Johannes Grüninger publizierte das erste Eulenspiegel-Buch mit dem Titel Ein kurtzweilig lesen von Dyl Ulenspiegel, geboren vß dem land zu Brunßwick, wie er sein leben volbracht hat. XCVI seiner geschichten. Das Buch wurde zu einem Weltbestseller, der in sage und schreibe 280 Sprachen übersetzt wurde. Allein zwanzig davon kann man im Till-Eulenspiegel-Museum in der Nordstraße 4a in Schöppenstedt an einer knallroten Wand entdecken. So wird Till in Japan „Mimizukatar“ genannt, „Klauna“ heißt er auf Bengalisch oder „Til Buhoglinda“ in Rumänien – um nur einige zu nennen.
Geschichte hautnah
Wobei wir schon beim Thema Museum sind, durch das der Eulenspiegel-Experte mich führt. Es ist übrigens ein registriertes Museum, betont Voß. Das bedeutet, dass es ein freiwilliges Verfahren der Qualitätssicherung durchlaufen hat. Der Gang beginnt gleich im Erdgeschoss an einer Wand, die die Fülle der Exponate auf einen Blick bündelt. Da gibt es den Abdruck des einzigen erhaltenen Eulenspiegel Buchdeckels von 1515, einen Ausschnitt des Gedenksteins in Mölln und Kunstwerke, die sich auf Till beziehen; alles modern konzipiert und farbenfroh präsentiert.
Reise der Streiche
Auf dem Weg zur eigentlichen Ausstellung streift das Auge – quasi im Vorübergehen – die vielen Orte, in denen Till Eulenspiegel sein Unwesen trieb. Da stechen unter den rund fünfzig Orten die Städte Bremen, Braunschweig, Celle, Hamburg, Wismar, Rostock und sein Sterbeort Mölln hervor. Der Narr ist also ganz schön herumgekommen. Kein Wunder – denn aufgrund seiner sprichwörtlichen Streiche war er nicht sehr beliebt.
Der folgende Spruch aus dem ältesten Eulenspiegel-Buch von 1515, zu finden in der 31. Historie, belegt dies eindeutig: „In allen Landen hatte sich Eulenspiegel mit seiner Bosheit bekannt gemacht, und wo er einmal gewesen war, da war er nicht willkommen, es sei denn, dass er sich verkleidet und man ihn nicht erkannte.“ Die Kritik spricht dafür, dass Eulenspiegel vielleicht gar nicht mit seiner bekannten Narrenkappe durch die Lande zog, denn damit wäre er überall aufgefallen. Deshalb arbeitet der neue Till Christian Voß daran, nach und nach die Eselsohrenmütze durch den Gugel zu ersetzen. Das ist eine schlichte kapuzenartige Kopfbedeckung, die im 14. Jahrhundert weit verbreitet war. Wahrscheinlich wird diese Veränderung nicht nur auf Gegenliebe treffen, ist sich Voß sicher, aber die Genehmigung der Bürgermeisterin dazu hat er.
Bunt und erlebnisorientiert
Im ersten Stock angekommen, lotst mich der sympathische Christian Voß durch die museumspädagogisch durchdachte „Laufstrecke“. Die Ausstellung versucht, Fragen nach der Herkunft Tills, ob es ihn nun wirklich gab oder nicht und der Urheberschaft der 500 Jahre alten Till-Bücher zu beantworten. Ein Bereich speziell für Kinder ist bunt und erlebnisorientiert aufgebaut: Schubladen können geöffnet werden, Guckkästen in Augenhöhe geben den Kleinen im wahrsten Sinne des Wortes Einblicke in Tills Leben, Schaukästen zeigen Bilder, Bücher, Marionetten und andere Exponate, die Eulenspiegel bei seinen Streichen zeigen. Besonders hervorzuheben ist die Sammlung von rund 80 Bronzeskulpturen, die den Schelm in unterschiedlichen Situationen zeigt.
