Ein Fußballspiel im Eintracht-Stadion. Malte Schumacher

Stadionfunk Eintracht Braunschweig:
Jetzt abpfeifen!

Der „große“ Hamburger SV zu Gast im Eintracht-Stadion. Eigentlich perfekt für Riesenstimmung, Sonnenschein und Bier. Aber nicht nur Pandemie und kalte Witterung machen Fans und Mannschaft zu schaffen. Malte Schumacher und Kay Rohn berichten.

Sand im Getriebe

Unser Trainer hat seine Zielrichtung für das heutige Match gegen den HSV gestern in der Braunschweiger Zeitung so formuliert: „Für uns wird es darum gehen, die Hamburger Angriffsmaschinerie zu stoppen und denen Sand ins Getriebe zu werfen…“.
Seine Spieler sollen im Spielaufbau mutiger agieren, spielerische Lösungen suchen, und überhaupt: selbstbewusst auftreten.

Alter Schwede – das sind Ansagen, wenn am 17. Spieltag der Tabellenführer mit 36 geschossenen Toren zu Besuch ist beim Drittletzten mit kassierten 32 Buden… Aber klar, auch meine Hoffnung ist, dass der hart erkämpfte Glücks-Punkt aus Würzburg gut war für das Selbstvertrauen unserer Jungs. 

Oumar aus dem Senegal

Ein neuer Junge wird dabei sein: Oumar Diakhité, zuvor in Portugal aktiv, geboren 1993 in Kédougou im Senegal. Ich packe also am Spieltags-Morgen mein Senegal-Trikot in meinen Radio-Rucksack – zusammen mit Robin Koppelmann bin ich heute wieder für das Eintracht-FanRadio im Einsatz.

Den afrikanischen Fußball bewundere ich seit den 1980er Jahren für seine umwerfende Kombination von Kraft und Technik – mal schauen, was Oumar davon heute zeigt. Denn spielen wird er müssen, wegen der Gelb-Rot-Sperre von Dominik Wydra…

Ein Eintracht-Sticker an einer Laterne in der Adolfstraße in Braunschweig. Malte Schumacher
Motivierende Aufkleber in der Adolfstraße nähren die Zuversicht.

Motivierende Signale

Auf dem Weg zur Strapazenbahn entdecke ich in der Adolfstraße neue Eintracht-Aufkleber an den Straßenlaternen. Danke, das motiviert! Am Steigenberger-Hotel dann steht der HSV-Bus – ist klar, die Pfeffersäcke gönnen sich die Top-Adresse. Ob ich das mit dem „Sand ins Getriebe werfen“ gleich mal hier beim Bus umsetze?

Nee, lass‘ mal… Noch ein motivierendes Signal dann an der Schloss-Haltestelle: Ohne konkrete Verabredung steigt Robin in die von mir gewählte Linie 2 ein. Läuft bei uns im Radio-Team…

Ein blauer Bus parkt vor einem Hotel in Braunschweig. Malte Schumacher
Dem HSV Sand ins Getriebe schmeißen? Das würde die Eintracht heute schon besorgen...

Stadionwurst und Senegal-Trikot

Wir sitzen heute mal nicht in der hintersten Presse-Reihe, sondern drei/vier Reihen tiefer – der „große HSV“ zieht dann doch ein paar mehr Medien-Vertreter. Ich habe also ausreichend Platz dafür, mein Senegal-Trikot vor uns auszubreiten. Als ich gerade eine Packung „Löwenbeißer“ auspacke – ein Traditions-Duell wie dieses braucht auch traditionelle Stadionwurst-Begleitung – kommt BZ-Kollege Lars Rücker dazu. Nach ein wenig Fachsimpelei lässt auch er einen Ergebnis-Tipp vom Stapel: „1:0 für uns“.  Robin fühlt sich bestätigt und zeigt zwei Daumen hoch in meine Smartphone-Kamera.

Der Matchplan

Die Aufstellung war zumindest defensiv so zu erwarten, Diakithé spielt hinten drin für Wydra. Vor der Abwehr Ben Balla von Beginn an neben Kammerbauer, davor eher als 10er Kroos. Und davor Proschi, Bär und Kaufmann. Oder ist das ganz hinten dann doch eher eine Fünfer-Kette mit Kaufmann?

