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Stadinfunk
– die Eintracht-Braunschweig-Kolumne: von Spenden und „Santa Kumbela“

Der letzte Heimspieltag vor Weihnachten verlangt dem Fan immer alles ab. Am Sonntag war der DSC Arminia Bielefeld zu Gast im Eintracht-Stadion. Ein Spiel, zwei Perspektiven: Unsere Regionäre Malte Schumacher und Kay Rohn berichten.

 

Malte Schumacher:

Martin aus München ist schon am Samstag in Braunschweig, um Sonntag das Bielefeld-Spiel zu schauen. Wir machen uns einen entspannten City-Bummel-Nachmittag in der Innenstadt – in München kommt er nie dazu. Den Auftakt des Abends verbringen wir am letzten freien Tisch bei Corbi in der Vielharmonie. Sehr gutes Essen und eine Gin-Mischung mit roter Beete als Aperitif machen Spaß. Martin sagt mit Blick auf das morgige Spiel ein 3:1 voraus: 1:0, 2:0, dann 2:1 und zittern, dann aber das erlösende 3:1. Klingt naheliegend (gerade das mit dem Zittern) – und gut.

 

Galligkeit fehlt

Ich setze ihm auseinander, was mich im Moment nervt bei der Eintracht: Die Defensive macht mir Sorgen in letzter Zeit, sie wirkt weder sicher noch konsequent und gallig genug für einen Aufstiegsaspiranten. Fehlende Galligkeit hat auch Marc Arnold in einem Gespräch mit Daniel Mau bemängelt, Braunschweiger Zeitung am Mittwoch. Mein Vater hat daraufhin eine Mail an Herrn Mau geschrieben, mit der Botschaft, dass es „Galligkeit“ ja gar nicht gäbe laut Duden und anderer Kompendien.

Mich nervt die Sportsprache auch manchmal, immer wieder reden und schreiben die Kommentatoren von „Nicklichkeiten“ und der „massierten Abwehr“: im Grunde alles Unwörter. Aber Sprache ist eben etwas Lebendiges, sich stetig weiter Entwickelndes und so entstehen auch im Gesamtzusammenhang Fußball neue Begrifflichkeiten. Ob „Galligkeit“ nun passend ist für das, was der Eintracht offensichtlich in den letzten Spielen gefehlt hat? Na ja, wenn man darunter Kampf, Siegeswillen, Aggressivität und „kratzen, beißen, spucken“ versteht, dann schon. Es gibt also genug zu besprechen. Unser Abend wird lang und fröhlich …

Das spüre ich am Sonntagmorgen dann natürlich in den alten Knochen. Also etwas früher starten, um als Hallo-Wach-Effekt noch ausreichend Frischluft zu inhalieren. Das Schöne ist ja, dass man am Spieltag rund ums Stadion zu jeder Zeit bekannte und nette Menschen trifft.

 

Das Stiftungsspiel

Vor der „Wahren Liebe“ steht Kollege Markus mit seinen beiden Söhnen. Seine Kinder sehen gut aus, also dem Anlass entsprechend mit blau-gelben Schals ausgestattet. Der Vater dagegen wirkt, als hätte er gleich ein Date im Café Härtle, da ist keine Eintracht-Bindung erkennbar. Also bitte ich die beiden Kurzen zum Fototermin vor dem Spieltagsplakat, das heute die Eintracht Braunschweig Stiftung mit ihrem Logo zieren darf. Beim letzten Heimspiel vor Weihnachten nutzt die Stiftung wieder die Gunst der in diesen Zeiten immer besonders ausgeprägte Spendenbereitschaft für eines ihrer Projekte, diesmal für den geplanten Soccer-Court am FanHaus.

In der Rheingoldstraße habe ich mal wieder Zeit genug, die Schalstände abzuklappern. Feine Exemplare sind dabei, die sich auf das 50-jährige Jubiläum der Meisterschaft beziehen. Und natürlich der Klassiker: „Danke Papa, dass ich kein Hannoveraner geworden bin“.

