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Stadionfunk
Drei Töchter, 22 Löwen und ein neuer Alter

Am Samstag war 1860 München zu Gast im Eintracht-Stadion. Ein Spiel, zwei Perspektiven. Unsere Regionäre Kay Rohn und Malte Schumacher berichten.

Kay Rohn:

Väter und Töchter

Drei Töchter begleiten mich heute – ein Fest. Wie bei der großen Choreo in Dortmund vor Kurzem: „Als Kind bin ich mit meinem Vater gekommen. Und der wurde auch schon von seinem mitgenommen“. Und das verdreifacht erlebe ich an diesem Samstag. Gemeinsam schauen, bewerten, analysieren und zwischendurch die Themen aus dem normalen Leben. Ein schöner Geburtstag im Stadion.

 

Zu den besten fünf Vereinen in Deutschland gehören?

Im Moment ist es sicher unser Teilziel, aber auf Dauer hätte ich das Ziel, wieder unter die ersten 25 zu kommen. Die Münchner sind Aufsteiger aus der Regionalliga. Das Team wirkt gut eingespielt und steht mit Recht auf dem 6. Platz. Beide Teams wirken gut aufgestellt, fußballerische Qualitäten sind auf beiden Seiten. Die Eintracht beginnt mit vielen Abspielfehlern, beide Mannschaften sind sehr engagiert und geben keinen Ball verloren. Kessel hat eine Kopfballchance, Feigenspan kann von der linken Seite aufs Tor schießen, aber es reicht nicht zum Tor. Es reicht auch als Mannschaft noch nicht, um München richtig in Schwierigkeiten zu bringen.

Kay Rohn
Drei Töchter zum Feiern.

Dann lieber ohne Schiedsrichter

In der 18. Minute fast das 1:0 durch Janzer. Die Tormusik läuft bereits, da entscheidet das Schiedsrichtergespann auf Abseits. Der Linienrichter hatte die Fahne lange Zeit nicht gehoben und es sah aus als wenn sie diskutierten, ob es nun ein Tor war oder nicht. Aber es geht mit 0:0 weiter. Und die Schiedsrichter verlieren mehr und mehr die Kontrolle über das Spiel. Viele Nickligkeiten, kleine aber auch größere Fouls werden unterschiedlich geahndet. Keine gelungene Leistung der Referees an diesem Samstagnachmittag.

 

Bin I Radi, bin I König

Der Münchner Torwart, Marco Hiller, hat vielleicht Petar Radenkovic, den Torwart der 60ziger als großes Vorbild. Der war nicht nur bekannt als Sänger mit seinem Schlager Bin I Radi, bin I König sondern gerade für seine Ausflüge vor dem eigenen Tor und sein damit verbundenes etwas leichtsinniges Spiel. In der 27. Minute ist es Marco Hiller, der Münchner Torwart, der sehr riskant von hinten herausspielen will und dabei an Feigenspan scheitert; der legt auf zu Janzer, doch der verzieht über das fast leere Tor.

 

Ein neuer Alter

T O R ! Leider auf der falschen Seite. Wie aus dem Nichts kommt ein scharf getretener Freistoß aufs Tor, die Mauer ist kein Hindernis und das Netz zappelt hinter Jasmin Fejzic – 0:1! Und noch zweiundzwanzig Minuten zu spielen. Putaro und Bär sind seit ein paar Minuten auf dem Feld. Julius Düker kommt auch noch für Hofmann in der 81. Minute aufs Feld. Von der Bank aus macht Schubert seiner Elf zwei Zeichen; 1.: Den Ball hoch nach vorne und 2.: Er zeigt zwei Finger für „Auf den zweiten Ball gehen.“ Ab jetzt also „Kick and rush“. Hoch nach vorne und stürmen. Und das macht die Eintracht dann auch. So geht’s dann auch weiter. Hoher Ball nach vorne und kämpfen. Und dann ist da plötzlich ein neuer Alter mit dem Kopf am Ball und verlängert eine Flanke von Kijewski ins lange Eck – 1:1! Mit Julius Düker haben wir, wenn er ins Zentrum geht, einen Mittelstürmer der alten Schule.
Manchmal muss es die Brechstange sein und heute war sie nötig. Punkt gewonnen statt verloren.

