Der Aufstieg des VfL ist auch in der Erinnerung noch für eine Gänsehaut gut. Wie sich die Mannschaft hochkämpfte, welche Rolle dabei die Fußballidole Siggi Reich und Roy Präger spielten und wie oft die Fans der Grün-Weißen zittern mussten, zeigt der zweite Teil unserer Serie.
Aufstiegskrimi
– Wie sich der VfL Wolfsburg in die erste Liga kämpft
Die Jahre 1992 bis 2000 sind prägend für die Entwicklung des VfL Wolfsburg zum etablierten Bundesligisten und lassen noch heute bei der Erinnerung daran das Herz jedes Fans höher schlagen. Auch mir geht das so. Mein persönliches Highlight war der Aufstiegskrimi in die 1. Bundesliga. Doch bis es so weit kam, mussten die Wölfe erstmal in der 2. Bundesliga bestehen. 1992 ist der VfL Wolfsburg in der zweiten Bundesliga angekommen und hat ein großes Ziel: den Klassenerhalt. Eine Mammutaufgabe, wie sich zeigen wird, denn – und das ist einmalig in der Bundesligageschichte – es spielen 24 Teams in der Liga. Von denen steigen insgesamt sieben Mannschaften wieder ab. Einer der großen Abstiegskandidaten dabei ist der VfL Wolfsburg.
46 Spiele in der Mammutsaison 1992/1993
Aber die Liga hat die Rechnung ohne den VfL gemacht, denn die Wölfe können nicht nur gut verteidigen, sondern auch Tore schießen. Holger Ballwanz – heute Fanbeauftragter im Club – brachte es in 45 Saisoneinsätzen auf 21 gelbe Karten und verdeutlicht den unermüdlichen Kampfgeist des Neulings.
Ganz vorne hatte der VfL mit Siegfried „Siggi“ Reich einen echten Strafraumstürmer, der sich mit 27 Toren auch die Torjägerkanone sicherte. Dafür benötigte er 43 Pflichtspiele. Auch am letzten Spieltag war Reich da, als man seine Tore brauchte. In der 79. Minute erzielte er gegen Fortuna Düsseldorf den Treffer zum 2:1-Auswärtssieg. Der VfL hatte sich sportlich gerettet!
Allerdings folgte kurz danach der Schock: Am grünen Tisch drohte den Wolfsburgern der Abstieg, weil es Werbeeinnahmen gab, die nicht nachgewiesen werden konnten. Daraufhin verweigerte der Ligaausschuss des DFB die Lizenz und entzog dem VfL die Zweitliga-Zulassung. Ein Formfehler, der dazu führt, dass binnen Stunden 500.000 D-Mark aufzutreiben sind. Wolfsburger Sponsoren springen ein, um zu helfen. Dennoch ist die Zweitliga-Zulassung entzogen. Doch der damalige VfL-Präsident Karl-Heinz Briam schafft das schier Unmögliche. Mit seiner emotionalen Rede überzeugt er die DFB-Verantwortlichen und die Spielzeit 1993/1994 war gerettet.
Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin
Jedes Jahr beginnen die Pokalspiele aufs Neue. Schon immer lautete das Ziel vor der Pokalsaison, nach Berlin zu fahren, um dort im Finale um den DFB-Pokal spielen zu können. In der Saison 1994/1995 ist es allerdings besonders kurios. Die Wölfe schaffen es bis ins Finale ohne ein einziges Heimspiel. Nach fünf Auswärtssiegen (Schalke 04 Amateure, Eintracht Frankfurt, TSV Vestenbergsgreuth, Bayern München Amateure, 1. FC Köln) kommt es im Finale zum Duell mit Bundesligist Borussia Mönchengladbach.
Das Team von Gerd Roggensack konnte zwar vor 75.700 Zuschauern im legendären Olympiastadion das Spiel bis zur 60. Minute offen halten – bis dahin steht es 0:1 durch Goalgetter Dahlin – doch dann setzt sich die Klasse der Fohlen durch und Stefan Effenberg erhöht auf 2:0. Den Abschluss machte Stürmer Heiko Herrlich in der 86. Minute. Trotz der Niederlage warteten 5.000 Fans in Wolfsburg am Rathaus und feierten ihre Pokalhelden.
Es sind auch diese Pokalspiele, die dem VfL eine immer breitere Brust verschaffen, um sich in der Liga vom Abstiegs- zum Aufstiegskandidaten zu mausern. Die Saison 1994/1995 beendeten die Wölfe auf dem 4. Platz. Es fehlten zum Aufstieg nur fünf Tore. In der Saison 1995/1996 verschlief der VfL Wolfsburg die Hinrunde und konnte in der Rückrunde den Rückstand nicht mehr aufholen. Am Ende hieß es enttäuschend: Platz 12. Bezeichnend in der Saison war die Torausbeute von Stürmer Siggi Reich. Er schafft nur sieben Tore und zeigte dadurch auch die Abhängigkeit des Teams von seinen Toren. Ende der Saison beendete die VfL-Legende seine Laufbahn.
