Erster Spieltag nach dem Aufstieg, Sommerwetter, zu Gast im Eintracht-Stadion: Der „große" HSV. Besser kann ein Saisonauftakt kaum sein. Fast jedenfalls. Malte Schumacher und Kay Rohn berichten über euphorische Fans, eine Namensdiskussion und einen Torwart, der heute Riesenpranken hatte.
Stadionfunk Eintracht Braunschweig: Der HSV macht Hoffnung
Malte Schumacher:
Es geht wieder los!
Die Sommerpause ist zu Ende und die Zweite Liga ist längst wieder im Gange. Am Freitagabend hat Kaiserslautern den Verein aus West-Peine geschlagen, gestern war ich mit Thorsten und Alex von der Braunschweiger Agentur „Markenstudio“ in Hamburg beim Spiel St. Pauli gegen Nürnberg.
Beiden Mannschaften merkte man deutlich an, dass sie noch auf der Suche sind nach ihrem System. Das ist heute ja auch unsere Hoffnung – wir kriegen den großen Aufstiegs-Favoriten HSV gleich ganz zu Anfang, wenn’s bei denen hoffentlich noch hakt.
Mit Polizeibegleitung: Der Fan-Marsch zum Stadion
Heute muss ich früh los – um 10.30 Uhr trifft sich die aktive Eintracht Braunschweig Fanszene auf dem Schlossplatz, um anschließend einen Fan-Marsch in Richtung Stadion zu starten. Das Wetter ist nahezu perfekt dafür, und gemeinsam singen wir den Klassiker „Wir, wir, wir sind die Eintracht!“
Und dann geht’s los, begleitet von Polizei und Fan-Betreuung, in Richtung Stadion. Ich radele entspannt nebenher und lasse meine Gedanken schweifen. Sind wir schon in der Lage dazu, den HSV heute zu schlagen?
Eintracht-Fans in der Braunschweiger Innenstadt
Susanne fällt die Prognose schwer
Auf meine Frage nach dem Ausgang des heutigen Spiels antwortete meine Blogger-Kollegin Susanne Jasper Anfang Juli: „Volle Klatsche gegen den HSV. Unzweideutiges 0:3.“. Heute morgen dann der Sinneswandel: „Ich muss mich korrigieren: Schrubbe für HSV, 2:1.“. Irgendwie beschreibt das auch meine Einschätzung für heute: Alles ist möglich. Der Trainer wird mit 3er/5er-Kette spielen lassen, da bin ich mir sehr sicher. Davor Nikolaou und Krauße – auch da bin ich mir sicher. Devise: Hinten möglichst nichts zulassen.
Menschen und Meinungen
Im Eintracht Braunschweig FanHaus treffe ich Karsten König vom Fanprojekt und seine engagierten KollegInnen. Auch hier ist der Tenor: Ein Sieg heute wäre super, aber möglich ist leider alles. Jens und Holger begegnen mir auf dem Stadionvorplatz und sind auch irgendwie beides: siegeswillig und realistisch. Julia Retzlaff, SPD-Landtags-Kandidatin, dagegen ist vorsichtig euphorisch: 2:1 für uns.
Ringo´s Stars
Auf der Rheingoldstraße steht Thorsten Rinke, Vorstandsvorsitzender des Braunschweiger Filmfest-Vereins – auch Ringo genannt. Von ihm will ich wissen, wie er die Saison einschätzt. Wir sind uns relativ einig: Wir haben ein schweres Start-Programm und uns fehlen noch mindestens drei Spieler, die sofort zünden müssen: ein Linksaußen (ein Kandidat ist wohl Endo von Union Berlin), ein Mittelstürmer (vielleicht Köpke von Nürnberg, der dort gestern nicht im Kader war) – sowie ein Innenverteidiger.
Begegnungen in der kleinen blau-gelben Welt
Nun noch schnell zum FanRat-Wagen, mal wieder Micha treffen. Dort stoße ich auf Andrea und Olli – und Olli strahlt mich an: „Du bist der Stadionfunk-Malte, ich kriege Eure Blog-Beiträge immer weitergeleitet von Wolfgang aus Göttingen!“. Herrlich, wie klein die blau-gelbe Welt ist!
Auch Micha, Andrea und Olli sind verhalten optimistisch: Eigentlich könnte heute was gehen, aber…. Es ist halt der HSV, der Aufstiegs-Kandidat Nummer 1. Erstmals gehen die Hamburger nicht mit einem neuen Trainer in die Saison – die könnten also schon recht weit sein mit ihrem System.
„Eintracht-Stadion“ – jetzt und immer!