Wir werden sehen, Robin richtet schon sein IPad ein für unsere Übertragung. Zur Vorbereitung auf die Anmoderation sinnieren wir über den Matchplan „Sand ins Getriebe“ – ich erwarte die Eintracht mit massiven HSV-Stör-Aktivitäten von Ben Balla, Kammerbauer und Kaufmann…

Ping-Pong-Fußball

Los geht’s – der HSV wirkt stark, aber nicht wirklich gefährlich. Vor Terodde habe ich Respekt, außer Torwart Ullreich allerdings haben die anderen Hamburger überwiegend Zweitliga-Erfahrung in ihrer Vita. Wir sehen tatsächlich ganz passabel aus zunächst: Stehen defensiv gut, und nach einem frühen Konter von uns gibt’s „Ping-Pong-Fußball“ im Hamburger Fünfmeterraum: Kaufmann quer zur Torlinie rüber auf Bär, der ist überrascht und köpft wieder zurück, da steht Kroos und wichst das Ding rein. 1:0 nach 10 Minuten. Hurra, was für ein Auftakt!


Sand im Getriebe

Jetzt wird der HSV bissig, denke ich. Die wollen hier heute „Hinrunden-Meister“ werden und sind natürlich längst der Topfavorit auf den Aufstieg. Unsere defensive Grundordnung habe ich noch nicht ganz dechiffrieren können – Kaufmann und Bär sind einerseits sehr offensiv unterwegs, andererseits machen beide auch sehr effektive Arbeit nach hinten. Ob die beiden das 90 Minuten durchhalten? Egal – von Hamburg kommt nicht viel. Da ist wohl Sand im Getriebe, Ben Balla und Kammerbauer lassen zentral im Mittelfeld nicht viel zu, und außen stören unsere Jungs das Flügelspiel der Gäste. Und Oumar aus dem Senegal? Wirkt sofort wie eine Verstärkung, spielt sehr sicher.
 

Es fehlen: Fans, Sonnenschein, das Bier…

Auf dem Feld läuft das Ding, und so können Robin und ich ein wenig schwelgen in unseren Erinnerungen an das letzte Heimspiel gegen den HSV im Februar 2014 – mit einem Hattrick von Domi Kumbela zum 4:2. Wir sind uns einig: Wenn jetzt Fans hier wären, bei Sonnenschein, man könnte Bier holen und sich freuen über das 1:0 – die Voraussetzungen für eine Granaten-Stimmung sind gegeben.

Na ja, zurück zur Realität: Bakery Jatta jagt gerade (zum Glück in Rücklage) den Ball aus sechs, sieben Metern weit über unser Tor. Vorsicht jetzt Jungs!
Nun doch mal ein langer Ball nach vorn, Kopfball-Gewinn Proschi, Leistner wiederum will zu seinem Torwart zurück köpfen – zu kurz. Bärchen rast heran und spitzelt den Ball an Ulreich vorbei ins Tor. Ich fasse es nicht: 2:0 für uns in der 42. Minute!!

Ein Fußballspiel im Eintracht-Stadion. Malte Schumacher
Wahnsinn! Das 2:0 für Eintracht. Malte war verdattert.

Psychologisch ungünstig

Ich bin überrascht-verdaddert, irgendwie fummele ich mein Telefon raus und versuche ein Foto zu machen von den jubelnden Blau-Gelben vor unserer Nase. Unglaublich! Jetzt aber noch fünf/sechs Minuten halten bitte! Ja, nee, denkste: In den zwei Minuten Nachspielzeit kommt der HSV doch mal durch über außen, Kinsombi ist innen völlig frei und vollendet zum 2:1. Mist.

„Psycholgisch wichtiger Zeitpunkt“ für den HSV, sage ich ins Mikro. Oder eben andersrum: blöder Zeitpunkt für uns. Mit einer 2:0-Führung in die Pause zu gehen, wäre mir lieber gewesen. Und in meinem Halbzeit-FanRadio-Fazit warne ich davor, dass der HSV uns nun 20 Minuten die Hölle heiß machen wird zu Beginn der zweiten Halbzeit….


Wer so wechseln kann…

Trainer Daniel Thioune, in Georgsmarienhütte geboren, sein Vater übrigens aus dem Senegal, wechselt in der Pause: Es kommen Aaron Hunt (über 300 Bundesliga-Spiele) und Amadou Onana (12 Zweitligaspiele).

Auch vor Hunt habe ich Respekt, ich beneide den Gegner um diese Bank-Tiefe. Man sieht sofort, dass der HSV nun mehr durch die Mitte kommen und verstärkt mit vertikalen Pässen in die Spitze arbeiten will.