Im Block sind wir diesmal sehr früh schon ganz gut vertreten als Fanclub. Wir können also die Aufstellung besprechen. Diese ist allerdings genau so von uns erwartet worden: hinten die Viererkette mit Sauer und ChicKen außen sowie Valsvik und Dicarli innen, davor Moll und Schönfeld. Eine Erkenntnis angesichts dieser Formation: Für die alten Bundesliga-Aufstiegshelden Bole und auch Cello wird die Luft langsam dünner, beide sitzen auf der Bank. Auf der Bank auch zum ersten Mal Suleiman „Manni“ Abdullahi. Den hat von uns ob seiner Verletzung gleich zu Saisonbeginn noch niemand spielen sehen und er hat heute auch Geburtstag. Wenn Martins Tipp hinkommt, wir also am Ende 3:1 führen, bekommt er bestimmt zehn Minuten Spielzeit von Torsten geschenkt.

 

Unterzuckerung

Irgendwann während der Aufstellungsbesprechung schaut Volker, unser Fanclub-Präsi, mich an und sagt: „Ich hole dir mal ’ne Cola, damit du wieder Farbe ins Gesicht bekommst.“ In der Tat: Ich merke, dass mein Kreislauf sich gerade in Richtung der Nulllinie aufmachen will. Sollten mir jetzt die verkürzte Schlafphase und das karge Frühstück zum Verhängnis werden? Ich verlasse die Enge im Block und nehme Volkers Cola am Fuße des Treppenaufgangs zu Block 6 im entspannten Sitzen zu mir und langsam kehren tatsächlich meine Lebensgeister wieder. Cola, muss ich mir mal merken. Also hat der absurd hohe Zuckergehalt darin doch Sinn und Zweck, nämlich einer Unterzuckerung entgegenzuwirken. Schnell wieder hoch zu den Jungs, weiter fachsimpeln.

 

Doch wieder das alte Vorweihnachtstrauma?

Anpfiff, ich wünsche mir ein frühes Tor. Und ich bekomme es auch – allerdings von den Bielefeldern erzielt … Die erste dicke Chance nach Tiefschlaf unserer Viererkette („Ungalligkeit“) kann Jasmin Fejzic noch glanzvoll parieren, gegen den Abstauber des zweiten Stürmers aber ist er dann machtlos. Mist, kalte Dusche nach drei Minuten. Sofort sind sie wieder da, die Bilder der letzten Heimspiele vor Weihnachten in dunklen Drittliga-Zeiten. Da hat die Eintracht sehr gern Punktgeschenke verteilt an die letzten Rummeltruppen.

Nach einer weiteren Schlafmützigkeit und der daraus resultierenden Großchance zum 0:2 verstärken sich diese traumatischen Erinnerungen bei mir. Irgendwann aber bringen sie Druck auf den Rasen und dann ist es Kämpfer und Renner Domi, der den Ball gewinnt, ihn weitergibt auf Hernandez, der dann wiederum den Schweden-Stürmer Nyman findet: bumms, Tor. Die Bielefelder schimpfen mit den Schiris, mit Torsten – helle Aufregung auf dem Rasen. Über die Smartphones erfahren wir, dass Domi der Ball vielleicht an die Hand gesprungen war. Hand ist, wenn der Schiri das pfeift, sind wir uns erleichtert einig. Bis zur Halbzeit passiert nicht mehr viel, wobei die Viererkette etwas sicherer steht als zu Anfang.

 

Domi, Man of the Match, Teil 1

In der zweiten Hälfte rollt die Eintracht-Maschinerie auf unsere Kurve zu, und die Blau-Gelben machen das gut. Wieder frage ich mich, was in einer Halbzeit eigentlich besprochen oder besser verändert werden kann vom Trainer. Egal, sie geben jedenfalls Gas. Nach 55 Minuten hat Domi relativ ungestört im Strafraum genau vor unserem Block mächtig viel Platz. Herrlich mitanzusehen, wie er sich und den Ball passend platziert und das Ding dann reinballert. Klasse!

Nun ist Martins Tipp halbwegs wieder in Reichweite, zumindest was das Ergebnis anbelangt. Ich werde ihn nachher noch im Business-Bereich treffen und male mir aus, wie schön das wäre, könnte ich ihm zu seinem korrekten Tipp beglückwünschen. Ab der 60. Minute singen einige Vorzeitige: „Gegen Braunschweig kann man mal verlieren …“ Hinter mir unken zwei alte Haudegen: „Das ist doch viel zu früh, hier ist doch noch gar nichts sicher!“ Stimmt, völlig unerwartet macht Fabian Klos 15 Minuten vor dem Ende den Ausgleich und es ist mal wieder Fingernägelkauen angesagt.

