Einst war sie die Königin im Topf und im Winter konkurrenzlos beliebt: die Azalee. Doch dann traten allerorts die Orchideen ihren Siegeszug an und die stolze Azalee hatte es zunehmend schwer. Dennoch sind Züchtungen wie „Friedhelm Scherrer“ und aktuell die „Miss“-Linie aus dem Familienbetrieb Stahnke-Dettmer im Kreis Gifhorn Verkaufsschlager, die ihresgleichen suchen. So hat die erste Eigenzüchtung des Sassendorfer Betriebes „Helmut Vogel“ bisher 27 Mutationen hervorgebracht und ist damit heute noch die meistangebaute Azaleensorte überhaupt.
Wo Miss Irma la Douce auf die grazile Erica trifft
Azaleen- und Ericazucht Stahnke-Dettmer
Inzwischen ist die Azaleenzucht für Geschäftsführer Peter Dettmer hauptsächlich Liebhaberei. „Auf Sparflamme“ betreibe er die Suche nach neuen, verbesserten Sorten, erzählt er mir und zeigt mir zwei kleine Schnapsgläser mit der kostbaren Azaleensaat für die Zucht. Daraus sollen in diesem Jahr neue Variationen kultiviert werden. Aus jedem Sämling entsteht eine eigene Pflanze, doch nur alle paar Jahre gelingt es, eine vielversprechende Sorte mit neuen Eigenschaften herauszufiltern. Diese wird dann vegetativ – also durch Stecklinge – weitervermehrt. Bis die neue Sorte verkaufsfertig ist, dauert es etwa zehn Jahre.
Das Beste herausfiltern
Wie konnten Sorten wie die „Helmut Vogel“ so erfolgreich werden, frage ich Peter Dettmer. „Durch die frühe Blüte“, sagt Dettmer. „Diese Sorte kam schon im September zum Blühen.“ Und wüchsig sei sie, erzählt er weiter. Ältere Sorten hätten zwar schöne Blüten gehabt, aber seien nicht sehr ertragreich gewesen. „Die ‚Vogel‘ wächst wie Bolle“, schmunzelt Dettmer. Die Gärtner damals konnten jedoch nur schwer mit der neuen Üppigkeit umgehen. Sie düngten zu wenig, die Pflanzen wuchsen nicht rund, sondern besenförmig. Erst mit Unterstützung der Lehr- und Versuchsanstalt Rostrup und mehreren Forschungsgängen konnten den Gartenbauern Empfehlung zu Pflege und Düngung der neuen Sorte an die Hand gegeben werden. Dem Siegeszug der „Helmut Vogel“ stand nun nichts mehr im Weg.
Nachfolgende Sorten wie die „Friedhelm Scherrer“ überzeugten zum Beispiel durch ein schönes Knospenstadium, das an ein Moosröschen erinnert – was vor allem bei den Norwegern auf Begeisterung stieß. Heute sind es vor allem Sorten wie die neuen „Miss Irma la Douce“ oder „Miss Lulu“, die durch moderne Farben und Knospenreichtum punkten.
Vom Spezialbetrieb zum erfolgreichen Exporteur
Anfang der 1970er-Jahre hat das Unternehmen zum ersten Mal eine eigene Azaleenart zum Sortenschutz angemeldet und konnte damit 25 Jahre Lizenzen an andere Kultivateure verkaufen. Gegründet wurde das Unternehmen bereits 1951 von Otto und Reni Stahnke in Braunschweig-Veltenhof. Doch erst vierzehn Jahre später erfolgte der Umzug auf eigenen Grund und Boden in Sassenburg – 10.000 Quadratmeter einschließlich 1.160 Quadratmeter Hochglasfläche. Das Gelände wurde sukzessive erweitert und umfasst heute 12 Hektar, davon 17.000 Quadratmeter Hochglasfläche und 2.500 Quadratmeter Foliengewächshaus.
Was als reiner Spezialbetrieb für Topfazaleen und Erica gracilis – Glockenheide – anfing, umfasst heute noch den Vertrieb der erfolgreichen Calluna vulgaris – winterharte Besenheide – sowie von Beet- und Balkonpflanzen für den Sommer. Inzwischen führen Eleonore und Peter Dettmer die Geschäfte. Sohn Oliver und Tochter Bettina sind seit vielen Jahren ebenfalls in den Familienbetrieb integriert. Und auch der Firmengründer Otto Stahnke sei mit seinen 90 Jahren noch immer „mit Kopf und Herz dabei“, versichert mir Schwiegersohn Peter Dettmer. Die Seele des Ladengeschäfts ist Seniorchefin Reni Stahnke mit 86 Jahren.
Über eine halbe Millionen Calluna vulgaris produziert Stahnke-Dettmer im Jahr. Ähnlich beliebt ist die Erica gracilis mit 250.000 Exemplaren. Beide Sorten sind Exportschlager, werden hauptsächlich nach Skandinavien ausgeliefert. „Zwei bis drei Seecontainer mit Callunen und Erica verschiffen wir jährlich nach Reykjavik“, erzählt Dettmer. „Für Island sind wir Hauptlieferant.“ 40 Prozent macht der Exportanteil des Unternehmens aus.
Von den 70.000 bis 80.000 jährlich kultivierten Azaleen reisen allein schon 60 Prozent zu den großen Blumenversteigerungen nach Holland. „Und zwar blühend“, so Dettmer, was die Anforderungen an die Pflanzen in puncto Haltbarkeit und Robustheit natürlich erhöhe.
Eine Maschine, die topft und pikiert
Diese immensen Mengen sind nicht mehr rein manuell zu bewältigen. Peter Dettmer zeigt mir beim Rundgang durch die Anlage die Topfmaschine. „Eine der größten, die es gibt“, sagt er. „Die mussten wir haben, weil wir mithilfe eines Pflanzroboters topfen wollten.“ Auch eine Erdmischmaschine und ein eigenes, innerbetriebliches Transportsystem kommen zum Einsatz, wenn Sämlinge pikiert oder im weiteren Wachstum versetzt werden, damit sie mehr Platz und Licht zur Entfaltung haben. Sechs ständige Mitarbeiter beschäftigt Stahnke-Dettmer. Dazu kommen noch 12 oder 13 Saisonkräfte.
Für die Zukunft wird die Frage nach der Wettbewerbsfähigkeit im Zentrum stehen. „Wir müssen uns natürlich mit Themen wie Energieeffizienz und Rationalisierung beschäftigen“, so Dettmer. Aber bestimmt wird hin und wieder eine neue Azalee oder Erica gracilis von Sassenburg aus in die Welt aufbrechen.