Ein Fußballfan in lila-weißem Trikot vor dem Eintracht-Stadion in Braunschweig. Malte Schumacher

Stadionfunk Eintracht Braunschweig:
Frühlingserwachen

Die „Lilien“ aus Darmstadt zu Gast im Eintracht-Stadion. Zwei Traditionsvereine, zwei Tore statt vier – und jede Menge Dramatik. Malte Schumacher und Kay Rohn berichten.

Malte Schumacher:

Torjäger gegen Beton

15 Tore in bisher 24 Spielen, insgesamt eine Torquote von 47 Buden in 98 Spielen – Darmstadts Serdar Dursun sei ein beeindruckender Stürmer, so die Braunschweiger Zeitung am Spieltags-Morgen. Allein in den letzten beiden Spielen hat er fünf Mal getroffen.
Da prallen also heute zwei Gegensätze aufeinander – die Eintracht ist seit vier Spielen ungeschlagen, und obendrein seit über 400 Minuten ohne Gegentor. Unsere Abwehr oder Serdar Dursun – irgendwer sieht nachher gegen 15.00 Uhr etwas älter aus. Zumal in unserer Abwehr drei tragende Säulen bei vier gelben Karten stehen und Sperren für das nächste Spiel bei St.Pauli drohen.
 

Mein Regelfall: FanRadio plus Kälte

Sorgen macht mir auch das Wetter heute – immer, wenn ich für das Eintracht-FanRadio im Einsatz bin, ist es kalt. Ich könnte diese Korrelation eigentlich mal an den Deutschen Wetterdienst verkaufen…. Egal: dicke Socken, dicke Schuhe, dicke Jacke – dicke Hose sowieso. Ich radele trotzdem mit dem Fahrrad los, zum Wachwerden. Außerdem will ich mal wieder einen Streifzug machen rund um‘s Stadion, um den Bezug zum Stadion-Umfeld nicht ganz zu verlieren in der Pandemie…

Ina und Timo

Auf dem Stadion-Vorplatz komme ich an zwei Menschen mit blau-weißen Schals vorbei. Moment mal: „Was macht Ihr denn hier in Pandemie-Zeiten??“ frage ich. Die Darmstädterin Ina lebt in Braunschweig und arbeitet bei der VWFS AG, und Timo ist bei ihr zu Besuch. Lange geplant, und nun trotz Pandemie auch gemacht – ohne Stadion-Besuch natürlich. Man merkt ihnen an, dass die letzten Darmstädter Spiele euphorisierende Wirkung haben: Ina tippt 2:1, Timo gar 3:1 für die Lilien. Als ich Stürmer Dursun meinen Respekt zolle, wird Timo jedoch sehr rational: „Der hat auch schon mal sieben Spiele lang gar nicht getroffen…“. Alter Schwede, Danke für die Aufmunterung!
 

Unsere Fanclub-Fahne

Eigentlich wollte ich im Laufe der Woche Erik Lieberknecht, dem Fan-Beauftragten, unsere Fanclub-Fahne vorbeibringen, damit diese zusammen mit vielen anderen in der Gegengerade platziert wird… Corona hat mich aber weichgekocht in der Birne – ich hab’s schlicht vergessen. Zur Strafe habe ich mir eine Buße auferlegt, ich mache Fotos mit Fanclub-Schal rund um’s Stadion. Also los: Südkurven-Eingang, Rheingoldstraße, Haupteingang, „Wahre Liebe“. Alles noch da, aber alles verwaist. Unsere Fahne bleibt derweil bei Ralf in Edemissen – aber bis zum nächsten Heimspiel schaffen wir das, Erik!

Ihr fehlt!