 

Domi, Man of the Match, Teil 2

Und es ist Zeit, auch darüber nachzudenken, dass der Klos hier aus der Region stammt und früher gern Eintracht-Spiele besucht hat. Mit Torsten gab es sogar wohl mal Kontakt bezüglich eines Wechsels – davon wusste ich bis zum Artikel in der Samstags-BZ noch gar nichts. Na ja, „Sturmprobleme“ und somit vielleicht Verpflichtungsbedarf haben wir ja im Moment überhaupt nicht. Domi spielt die Saison seines Lebens und Nyman ist auch langsam angekommen.

Also erleben wir hier heute doch kein Vorweihnachtstrauma. Nicht mit Man-of-the-Match-Domi: Kurz nach dem Ausgleich arbeitet der eingewechselte Khelifi wunderschön vor und Domi macht seine zweite Bude! Danach aber beginnt eine sehr wackelige und nervenzerfetzende Schlussphase. Bielefeld ist dem 3:3 sehr, sehr nahe. Ich bin froh, dass ich manches dahinten vor der Nordkurve gar nicht richtig erkennen kann wegen meiner Alterssehschwäche. Die Performance der Eintracht wirkt dennoch hühnerhaufig und ungallig … Schlusspfiff, alle sind erleichtert. Wieder Spitzenreiter, mindestens bis Montag, wenn Stuttgart West-Peine (Anmerkung der Redaktion: also Hannover) empfängt und hoffentlich gewinnt.

 

Domi, Man of the Match, Teil 3

Fröhlich-beschwingt spaziere ich zum Business-Bereich in der Hauptribüne. Auch hier werde ich nette Menschen treffen. Kay und sein Sohn Ben sind da sowie Martin mit seinem Sohn Aron und Martins Schwester Katharina mit Mann und mittlerweile zwei Kindern. Prima! Der Business-Bereich wirkt überhaupt heute wie ein Kinderland: Um uns herum wird mit einem Stoffball gekickt und irgendwann trudeln dann auch die Spieler ein.

Malte Schumacher

Martin hat Aron versprochen, dass er heute Autogramme sammeln darf und Doppeltorschütze und Man oft the Match – Domi – ist der Erste, der mit dem schwarzen Edding auf der Rückseite von Arons Eintracht-Hoodie signiert. Da kann ich dann auch nicht widerstehen und reiche mein Smartphone an Katharina weiter, die bitte ein Bild von mir und dem unglaublichen Domi machen möge … Da wird der Mann zum Kind – aber darum geht’s ja beim Fußball, zumal in der Vorweihnachtszeit.

Nun bleibt noch Zeit für Wünsche: Die Null muss stehen in Karlsruhe und vorne knipst Santa Kumbela … Und irgendwann, irgendwann einmal, spielt die Eintracht international – oh-oh-oh-oh …!

 

Kay Rohn:

Genau die richtige Wahl: Ich hatte Christian zum Spiel eingeladen. Er ist Bielefelder und durch seinen Beruf Wahl-Stuttgarter. Und er ist ein Stiftungsmensch. Wir hatten den Besuch lange geplant. In der Woche vor dem Spiel musste er mir leider absagen mit den Worten:„Ich habe hin und her überlegt – leider, leider werde ich deine tolle Einladung nicht annehmen können. Der Sonntag liegt direkt zwischen zwei Dienstreisen nach Moskau und Peking und ich bekomme das zeitlich nicht hin. SCHADE! Ich hoffe, dass wir das an anderer Stelle nachholen können. Möge am Sonntag der Bessere gewinnen – noch lieber aber die Arminia! ;-)“.

Christian, das werden wir nachholen, in welcher Liga auch immer! Mein zehnjähriger Sohn freute sich als Nachrücker über den Platz und über die Zeit mit der Eintracht und mir. Da Star Wars bisher doch einen weitaus größeren Eindruck auf ihn gemacht hatte als die Eintracht, war ich gespannt.

 

Spendenaktion für den Soccer Court

An den Plakatsäulen zur Spielankündigung weder Spieler noch Mannschaft, sondern das Symbol der Eintracht Stiftung. Stiftungsspieltag gegen Bielefeld mit großer Spendensammlung für den Soccer Court | Eintracht Braunschweig. Da sich die Baukosten auf rund 50.000 Euro belaufen, wurde zum heutigen Heimspiel der Löwen gegen Arminia Bielefeld eine große Spendenaktion für den Court gestartet.