Pfiffig und verstörend zugleich
Eine Geschichte, die der 25. Historie, hat mich ob Tills Schläue beeindruckt: Till hatte vom Herzog von Lüneburg Landesverbot erteilt bekommen. Er ritt aber seelenruhig durch dessen Land, als er den Herzog herannahen sah. Daraufhin – das Nächste ist nichts für sensible Seelen – tötete er sein Pferd, schnitt es auf, entfernte die Innereien und stellte sich in den Kadaver, sodass die vier Beine des Pferdes wie Pfähle in die Luft ragten. Der Herzog fragte ihn entgeistert, was er da tue, er sei doch verbannt. Der Pfiffikus Till antwortete ihm: „Ich mache mir Sorge wegen Eurer Ungnade und fürchte mich gar sehr. Aber ich habe all mein Lebtag gehört, daß jeder Frieden haben soll in seinen vier Pfählen.“ Das gefiel dem Herzog, er bat ihn, doch nun das Land wirklich zu verlassen, was dieser ihm zusagte. Der Herzog ritt davon und sagte am Ende: „Bleib, wie du bist.“
Alles andere als ein Narr
Überhaupt war Till Eulenspiegel wohl nicht nur lustig, sondern auch derb, zotig, gemein, hinterlistig – und klug. War er ein Narr? Wohl nicht; dies wird hier in der sorgsam konzipierten Ausstellung im wahrsten Sinne des Wortes ernsthaft thematisiert. Doch zurück zum Rundgang: Ein ganzer Raum ist den Medien zu Till Eulenspiegel gewidmet. Über 3.500 Bücher stehen dort wohlgeordnet in Regalen und der Besucher erfährt einiges über Musikstücke, Literatur und Verfilmungen zum Till-Stoff. Über Audioguides sowie Tafeln erfahren Interessierte mehr zu den jeweiligen Ausstellungsthemen. Auch ein riesiger Spiegel fehlt nicht.
Im Bann des Eulenspiegel
Der nächste Bereich zeigt, wer sich schon alles künstlerisch mit Till Eulenspiegel beschäftigt hat, und zwar in Form von Porzellanfiguren, Skulpturen, Radierungen, Lithografien, Malereien. Größen wie Picasso, A. Paul Weber oder Adi Holzer haben den Schalk thematisiert. Sehr schön: eine schlichte Präsentationsfläche mit Till-Plastiken, die wirkungsvoll beleuchtet bizarre Schattenbilder werfen. Am Ende der Till-Tour spielt der Narr ein letztes Mal mit uns. Zerrspiegel lassen uns zerfallen, zerfließen, in Stücke teilen, der nächste Spiegel setzt uns wieder schief und krumm zusammen. Das macht Jung und Alt richtig Spaß.
Name – wofür stehst du nur?
Auf der Empore geht’s dann in puncto Interpretation des Namens Eulenspiegel zur Sache. Die Eulen und der Spiegel sind demnach durchaus zweideutig zu sehen. Die Eule zum Beispiel war im Mittelalter der Vorbote des Todes und des Teufels, heutzutage gilt sie jedoch als weise Jägerin. Der Spiegel stellt sich ebenso ambivalent dar, zeigt er doch zum einen das eigene Antlitz und zum anderen spricht man auch davon, jemandem den Spiegel vorzuhalten.
Und das ist genau das, was Till Eulenspiegel ausmacht. Andererseits ist der Spiegel in der Jägersprache das Hinterteil beim Rotwild. Christian Voß hält für dieses Zusammenspiel der Doppeldeutigkeiten eine bildliche Zusammenfassung für mich bereit: „Man kann also sagen, der Till Eulenspiegel war ein intelligenter, weiser Jäger mit einer ‚Leck-mich-am-Arsch-Mentalität‘, der den Leuten von damals ihre Fehler zeigte und als Bote des Teufels unterwegs war.“ Nun habe ich so viel über Till Eulenspiegel und seine Ambivalenz erfahren, dass mir der Kopf brummt. Ich drehe mich noch einmal um – und sehe, dass das ganze Museum die Form einer Narrenkappe hat. Das nenne ich mal ein rundes Konzept. Am Ende streichele ich noch die Fußspitze des bronzenen Tills von Erich Schmidtbochum vor dem Museum; das soll Glück bringen. So blank, wie die ist, verlassen viele glückliche Menschen den kleinen Ort Schöppenstedt.