 

22 Löwen auf dem Platz

Aber zigtausend Löwen sind mit dem Herzen dabei. Die Münchner Fans warten mit einer Choreo auf, die in den Stadtfarben von München und mit dem boxenden Münchner Kindl auf die Stadtgründung 1158 anspielt. Das boxende Wesen ist wohl Ansporn für so manch einen Spieler gewesen. Und was machen die Braunschweiger Fans? Die XXL-Fans nehmen erfolgreich am Stadionlauf teil und schaffen die 5.000-Meter-Strecke. Ein Teil will umziehen, von der Seite in die Mitte der Südkurve. Ob das so der richtige Zeitpunkt dafür ist? Und dann gibt es da noch einen Braunschweiger Fan namens „Rudi“, der ein wunderbares Modell vom Tempel gebaut hat. Mir wurden bisher nur die Bilder und sein Name zugespielt. Ich werde ein Interview mit ihm machen und darüber berichten.

Mir ist aufgefallen: Fußball ist mehr als 22 auf dem Platz.

Link zum Schlager von Petar Radenkovic, 1965
https://www.youtube.com/watch?v=QqxxFUoWHUg

Malte Schumacher:

Küchengeplauder

Es ist 0.30 Uhr, der Spieltag also gerade 30 Minuten alt, und ich sitze mit meinem alten Freund Martin in unserer Küche. Martin lebt seit Jahren in München, ist Jurist und ist in dieser Funktion ab und an auch für die Eintracht aktiv. Wir kennen uns schon seit über 30 Jahren, beim Hinspiel gegen 1860 am 12. Spieltag im Oktober 2018 war er im Urlaub und hatte Wolfram und mir den Schlüssel für seine Schwabinger Wohnung überlassen – schöne Grundlage für ein tolles Wochenende. Gerade philosophieren wir beim zweiten Negroni über die Entwicklung der Eintracht seit jenem Spiel damals, dem ersten von „Meister Proper“ André Schubert. 8 Punkte hatten wir nach der lahmen 0:2-Klatsche und waren natürlich Letzter. Heute, fünf Monate später, sind wir mit 35 Punkten 16ter – also über der Abstiegslinie … Allein von den letzten sieben Spielen haben wir keines verloren und sind eines der besten Teams der Rückrunde. Aber weiterhin müssen Eintracht-Siege her, um den Abstand zu den hinter uns stehenden Mannschaften rasch und sicher auszubauen.

 

Negroni wird 100

Wer denn nachher Pfitze und Nkansah ersetzen wird, fragt Martin. Menz in der Innenverteidigung und Otto im Mittelfeld, ist meine These. In dem Moment beschließen wir, dass ich beim Spiel heute neben Martin sitzen werde, in Block 3 des Business-Bereiches. Ich habe mal wieder Lust auf die „Taktik-Draufsicht“ nahe der Mittellinie, die dort besser ist als aus meinem Stamm-Block 6. Vier der im Oktober in München eingesetzten Spieler werden wohl auch heute wieder auflaufen (Kijewskii, Fürstner, Otto und Hofmann) – ich möchte gern deutlich sehen, was Schubert alles verändert hat mit den neuen Spielern. Ein wenig ist aber vielleicht auch der Negroni schuld an meiner Entscheidung – dieser italienische Cocktail aus Wermuth, Campari und Gin feiert in diesen Tagen seinen 100. Geburtstag, und Martin und ich feiern kräftig mit … Als wir dann um 12.00 Uhr zum Stadion aufbrechen, wird mir klar, dass ich heute mit vielen meiner Spieltagsrituale breche: Wann bitte bin ich jemals mit dem Auto zu einem Heimspiel gefahren? Aber klar, wenn dann auch das volle „Business-Erlebnis“ inklusive Tages-Parkausweis hinter dem Kubus …

Überlanderöffnung

Beim Einparken treffen wir dort auf Lars, Chef in der „Wahren Liebe“ nebenan. Wir haben uns länger nicht gesprochen und Martin kennt das „Überland“ noch nicht, Lars’ aktuellstes Restaurant-Projekt im BraWo-Park am Hauptbahnhof – gemeinsam mit Tim Mälzer. Lars lädt uns ein zur Eröffnung am Mittwoch, den 29. Mai, einer offenen Veranstaltung für alle Interessierten. Der Abend vor Christi Himmelfahrt – gut gewählt, Martin und ich machen einen Kalendereintrag. An der „Wahren Liebe“ selber brennt natürlich die Luft – der Frühlingshauch macht durstig. In solchen Momenten merke ich immer, dass wir mit blau und gelb einfach die schönsten Farben der Welt haben – blau wie der klare Himmel und gelb wie die strahlende Sonne. Das hat mich an St. Pauli ja immer irritiert – wer ist da bloß mal auf braun als Hauptfarbe gekommen? Schön auch die ältere Dame, die auf dem Stadion-Vorplatz selbstgefertigte Schals und Mützen offeriert – die gute alte blau-gelbe Strickware …

 