Im Stadion selber natürlich das gleiche Bild, das Rolltor vorm Aufgang zu unserem Block 6 ist geschlossen. Kurzer Moment, an meine Fanclub- und Block-KollegInnen zu denken: Ihr fehlt hier! Zugleich aber erwartet mich noch eine Aufmunterung: Der Eintracht-Bus steht hinter der Südkurve – schade nur, dass Bussi nicht da ist, mit dem hätte ich gern gequatscht. Auf der Haupttribüne treffe ich meine „Pandemie-Stadion-Buddies“: Kay ist da, Lars von der Braunschweiger Zeitung, und natürlich Robin, mit dem ich nun unseren FanRadio-Platz oben unterm Dach einrichte.
 

Ji, Behrendt und Diakhité…

Die Aufstellung kommt: Komplett wie von uns erwartet. Der Trainer setzt auf Nico Klaß hinten links, Lasse Schlüter ist deshalb erstmal raus aus der Startelf. Und Ji spielt, das war Freitag noch nicht sicher. Allein in dieser nun gefestigten Start-Formation stehen mit Ji, Behrendt und Diakhité drei absolut wichtige Akteure, die erst kürzlich dazu gekommen sind. Neulich, beim ersten digitalen Eintracht-FanTalk hatte Trainer Meyer zusätzlich noch Manni hochgelobt („Der beste Spieler, den wir hier im Kader haben, ein echter Bundesliga-Spieler!“)… Robin und ich sind uns einig: Wenn Manni am letzten Spieltag beim HSV zwei Buden macht, werden wir ihn auf Händen tragen!

Treppen im Stadion. Malte Schumacher
Nostalgisch, als hier zu Heimspielen noch fröhlicher Trubel herrschte...

Geduldsspiel?

Wir sind guter Dinge, dass wir heute mit einem weiteren Dreier mehr Abstand gewinnen zu den hinter uns liegenden Teams aus Osnabrück und Sandhausen. In Karlsruhe sah die Entracht-Stabilität gut aus – hätte Ji seine Großchance reingemacht, wären jetzt schon zwei Zähler mehr auf unserem Konto. Darmstadt steht in den ersten Minuten deutlich defensiver als andere Mannschaften, die zuletzt hier waren, und die uns teilweise sehr früh und hochstehend attackiert haben. Okay, heute also zunächst das erwartete Geduldsspiel.
 

Die kalte Dusche

Allerdings sind die Darmstädter fix im Kopf und legen ein sehr schnelles Umschaltspiel vor. Auf unserer rechten Seite sieht das nicht so sicher aus – gerade rede ich darüber ins Mikro, da rutscht Behrendt weg und der 40er von Darmstadt bricht über links außen durch. Querpass, Schuss unter die Latte vom Isländer Palsson – 0:1. Ein fast vergessenes Gefühl, diese kalte Dusche. Nach vorne hatten wir über Kaufmann und Kroos schon gute Aktionen gehabt – Pustekuchen, mal wieder führen die Gäste.
 

Proschwitz trifft…

Aber weiter geht’s: Kaufmann ist gut unterwegs auf rechts außen, rein in die Box – Foul, Elfmeter, nur vier Minuten nach dem Gegentor. Proschi nimmt sich die Kugel – und setzt sie wie früher Paule Breitner ganz dicht am Pfosten in die linke Tor-Ecke – Ausgleich! Hurra! Wir sind erleichtert – bloß nicht ewig diesem blöden Rückstand hinterherlaufen.
 

Und Proschwitz vergibt…

Ganz so ruhig, gefestigt und sicher wie zuletzt in Karlsruhe aber wirken unsere Jungs heute nicht – der Darmstädter Linksaußen bleibt brandgefährlich, Wiebe scheint seiner Dynamik nicht gewachsen. Robin und ich diskutieren das gerade, als die Eintracht den Strafraum der Darmstädter entert und der Schiri wieder Elfer pfeift, Handspiel diesmal. Alter Schwede, zwei Elfer für uns, die große Chance zur Führung in Minute 25. Proschi macht’s wieder – selbe Ecke, zu wenig platziert, der Torwart ist dran und hält das Ding.
 