Im Rahmen ihrer diesjährigen Weihnachtsaktion hat sich die Bundesliga-Stiftung als erster Spender mit 15.000 Euro beteiligt. „Die Kompetenzförderung von Kindern, zu der auch die Bewegungs- und Gesundheitsförderung gehört, ist eines der Hauptanliegen unserer Stiftung“, sagte Stefan Kiefer, Vorstandsvorsitzender der Bundesliga-Stiftung, in Braunschweig.

Im Umlauf des Stadion sammelten Teams, bestehend aus Eintracht-Mitarbeitern und teilweise ehemaligen und aktuellen Profis, Geld. Im Internet wurde eine eigene Spendenseite freigeschaltet. Vor dem Stadion fängt mich Dennis Kruppke ab und ich „muss“ meinen Beitrag leisten. Wie ein Capitano eben ist, fragt er Ben, meinen Sohn, nach seinem Tipp. Leise kommt ein 2:0 oder 3:0. „Na, die Richtung stimmt ja schon mal“, meint Dennis. Ben erkläre ich anschließend, welche Legende so freundlich mit ihm gesprochen hat. Bestimmt ist Dennis, das spüre ich, im Nachwuchsleistungszentrum am richtigen Platz.

 

„Danke ans Ehrenamt“

Auf dem Platz geht es weiter. Das soziale Engagement wird gewürdigt: Knapp 400.000 Menschen bekleiden eine ehrenamtliche Position in den über 25.000 Fußballvereinen in Deutschland. Weitere 1,3 Millionen freiwillig engagierte Helfer kommen dazu. Ohne sie könnte kein Spiel stattfinden.

Der DFB schreibt dazu: „Jedes Jahr im Dezember bedankt sich der Spitzenfußball mit der Aktion ‚Danke ans Ehrenamt‘ bei den vielen Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren. Die im Verein rackern, schuften und sich aus Liebe zum Fußball aus vollem Herzen einsetzen. Ohne die der Platz ungekreidet und die Trikots ungewaschen blieben.“

Menschen im Ehrenamt würdigen, Stiftungen im und um den Fußball, die soziale Verantwortung für ihre Regionen übernehmen, es kann gar nicht genug sein, meiner Meinung nach. Fußballvereine haben, allein durch ihre Strahl- und ihre Anziehungskraft, eine große gesellschaftliche Verantwortung. Wir alle sollten sie wahrnehmen.

 

Windbeutel und drei Tore

Die Windbeutel auf dem Buffett sind das Highlight für Ben. Wir genießen die Vater-Sohn-Zeit im Stadion. So wie Tausende es im Stadion schon erlebt haben. 2:0 oder 3:0 hat Ben gesagt. Nach vier Minuten und dem 0:1 beruhige ich ihn mit den Worten: „Wir schießen noch zwei bis drei Tore, wart mal ab.“ Ich denke an Christian, der jetzt irgendwo zwischen Moskau und Peking vermutlich vor seinem mobilen Endgerät sitzt und zeitverzögert jubelt. „Warte mal ab“, denke ich. Und die Mannschaft kommt ins Spiel zurück und macht drei Tore.

Domi Kumbela, in seinem gefühlten dritten Fußballleben, ist zweimal genau am richtigen Platz und kann sich mit Tor Nummer 10 und 11 in dieser Saison in der Torjägerliste ganz vorne eintragen. Das 3:2 ist wie ein Ergebnis in einem Pokalfight und so war es auch. Unsere Eintracht konnte einmal mehr zurückpunchen als der Gegner. Mit dem letzten Heimspiel verabschiedet sich die Eintracht in Braunschweig für dieses Jahr mit einer punktemäßig grandiosen Saison.

 

Zwischen Moskau und Peking

Der Jahresabschluss findet dann am nächsten Wochenende in Karlsruhe statt. Und was ist mit Bielefeld? Ich habe wenige gegnerische Mannschaften in diesem Jahr gesehen, die so couragiert aufgetreten sind. Die Arminen werden einen guten Platz im Mittelfeld belegen. Christian, Braunschweig liegt ja genau auf der Achse Bielefeld-Braunschweig-Moskau-Peking. Beim nächsten Mal schaffen wir das.

Und Ben? Dem hat´s Spaß gemacht.

Mir ist aufgefallen: Das Thema „Soziale Verantwortung“ ist im Fußballsport erst am Anfang.