Oben im Block 6 ist es schon recht voll – trotz Ferienzeit ist auch unser eigentlich so reisefreudiger Fanclub „Bewegung 18. Mai“ gut vertreten. Wobei: Volker grüßt aus Seattle, und Inga guckt Sky in Amsterdam – wohl im Coffee-Shop, sind wir uns sicher. Heiko hatte am Freitag Geburtstag, und darauf gibt’s ne Runde Wolters für alle.
Vor dem Anpfiff richten Thilo und Benny aus der aktiven Fanszene nochmal über die Stadion-Lautsprecher den dringenden Appell an alle, die „Stadion-Namensretter-Kampagne“ der Eintracht zu unterstützen. Jens rechnet vor: „Heute sind ca. 20.000 Braunschweiger hier. Wenn jeder die einfachste Variante wählt, das 19,23 Euro-Paket, kämen fast 400.000 Euro zusammen…“. Recht hat er!
Wir schauen ins Stadionrund. Die Nordkurve ist gut gefüllt mit HSV-Anhängern, und die Klappspaten da drüben zünden Rauchtöpfe und schießen blaue und weiße Leuchtraketen in den Sommer-Himmel. Das Spiel beginnt mit Verspätung.
Tor-Chancen ohne Ende
Unsere Jungs sehen gut aus in der Anfangsphase – nach drei Minuten ballert Kaufmann nach einem schnellen Konter über rechts ans Außennetz. Unsere Abwehr steht gut, verschiebt gut, hat den Gegner im Griff. Der HSV wirkt nicht gefestigt, macht immer wieder Fehler im Spielaufbau, die wir zu Kontern nutzen. Wahnsinn – nach 20 Minuten hatten wir schon fünf Torchancen, der HSV keine. Geht heute was? Einzig der HSV-Torwart wirkt bislang überzeugend, Heuer Fernandes lässt insbesondere Lauberbach immer wieder verzweifeln.
Nach 40 Minuten zählen Jens und Micha mindestens acht Torchancen für uns auf – ne Bude vor der Pause wäre der verdiente Lohn.
Immanuel Pherai – eine Offenbarung
In der Nachspielzeit hat Strompf dann tatsächlich nach einem Freistoß von Kiwi das 1:0 auf dem Kopf, versemmelt das Ding aber etwas ungelenk. Mist! 0:0 zur Pause, obwohl es 3:0 stehen könnte. Torchancen HSV? Nö, durch unsere blau-gelbe Brille nicht erkennbar gewesen. Okay, da wir der Aufsteiger und die der Favorit sind, unken die ersten Klugscheißer bereits, dass sich das rächen könnte. Fazit bis hierhin: Alleine Immanuel Pherai erleben zu dürfen, ist ein Erlebnis. Wann hatten wir zuletzt so einen Fußballer im Team? Spiel-Intelligenz, Übersicht, Robustheit, Schnelligkeit, Technik – ich weiß gar nicht, was ihm überhaupt fehlt. Hammer-Transfer!
Fernandes verflixt gut
Weiter geht’s, ohne Personal-Wechsel. Und Pherai trifft fast in den Winkel – Fernandes aber pariert den Ball und ist heute nicht zu überwinden. Der HSV drängt jetzt etwas mehr und verliert leider den Ball nicht mehr so einfach wie im ersten Durchgang. Nach einer Stunde rettet der Torwart wieder gegen Pherai – langsam bereitet mir unser Chancen-Wucher körperliche Schmerzen. Der HSV wechselt nach einer Stunde, die beiden Neuzugänge gehen raus. In der 65. Minute trifft Lauberbach das Außennetz – unsere Chance Nummer ich-kann-nicht-mehr-mitzählen…
Die 67. Minute
Und dann ist der Ball drin – aber in unserem Tor, hinten vor der Nordkurve. Unsere Abwehr klärt nach einer Ecke nicht entschieden genug und Torjäger Glatzel macht aus zwei Metern seinen Job. Mist, die Klugscheißer hatten recht. Ausgerechnet in der 67. Minute, und da der Schiri ob der Hitze nochmal eine Trinkpause verordnet, singen wir unverdrossen das Lied von unserer Deutschen Meisterschaft im Jahr 1967.
Die Pyromanen vom HSV brennen dazu rote Leuchten ab – da ihr Verein ja über Abermillionen Euro verfügt, werden die DFL-Geldstrafen dort niemanden jucken…
Glatzel trifft doppelt
Geschockt sind unsere Jungs schon ein wenig. Die Stimmung auf den Rängen aber bleibt postiv-aufmunternd, Gemurre ist nicht zu vernehmen. Gleichwohl – auf dem Rasen sind Schwung und Dynamik leider weg. In der 76. Minute ist es wieder Glatzel, der sehr frei stehend eine unbedrängte Flanke einköpfen darf.