Kampf und gelbe Karten

So kann’s gehen… Wir sparen uns die Was-wäre-wenn-Diskussion, das will ja keiner hören – oder besser: Das können unsere HörerInnen selber…Was für eine dramatische erste Halbzeit bislang, nur dass beide Mannschaften hier keinen guten Fußball bieten.
Aber rauf und runter geht’s, Kampf und gelbe Karten gibt’s zu sehen –  in der 35. Minute sieht Behrendt eine und fehlt damit bei St. Pauli.

Bis zur Pause passiert nicht mehr viel – das Aktivitäten-Level hat wohl auch den Spielern vorerst genügt. Sollten wir auswechseln? Nein, sage ich ins Mikro. In der Pause lassen wir uns von Alexander, einem der Darmstädter Fanbeauftragten, den Raketen-Linksaußen erklären: Erich Berko, ausgebildet beim VfB Stuttgart. Der macht mir Angst. Und Dursun? War kaum zu sehen.

 

Kaufmann semmelt drüber

Zweite Halbzeit. Los, wir wollen Euch siegen sehen! Und genauso geht’s auch los: Wiebe geht auf rechts außen durch, legt phantastisch an den Fünfer zu Fabio Kaufmann – und der semmelt das Ding über die Latte. Was für eine Chance, vergleichbar mit der von Ji in Karlsruhe. Mist! Granaten-Auftakt. Danach erstmal wieder Ruhe…

In der 75. kommt Bär für Ji, in der 80. Koby für Wydra – Daniel Meyer stärkt die Offensive. Und Koby ballert auch gleich mal drauf, gehalten. Cool, vielleicht werden Bär und Koby die Matchwinner – sage ich gerade ins Mikro, als Darmstadts Skarke einen Hammer loslässt, den Jassi aber an die Latte lenkt. Allerdings steht der Berko da am Fünfer und ballert den Abpraller rein. Ich bin bedient und mein Kopf sinkt auf unser Reporter-Klapptischchen.

"Ein verdientes Unentschieden"
Die Spielanalyse von Kay Rohn

Hoch lebe Köln!

„Malte, kuck‘ doch mal“ ruft Robin und zeigt auf den Schiri. Videobeweis, Signal aus dem Kölner Fernseh-Keller: Berko stand im Abseits als Skarke abzog, das Tor wird zurückgenommen. Dass ich das noch erleben darf: Ich bin live dabei, wenn der VAR mal Sinn macht. Das gibt nachher zuhause ein Bierchen auf Köln! Nun nur noch durchatmen und mit dem Punkt zufriedengeben. Schlusspfiff. Irgendwie ein gewonnener Punkt, trotz der großen Chancen. Und Danke an Oumar Diakhité – von Serdar Dursun war fast gar nichts zu sehen...

Kay Rohn:

Punkt gewonnen oder Punkte verloren?

Ganz klar, Punkt gewonnen. Ich bin froh über jede Chance, die jetzt herausgespielt wird, in den letzten Spielen kam das ja häufiger vor!

Nach dem Tor der Darmstädter wurden die Mannschaft gleich wieder aktiv, die Elfmeter waren ein Produkt dieser Offensivbemühungen. Ein Elfmeter verwandelt, ein Elfmeter eher schlecht geschossen und nicht versenkt. Natürlich tut das weh, aber für mich überwiegt, dass Nick Proschwitz die Verantwortung übernommen hat. Natürlich fehlt uns jemand wie Pfitze, der legendär sicher seine Elfmeter verwandelt hat. Ein Freund fragte mich: „Wieso schießt den zweiten Elfer nicht ein anderer?“ Jeder, der mal Fußball gespielt hat, kennt die Situation: Einmal rechts in die Ecke versenkt, nehme ich als Schütze die gleiche Ecke nochmal oder doch lieber die andere? Was denkt der Torwart im gleichen Moment?

Ich meine auch, an der Stelle sollte lieber ein anderer die Verantwortung übernehmen.

