Meine Prognose: 1:0. Das Tor macht Hernandez, mit der Pike. Ich singe meinen Mitreisenden zum Frühstück ohne Unterlass „Europa-Pokal“ vor, trage meinen Fanclub-Schal und bin bereit. Spaßbad und Monsterrutsche müssen auf mich verzichten, das klappt sonst nicht mit 13.15 Uhr, ich werde also am Strand spazieren gehen und den Heimsieg herbeimeditieren. Mein Plan steht: Irgendwann am Samstagabend hatte ich der blonden Bedienung im „Heimspiel“ bereits einen Besuch abgestattet, um sicherzustellen, dass da am Sonntag nicht die Sky-Konferenz läuft. „Logisch!“, hat sie gesagt.
Nachrichten aus der Heimat
Gegen 12.00 Uhr trudeln die ersten Nachrichten über den Fanclub-WhatsApp-Kanal ein: Straßenbahnen und Busse fallen teilweise aus und die Demo gegen die Betretungsverbote ist unterwegs. Ralf erreicht dann einigermaßen zeitig zu Fuß Block 6 und berichtet von den umfangreichen Sicherheitskontrollen. Um 12.30 Uhr ist er als Erster vom Fanclub im Block. Das ist sonst immer meine Rolle …
Mein Strandspaziergang mit Henriks Schwester Maren lüftet derweil den Musik- und Bierschädel endgültig gut durch. Sie hat früher für Eintracht Hockey gespielt, lebt aber längst in Hamburg und hegt Sympathien für den FC St. Pauli. Ihre Eintracht-Fußball-Beziehung hatte damals aber mal genauso begonnen wie meine und die vieler Stammbesucher: Mit fünf, sechs, sieben vom Vater da mal hingeschleppt und davon ist dann was geblieben.
Sechs vor dem Fernseher
Viertel vor eins habe ich die Aufstellung auf dem Display: keine Überraschungen, wie ich finde. Maren und ich plaudern gerade über dies und das, als Hermann aus dem „Heimspiel“ per WhatsApp fragt, wann wir endlich eintrudeln. Upps, schon fünf nach eins! Jetzt aber zackig. Pünktlich um 13.15 Uhr sind wir da, alles ist wie gemalt und bestellt: Michaela und Hermann, Simone und Jörg, Maren und ich – und ein schöner großer Fernseher, auf dem die Vorberichte zum Eintracht-Spiel laufen.
Der Sky-Kommentator will sich entweder einschleimen bei uns oder er hat etwas genommen. Sein Einführungssatz: „Meine Damen und Herren, wenn Dortmund gegen Schalke die Mutter aller Derbys ist, dann ist Braunschweig gegen Hannover die Großmutter! Bereits 1900 spielten diese beiden das erste Mal gegeneinander, das Revierderby hatte seine Premiere erst 1925 …“
Guter Start
Okay, danke. Anpfiff – die Roten attackieren sehr früh und gehen unseren Jungs mächtig auf die Knochen, Domi bekommt früh einen Ellbogen ins Gesicht und Jasmin Fejzic wird auch hart angegangen im Fünfer. Der Schiri wirkt aber so, als könne er damit umgehen, er versucht zunächst mal zu beruhigen, auch mithilfe gelber Karten. So richtige Torgefahr kriegen wir zu Anfang nicht an den Start …
Plötzlich aber doch mal Druck im 96er-Strafraum und irgendwie spitzelt Domi so eine Art Flanke rüber zu ChicKen, der das Ding per Fallrückzieher aus acht Metern reinwemmst. Yee-ha! Was für eine Bude … Das Thema Fallrückzieher war ja jahrelang unterbelichtet in Braunschweig, nun passiert das öfter: Domi in der Bundesliga-Saison, Pfitze im August 2015 und nun Reichel. Klasse! Wir atmen durch. Darauf lässt sich aufbauen.
Bicycle-Kick
Ich erkläre, dass ich neulich gelernt habe, dass Fallrückzieher auf Englisch „bicycle-kick“ heißt, und wir sind uns einig, dass das einleuchtender klingt als „fall-back-puller“ oder so … Auf einmal pennt Hannover kollektiv und Ornel Hernandez umkurvt den Torwart und macht das 2:0 – noch vor der Halbzeit! Grandios! Der Vogel ist echt eine Verstärkung, Hammer! Aua, nur zwei Minuten später schaffen die Roten den Anschluss, Harnik schießt Decarli so an, dass Fejzic machtlos ist – Scheiße! Mittlerweile sind auch die Spaßbader eingetrudelt – hinsetzen, Klappe halten.
Hermann murmelt: „Boah, Mann, nicht dass wir wieder einen zwei Torevorsprung vergeigen.“ Michaela verbietet ihm sofort die Unkerei. Uns allen aber ist eher mulmig als euphorisch zumute, der Gegentreffer kam zu früh und zu blöd. Über den Sky-Kommentator haben wir unser endgültiges Urteil gefällt: Er muss was genommen haben, denn zwischendurch hat er erzählt, die Abwehrspieler wären so groß gewachsen, „dass sie aus der Dachlatte trinken“…
Zweite Halbzeit
Schönfeld muss raus in der Halbzeit, Bole kommt. Und hatten im Verlauf der ersten Halbzeit zunächst die Gästefans ihre Pyromanie ausgelebt, sind zu Beginn von Halbzeit 2 unsere Pyro-Mannis dran, inklusive Leuchtraketen. Das ist überflüssig und wird den Verein mal wieder einen Haufen Geld kosten. Der Schiri unterbricht für ein paar Minuten.
Die Roten wirken auch nun wieder stärker und robuster. So richtig schaffen wir es nicht, das Spiel an uns zu reißen und denen zu zeigen, wer heute gewinnen will und wird. Unsere schnellen Stürmer Hernandez und Domi haben nach einer Stunde dennoch die Abwehr überlaufen, Ornel legt quer auf Domi und Domi – verballert das Ding. Maren schaut mich an und sagt: „Das war eine 150-Prozentige, die muss man machen.“
Ich habe dienstags beim SCH Lampe Braunschweig schon so viele so ähnlich verballert und erkläre ihr den Zusammenhang zwischen Unebenheiten, Grashalmen und verspringenden Bällen. Sie schüttelt den Kopf: „150%ige …!“ Und sie hat ja recht. Wenn Domi den getroffen hätte, wäre das Ding durchgewesen. Stattdessen aber machen die Roten kurz danach den Ausgleich: Nachdem Khelifi unnötig den Ball verloren hat, läuft ein Konter und Karaman wird nicht wirklich aufopferungsvoll daran gehindert, das Tor zu schießen.
Glück gehabt
Puh, nun ist die Stimmung gedrückt und alle denken an das 2:3 in Dresden. Maren geht zur Ablenkung flippern. Ich laufe auf und ab und kaue Fingernägel. Wir sehnen den Abpfiff herbei … Und es kostet noch richtig Nerven: Maxi Sauer bekommt den Ball im Strafraum an die Hand, Harnik hat noch Chancen – ich steigere mich in meinen Hospitalismus und tigere nur noch auf und ab. Schlusspfiff – Glück gehabt! Nun Länderspielpause bis zum nächsten Spiel in Bochum am 18.11. und Torsten muss den Jungs bis dahin beibringen, Spiele zu gewinnen, in denen sie zwei Tore Vorsprung haben.