Schade eigentlich, nach 65 Minuten war es mit unserer defensiven Stabilität vorbei. Fehlt da noch Abstimmung? War es zu heiß unten auf dem Platz, so dass Konzentration und Kondition irgendwann nachlassen? Wir im Block können nur mutmaßen und feuern unverdrossen an.
Lattentreffer und Strafstoß-Verwirrung
In der 80. Minute müssen wir dann noch lernen, dass wir in Liga 2 wieder vom „Kölner Keller“ begleitet werden – der Schiri gibt erst Elfmeter für uns, dann korrigiert er sich nach VAR-Eingriff auf Freistoß kurz vorm Strafraum. Den schlägt Kiwi schön auf’s untere Eck – Fernades aber will heute alles halten. Als Pherai kurz vor Schluss den Ball an die Latte lupft, stöhnt ein Fan neben mir: „Die können heute bis zum Sonnenuntergang spielen und schießen kein Tor…“. Mitten im Hochsommer ist das böse – aber leider wahr.
Es geht weiter, immer weiter
Schlusspfiff, Heim-Niederlage – trotzdem singen und feiern wir weiter. Die Fans wollen der Mannschaft Respekt und Dankbarkeit zeigen für richtig guten, attraktiven Fußball. Ja, unser Auftakt-Programm ist hart – aber wenn wir bald über 90 Minuten hinten gut stehen, dann geht auch vorne mal einer rein. Ich bleibe optimistisch und radele singend nach Hause – in Gedanken bei Kay, der in der Isolation schmort…
Analyse Kay Rohn:
Formel H: Hamburg. Heidenheim. Hertha
Auftakt. Nicht 0:3, aber 0:2. Und doch war das Spiel (fast) ganz anders, als ich es erwartet hatte. Ballbesitz beim HSV, aber unsere Abwehr stand sehr sicher. Und -das war ausschlaggebend war für die positiven Kommentare nach dem Abpfiff - unser Umschaltspiel funktionierte sehr gut.
Abwehr und Mittelfeld waren in diesem Spiel zweitligatauglich und mehr. Was sich im Spiel gegen Union Berlin schon abzeichnete, bestätigte sich im Stadion: Die Mannschaft überbrückt spielerisch sehr schnell die Distanz zwischen eigenem und gegnerischem Strafraum.
0:2 gegen Hamburg, ein Unentschieden in Heidenheim und ein Pokalsieg gegen Hertha. Das wäre mein Start in die „Formel H“.
„Ein starker Verlierer“
Das jedenfalls sagte der Kommentator im TV. Mit Recht.
Minute 2:42: Kaufmann mit einem schnellem Gegenstoß, Schuss ans Außennetz. Minute 11:00: Marx mit einem Schuss ans lange Eck, knapp am Torpfosten vorbei. Minuten 13., 14. und 19: Lauberbach mit Schüssen aufs Tor und 1-zu-1-Situation gegen den Torwart.
So ging es auch in der zweiten Hälfte weiter. Eine Mannschaft, die sich so viele Torchancen erarbeiten kann, wird auf Sicht auch Tore schießen. Deshalb sind wir ein starker Verlierer, wir können mit dieser Leistung sehr positiv in die Saison schauen!
Die Glatzel-Show
Die Qualität im Abschluss, die uns fehlte, bewies der kaltschnäuzige Hamburger Robert Glatzel. Schaut man beim ersten Tor genau auf seine Bewegung, dann sieht man, wie er sich in eine gute Position bringt. Er ahnt förmlich voraus, welchen Weg der Ball machen wird. Beim zweiten Tor ließ Glatzel Saulo Decarli sehr schlecht aussehen: Er stand beim Kopfball 20-30 cm höher in der Luft und weder Decarli noch Hoffmann hatten eine Chance.
Löwen kämpfen
85. Minute. Pherai treibt weiter unermüdlich die Mannschaft nach vorne, legt immer noch lange Spurts hin. Und schließlich gelingt ihm fast noch der Anschlusstreffer mit einem technisch anspruchsvollen Lattentreffer. Dieses Kämpfen wird auch von den Zuschauern belohnt.
Horst Hrubesch macht Hoffnung
Der Horst. Nach dem letzten Abstieg in die dritte Liga konnte ich mich kurz nach dem Spiel in Hamburg auf dem Parkplatz mit ihm unterhalten. Er, typisch in Trainingsanzug und mit gefülltem Ballnetz über dem Arm, hatte tröstende Worte. „Wir sehen uns bestimmt bald wieder, ihr macht das,“ gab er mir auf den Weg. Er hatte Recht und ich freue mich auf das Rückspiel. Dann hoffentlich mit einer kompletten Mannschaft, die weit mehr holen wird als ein 0:4 aus dem Abstiegsjahr.