„1. Bundesliga – Wir sind dabei“-T-Shirts
Die T-Shirts sind bereits produziert und die Verantwortlichen sowie Fans warten sehnsüchtig auf den Moment, die Shirts rauszuholen. Die Rede ist von der Saison 1996/1997. Es ist die bislang letzte Saison in der 2. Bundesliga. Das Tor zum Oberhaus wird endgültig aufgestoßen. Aber auch diese Saison verläuft äußerst skurril. Von 34 Spielen enden 16 Partien mit einem Unentschieden und nur vier mit Niederlagen. Die Wölfe sind schwer zu besiegen. Und ausgerechnet am letzten Spieltag muss Verfolger 1. FSV Mainz 05 in Wolfsburg siegen, um an den Wölfen vorbeizuziehen und den Aufstieg klarzumachen.
Ich erinnere mich noch gut an das Spiel, denn ich war damals einer von 15.300 Zuschauern und stand auf der Gegentribüne. Die (An-)Spannung vor und während des Spiels war enorm. Beim Gegner stand unter anderem der heutige Liverpool-Trainer Jürgen Klopp auf dem Platz und der VfL hatte im Sturm Roy Präger, der einen besonders treffsicheren Tag erwischte und immens ackerte. Das frühe 0:1 konnte innerhalb einer Viertelstunde durch Roy Präger ausgeglichen und sogar in eine 2:1-Führung umgewandelt werden. Die Stimmung brodelte am Elsterweg. Die Zuschauer spürten es: Heute schaffen wir den Aufstieg. Als Dammeier dann noch das 3:1 machte, war ich mir, wie alle VfL-Fans, sicher, dass der Aufstieg perfekt ist. Zur Halbzeit ging es mit 3:1 für die Wölfe in die Kabine. Doch Mainz schaffte den 3:3-Ausgleich. Beim nächsten Gegentor wäre der Aufstieg weg.
Dammeier und Radke erhöhten auf 5:3. Mit dem 5:4 der Mainzer in der 88. Minute wurde es zwar nochmal spannend, aber zwei Tore in zwei Minuten erschienen sehr unrealistisch. Abpfiff! Wir stürmten den Rasen und feierten unsere Helden. Doppeltorschütze Roy Präger wurde von den Fans auf Armen getragen und VW-Vorstandsvorsitzender Ferdinand Piech zog das „1. Bundesliga – Wir sind dabei“-Shirt über. Die Stimmung war grenzenlos und die Party führte über den Elsterweg in den Kaufhof und dauerte bis in die frühen Morgenstunden, obwohl der darauffolgende Tag ein normaler Arbeitstag – ein Donnerstag – war und ich zur Berufsschule und sogar noch eine Klausur schreiben musste.
Es wird international in Wolfsburg
In der Volkswagenstadt brechen neue Zeiten an. Die Wolfsspuren führen sehr schnell nach Europa. Nach Platz 14 (1997/1998) folgte schon der Einzug in den Europapokal. Platz 6 lautete das Ergebnis der Saison 1998/1999. Im Europapokal ging es dann von Runde zu Runde. In der ersten Runde wurde VSC Debrescen (erster Torschütze des VfL war Charles Akonnor) und in der zweiten Runde Roda Kerkrade ausgeschaltet. In der dritten Runde wartete dann Atletico Madrid, die im Hinspiel in Wolfsburg mit 3:2 und im Rückspiel mit 2:1 gewannen. Ich war zu der Zeit gerade in Spanien für ein Volkswagen-Praktikum und jeder wusste plötzlich, wo ich herkomme. Als ich bei einem Verein vorspielte, hieß es, ich spiele bei einem Kooperationsverein des VfL Wolfsburg, obwohl ich beim VfB Fallersleben aktiv war. Auch die Überlegung, nach Madrid zu fahren, war da, aber unter der Woche war es dann doch etwas schwierig aus dem Norden. Am Ende waren die Spanier auch eine Nummer zu groß. Es war die erste Europatournee der Wölfe und in Wolfsburg war man sich sicher, dass es nicht das letzte internationale Abenteuer wird. Aber auch beim Thema Nationalmannschaft wird Wolfsburg international. Den ersten Nationalspieler stellen die Wölfe mit dem rechten Mittelfeldspieler Zoltan Sebescen, der am 23. Februar 2000 sein Debüt in der deutschen Nationalmannschaft gab.