Die Wolfshäger Hexenbrut sind nur Unterhaltungshexen. Behauptet zumindest die Oberhexe. Ich habe da so meine Zweifel. Sie kennen sich bestens mit Kräutern aus und in ihren Hexenküchen brodeln zauberhafte Marmeladen und Schnäpse. Und woraus man die rauschauslösende Hexensalbe herstellt, wissen sie auch. Dennoch: Bei meinem Besuch in Wolfshagen ist niemand berauscht, es brennt kein Feuer, Besen sind nur vereinzelt zu sehen, Hüte und lange Nasen gar nicht. Mir begegnen Hexen in Zivil: eine Schwimmmeisterin, eine Heilpädagogin, eine Verkäuferin, Unternehmerinnen. Ganz normale Frauen eben.
Walpurgisnacht im Harz
Weg da am Feuer, die Hexen kommen!
Doch wehe, wenn sie losgelassen! Wenn in der Walpurgisnacht die Feuer brennen, verwandeln sich die Wolfshägerinnen in Hexen. Sie tanzen ausgelassen in den Rauchschwaden, schwingen bedrohlich die Besen, lachen schrill und vergnügen sich mit dem Teufel namens Lord Luzifer.
Verwandlung der Hexen
Was verführt die Wolfshägerinnen zu diesem wilden Treiben? „Es macht mir Spaß, in eine andere Haut zu schlüpfen und alles rauszulassen“, sagt Angelika Schlüter, eine Hexenschwester der ersten Stunde und Friseurin von Beruf. Und „man kommt rum als Hexe“, fügt sie hinzu und berichtet von Dreharbeiten zur „Kleinen Hexe“, an denen die Wolfshäger Hexenbrut mitgewirkt hat.
Hexenmission: die Menschen glücklich machen
Gabi „Wilma“ Wiegmann, wegen der Ähnlichkeit ihrer Hexenfrisur nach Wilma Feuerstein benannt, gibt zu: „Als Hexe traut man sich vieles, was man sonst nicht machen würde.“ Dazu kommt ein weiterer Faktor, den Julia „Rotes Gift“ Rönneckendorf und Astrid Ermrich auf den Punkt bringen: „Es macht unheimlich viel Freude, andere Menschen, speziell ältere, glücklich zu machen. Wir bringen Farbe in den Alltag. Viele blühen richtig auf, wenn wir kommen.“
Zum Zeitvertreib: Hexenquiz mit Hexendiplom
Denn längst schlüpfen die Wolfshägerinnen auch zu anderen Anlässen in die Hexenröcke. Hexenabende in Hotels, runde Geburtstage, Hochzeiten, Firmenjubiläen und Tagungen zählt Oberhexe Antje Wedde auf. Für diese Auftritte hat die Oberhexe ein Programm entwickelt, das Hexentänze, ein Hexenquiz mit Hexendiplom und das Verabreichen von Hexensalbe umfasst. Die Oberhexe persönlich zitiert aus dem Faust die Walpurgisnacht-Passage und trägt auch mal ein individuell zugeschnittenes Gedicht vor.
Wollust und Sünde sind Programm
„Wenn wir einmarschieren, merke ich sofort, wie der Funke überspringt. Die Leute lachen und sind fröhlich – das macht am meisten Freude“, erzählt Antje Wedde. Als Übungsleiterin in ihrem Sportverein, dem MTV Wolfshagen, ist sie vor mehr als zehn Jahren zu ihrer Funktion als Oberhexe gekommen. Sie choreografiert die Tänze und studiert sie mit den Frauen ein. Doch zu welcher Musik getanzt wird – diese Entscheidung trifft die Hexenbrut gemeinsam. Voraussetzung: Wollüstig und sündig muss es sein.
Wolfshäger Hexenbrut Walpurgis Wolfshagen im Harz
Die Oberhexe legt weniger Wert auf tänzerische Perfektion als auf das Outfit. Das muss passen. „Wir sind nicht das Starballett, verstehen uns aber als Repräsentantinnen des Harzes“, sagt Wedde, die gerne im Mittelpunkt steht. „Man wird als Frau doch kaum noch wahrgenommen. Als Hexe aber schon“, grinst sie.
Hexenwissen für jeden Tag
Viele Mitglieder der Hexenbrut identifizieren sich mit der Hexenrolle, sie leben sie teilweise auch im Alltag. Antje Wedde, die als pädagogische Mitarbeiterin in der Grundschule arbeitet, hat dort beispielsweise eine Hexen-AG etabliert, die inzwischen in „Natur pur AG“ umbenannt wurde. Gemeinsam haben die Kinder einen Hexenkräutergarten angelegt, in dem nun Minze, Schnittlauch, Thymian, Salbei, Oregano, Waldmeister und Frauenmantel wachsen und gedeihen.
Bärlauchdip und Waldmeistergelee
Gerade das Wissen um Kräuter, ihre Wirkung, Anwendung und Dosierung ist bei den Wolfshäger Hexen verbreitet. Sie begleiten Kräuterwanderungen und kredenzen den Teilnehmern einen kleinen Imbiss aus Hexenspezialitäten: Bärlauchdip, Waldmeistergelee und Hagebuttenmarmelade zählen dazu.
Trotzdem: Alles geht mit rechten Dingen zu, beteuert die Oberhexe. „Wir machen weder weiße noch schwarze Magie.“ Der Eisenhut bleibt im Garten und kommt nicht in den Tiegel. Die Hexensalbe, die sie verabreicht, sei nur Fake. Sagt sie.