Block 9 und Block 7

Wir schauen noch kurz bei den Fanclub-Jungs in Block 6 auf ein Bier vorbei – einige müssen passen heute. Ralf hatte beim Frühstück in unseren WhatsApp-Kanal getextet, dass er Sonntag mit der Familie nach Mallorca fährt und noch ganz viel packen muss: „Kletterkram, Unterwasserlampen, Schwimmsachen …“ Volkers Kommentar: „MacGyver genügt für euer Programm ein Taschenmesser!“ Vor Ort schon heiß diskutiert wird der Flyer der Ultràs – sie haben die Idee, zur Saison 2019/20 von Block 9 in Block 7 umzuziehen … Warum? Block 7 liegt inmitten der Südkurve, und die Ultràs hoffen, von dort ihre Unterstützung besser auf die komplette Südkurve sowie das gesamte Stadion übertragen zu können. Klar, wer nun schon seit Jahren seine Dauerkarte in Block 7 hat, wird davon vielleicht nicht so begeistert sein … Am 10. April gibt’s deshalb eine Diskussionsveranstaltung dazu im Stadion – also alle hin da und mitreden, die nun schon laut meckern. Präsi Volker formuliert die Position unseres Fanclubs eindeutig: „Wir sind und bleiben Block 6!“

 

Geburtstag in blau und gelb

Auch auf dem Weg in den Business-Bereich stechen die Farben blau und gelb heute besonders ins Auge – allem voran am Merchandising-Schnäppchen-Stand zwischen den Blöcken 5 und 4. Am Fuße der Treppe zur Haupttribüne sitzt ein einzelner blau-gelber Fan, vertieft in das Spieltagsmagazin – gute Vorbereitung ist alles! Und oben am Einlass sammelt sich gerade eine sechsköpfige Bajuwaren-Gruppe, teilweise in Lederhose gewandet. Löwen gegen Löwen, Tradition trifft heute auf Tradition … Im Business-Bereich selbst stoßen Martin und ich zum Glück rasch auf Kay, denn der hat heute Geburtstag: Herzlichen Glückwunsch also und eine schöne Stadionfeier wünschen wir ihm! Was für ein Ort, was für ein Anlass, um gemeinsam mit den Töchtern seinen Geburtstag zu feiern …

 

Taktik-Draufsicht

Und ja, unsere Plätze sind wie erhofft: Ich kann wunderbar sehen und analysieren, was die Mannschaft taktisch umsetzt. Schade ist nur, dass hier natürlich null Fan-Block-Stimmung herrscht – egal, mal wieder eine andere Erfahrung sammeln. Die Aufstellung: In der Tat ist Otto drin, dazu aber auch Rütten und Feigenspan, Menz ist wohl krank. Noch ein Bier holen, dann aber „Platz nehmen“ – ungewohnt … Sofort nach Spielbeginn wird klar: Das Modell Dreier-/Fünferkette in unserer Abwehr wird tatsächlich so umgesetzt, wie es auch der argentinische Trainer-Gott Marcelo Bielsa (genannt „El Loco“) gern praktizieren lässt. Bernd Nehrig spielt zentral vor der 4er-Abwehrkette, lässt sich aber oft zwischen die Innenverteidiger Becker und Rütten zurückfallen. Das bedeutet bei Ballbesitz Eintracht und im Spielaufbau Dreierkette (Kessel und Kiwi geben dann zwei Außenstürmer) – und in der Rückwärtsbewegung entsteht eine Fünferkette. Schön, das mal so deutlich sehen zu können.

Janzer, mein Gott Janzer

Ich habe Respekt vor 1860, ich erwarte die Münchner stark und anstrengend – Pustekuchen! Die haben kaum eine Chance, wir bestimmen das Spiel. Allein, und auch das ist fataler Weise von meinem heutigen Sitzplatz aus besser zu sehen als aus Block 6: Wir bekommen sowohl den vorletzen als auch den letzten Pass nicht ins Ziel. Hinten stark und sicher, vorne ungenau und nicht effizient – so mein Tribünenfazit nach 15 Minuten. Martin nickt. Kurz darauf drischt Nehrig drauf, aus 20 Metern Entfernung. Der 60-Torwart wehrt ab – direkt vor die Füße von Janzer, der das Ding reinballert. Yes! No! Der Schiri-Assistent unten vor uns an der Linie hat gefühlte 45 Sekunden gebraucht, um seine Fahne zu heben – Abseits, kein Tor. Um mich herum wird heiß diskutiert, ich kann die TV-Diagnose aus dem Fanclub-WhatsApp-Kanal beisteuern: „Über einen Meter im Abseits“ textet Ralf. Wir pressen die 60er weiter hoch an, und die machen Fehler: 10 Minuten später gewinnt Feigenspan den Ball am 16er, legt quer auf Janzer – und der ballert aus sieben/acht Metern himmelhoch über das halbleere Tor … Das hätte es sein müssen.