Ein neidischer Blick nach Rostock

Die Rufe nach Publikum werden stärker. Mit Recht. In Rostock durften am Samstag beim Spiel gegen den Halleschen FC ca. 700 Zuschauer ins Stadion. Keine Gästefans, alles blau-weiß. Ein funktionierendes Konzept, verbunden mit einer niedrigen 7-Tages-Inzidenz – der Wert lag bei 22,9 – machten das möglich.

Die Politik in Mecklenburg-Vorpommern unterstützte dies als ein Pilotprojekt. Davon sind wir in Niedersachsen noch weit entfernt, die Stimmen der Spieler und Trainer im Stadion sind immer noch lauter als alles andere. Wenigstens hatte der Fan-Talk unter der Woche geklappt. Zwar auch hier ohne Präsenz der Fans, aber immerhin gab es Austausch über viele Eintracht-Themen.

Die leere Gegengerade im Eintracht-Stadion. Kay Rohn
Leere Ränge - wieder einmal. Deutschlands Fußball-Fans schauen neidvoll nach Rostock.

Klaß, Kaufmann – und vielleicht Kessel?

Wenn wir diese Saison mit nur einem Trainer beenden und mit diesem auch in die nächste starten, dann hätten wir viel erreicht. Wir haben eine Standardformation gefunden, kleine Variationen sind möglich. Der kopfballstarke Klaß hat zum Beispiel große Chancen, sich in die Mannschaft zu spielen und die nächsten Schritte zu machen. Vielleicht sehen wir demnächst ja auch nochmal Benny Kessel auf dem Rasen!

Fabio Kaufmann hingegen könnte mal ein so genannter „Unterschiedsspieler“ werden. Der flinke, manchmal unberechenbare Offensivspieler rackert rechts vorne als Gegenstück zum fleißigen Marcel Bär auf Links, tut aber mindestens genauso viel nach hinten. Im Spiel heute hatte er schon recht früh zwei schmerzhafte Kontakte mit dem Gegenspieler, die ihn über das ganze Spiel belasteten. Auch bei Ji, der eine enorme Qualität mit ins Spiel bringt, war die Kraft nach 45 Minuten eher aufgebraucht.
 

Fünf Punkte aus drei Spielen?

St. Pauli, VfL Osnabrück, SC Paderborn 07, das sind die kommenden Gegner. Als Ziel würde ich 5 Punkte ausgeben. St. Pauli hat zugelegt und sich sehr gut aus der Abstiegszone ins Mittelfeld abgesetzt. Wer es vergessen hat: Es ist nicht lange her,

da stand Pauli noch hinter uns. Osnabrück ist noch dabei, sich nach dem Trainerwechsel zu sammeln. Und Paderborn, der Ex-Bundesligist, wird sicher auch eine schwierige Aufgabe.

Blick aus dem Stadionrund auf den Platz. Kay Rohn
Blick aus dem Stadionrund auf den Platz.

Zahlenspiele

Sehr bemerkenswert ist übrigens die Zahl der gespielten Pässe: 413 (Eintracht Braunschweig) zu 353 (Darmstadt 98) und 310 (Eintracht Braunschweig) gegen 243 angekommene Pässe. Diese Werte passen in das Bild, das ich seit einiger Zeit von unserem Team habe: Es gibt ein durchdachtes Aufbauspiel und nicht nur die hoch und nach vorne geschlagenen Bälle. Bei den Torschüssen sind wir sogar fast gleichauf mit den Lilien, 11 zu 12 Torschüssen für die Darmstädter.

Jasi, die Legende?

Das alles klappt allerdings nur, wenn Jasi das Niveau der letzten Wochen halten kann. Er hat sensationelle Reflexe gezeigt, auch im Spiel gegen Darmstadt. Ist er auf dem Weg, eine Legende zu werden? Er korrigiert seine Vorderleute, ärgert sich, wenn ein Angriff nicht klappt. Er geht alle Spielzüge körperlich mit und durchlebt jedes unnötige Foul.