 

Der Mann auf dem Dach

Da wir weiterhin ungefährlich bleiben, und die Gäste schwach, kann ich mal meine Gedanken und Blicke schweifen lassen … Schon ganz bequem hier bei den Business-Sitzern an so einem Frühlingssamstag. Dann fällt mein Blick nach gegenüber auf die BS|ENERGY-Werbebande auf dem Dach der Gegengerade: Genau am „S“ von „Starkstrom im Stadion“ spaziert ein Mann im weißen Hemd entlang … Alter Schwede – es gibt also noch bessere Plätze als Block 3, Reihe 20 … Wie kommt man da denn hin? Und wer ist das? Das kriege ich raus … Die Business-Pause nutze ich effizient: Eine Tasse Kaffee, eine schnelle Kleinigkeit zu essen – das genügt mir. Ich gehe früh wieder raus, will bloß nichts verpassen. Mein Halbzeit-Kurz-Fazit teilen alle: Wir hätten gegen harmlose 60er ein Tor schießen müssen.

 

Effizienz

Gewechselt wird nicht bei uns, hoffentlich aber hat Meister Proper den Jungs nun Effizienz beigebogen … Hmm, geht so, blau-gelbe Torchancen bleiben weiter Mangelware. Ein Punkt wäre ein wenig dünn angesichts dieses schwachen Gegners. Feigenspan und Janzer sind schon runter für Bär und Putaro – Bär bringt auch gleich gut Schwung rein. Ich singe gerade wieder vor mich hin in der 67. Minute: „Deutscher Meister, Deutscher Meister, in den Farben gelb und blau …“ – da kommt es wie so oft im Fußball: Machst du keine Tore, fängst du dir eins … Ein eher harmlos anmutender Freistoß der 60er segelt halbhoch durch unseren Strafraum, keiner geht ran, Fejzic sinkt in die falsche Ecke: 0:1 in der 68. Minute für erschreckend effiziente 60er … Oha, jetzt bekomme ich Bauchschmerzen und starte das Nägelkauen. Ein Sieg wird das wohl nicht mehr – wer aber macht nun wenigstens den Ausgleich?

 

Julius Düker

Die 60er machen nun gar nichts mehr, außer Zeitschinderei mittels Schauspiel-Verletzungseinlagen. Das Publikum – selbst hier – wird lauter und wilder, die drei Männchen in schwarz geben keine gute Figur ab dabei. Puh, ich bin ratlos, als Martin wissen will, wer nun noch die Bude macht. Nochmal wechseln? Ja, Schubert nimmt in der 81. Minute Hofmann runter und bringt Julius Düker, der zuletzt gegen Wiesbaden ganz blass war … Wir drücken und drängen – aber weiterhin fehlt’s am letzten Pass. Nachspielzeit, Heimniederlage vor Augen. Mist, ich wäre jetzt gern in Block 6 bei den Jungs … Kijewski schlägt noch mal eine Flanke aus dem Halbfeld, Düker hält die Birne hin – und oben im langen Eck landet der Ball im Netz. Wir stehen und hüpfen, ich falle Martin um den Hals – ein Punkt ist gerettet!

 

Business-TV

Kurz danach haben Fürstner und Kessel sogar noch Möglichkeiten zum zweiten Tor, vergeben aber. Schlusspfiff – und sofort darauf geht es genau unter uns zwischen den Trainerbänken heftig zur Sache, die Trainer und sogar einige Ordner-Schränke müssen die Spieler trennen und beruhigen. Mittendrin Benni Kessel, der völlig außer sich ist. Erst im Business-Bereich beim Bier erfahren wir via Eintracht-TV, worum es da ging: Ein 60-Spieler hatte Kessel nach dem Schlusspfiff aufs Trikot gerotzt. Ihh, was für ein Vollpfosten …! Ich lasse den Spieltag nun locker ausklingen – Lea, Martins Nichte, ist die perfekte Partnerin dafür. Das Ergebnis ist ihr egal, sie will, dass ich ihr ein Eis hole. Während sie darauf wartet, nimmt sie Platz unter dem Bild von Richard Queck, der vor über 100 Jahren für die Eintracht spielte. Klar, das ist ein schönes Sinnbild für das heutige „Löwen-Traditions-Duell“: In 10 Jahren steht Lea in blau und gelb mit mir in Block 6 und singt und hüpft und schreit …