Und dann geht alles ganz schnell: Meine beiden „Respekt-Spieler“ machen in der 51. und der 59. Minute jeder ein Tor, und es steht plötzlich 2:3. „Vor 17 Minuten haben wir noch 2:0 geführt“ – sage ich kopfschüttelnd in mein Mikrofon…


Fußball ist ein Fehlerspiel

Das 2:2 aber gehört weniger Terodde als vielmehr unserem eigentlich guten Behrendt, der den Ball sehr unglücklich auflegt. Und das 2:3 weniger Hunt als vielmehr unserem allein gegen Würzburg großartigen Jasmin Fejzic, der bei Hunts Vollspann-Schuss die Beine nicht zusammen bekommt. Unsere klassische Kommentatoren-Phrase: „Fußball ist ein Fehlerspiel“.

Als Lasse Schlüter dann in der 65. Minute ziemlich tölpelhaft am eigenen Sechzehner den Ball verliert und sogar das 2:4 fällt, ist die gute Stimmung bei uns beiden endgültig im Eimer. Wann war nochmal unser letzter Sieg – ach ja, gegen St. Pauli, im Dezember…


Das wird ein harter Ritt…

Trainer Meyer wechselt noch fünfmal, allerdings vergeblich. Das wird ein harter Ritt zu 40 Nichtabstiegspunkten. Unten auf der Aschenbahn plaudern Kammerbauer und Iba May nach dem Schlusspfiff noch mit den HSV-Kollegen – und oben an der Anzeigentafel steht ein 2:4, das so nicht passieren musste. Von der Strapazenbahn-Haltestelle aus blicke ich wieder auf den HSV-Bus und denke: Der Sand war heute in unserem Getriebe…

Die Anzeigetafel im Eintracht-Stadion. Kay Rohn
Jetzt einfach abpfeifen! Die zwischenzeitliche 2:0-Führung sorgte für große Freude.

Kay Rohn:

Jetzt Abpfeifen!

Es sollte die Karte geben, mit der man einmal pro Saison ein Spiel beenden darf, zu einem Zeitpunkt, der frei wählbar ist. Bei uns war es die 42. Minute, Stand 2:0. Alles ist gut. Man muss sich fast die Augen reiben und immer mal zur Anzeigetafel schauen, ja es stimmt 2:0. Es kommt so etwas wie Freude auf.
 

Maschine HSV

Noch vor der Halbzeit nimmt die HSV-Maschine aber nochmal Fahrt auf. Kroos wird getunnelt und der erste HSV-Treffer fällt. Und es geht weiter: In der 51. Minute verewigt sich Terodde, in der 59. ist es Hunt und den Abschluss setzt Kinsobi in der 65. Minute.

Die Abwehr, eigentlich erstarkt, macht einen Fehler nach dem anderen. Es sind alles Fehler, die in dieser Häufung bei anderen Mannschaften einfach nicht vorkommen. Die Frage ist nur, warum?

Ein Fußballspiel im Stadion in Braunschweig. Kay Rohn
Die Eintracht bedrängt das HSV-Tor. In der ersten Halbzeit auch mit Glück und Erfolg.

These 1: Die Fehlerkultur

Grundsätzlich sind Fehler begrüßenswert. Kinder machen Fehler und können daraus lernen, Unternehmen müssen Fehler machen, erkennen und sich verändern. Im Sport das Gleiche. Fehler zeigen auf, an was gearbeitet werden muss. Nur so kann man erkennen wo noch Potentiale sind.

Wie man mit den Fehlern umgeht, muss der Trainer wissen: Ursachenforschung, viele Gespräche, Ziele setzen. Das braucht natürlich Zeit und den Zugang zu den Spielern.


These 2: Der Kader muss ligatauglich werden

Die Spieler machen alle den Eindruck, dass sie wollen. Mir gefällt die Einstellung des Teams. Aber die Frage ist, ob sie können. Ich kann nicht sagen, wer von der Mannschaft ein Drittliga- oder Zweitligaspieler ist, glaube aber, dass der Kader im Vergleich zu anderen Mannschaften, die ich gesehen habe, nicht durchgehend Zweitliganiveau hat. In der Abwehr haben wir aber qualitativ zugelegt durch die Neuverpflichtungen.

Das sagt Toni Leistner (HSV) nach dem Spiel:

In der Sportschau sagt Toni Leistner sinngemäß: „In der Offensive sind wir so brutal gut aufgestellt, da können wir so ein Spiel auch drehen“. Genau das fehlt uns. Wir haben keine Offensive, die für die notwendige Entlastung sorgen kann. Es ist sofort immer der ganze Druck auf unserer Abwehrzone. Dieser Druck wird permanent zu stark und unter Druck entstehen individuelle Fehler.

Deshalb glaube ich, wir sollten uns so schnell wie möglich nach Unterstützung für die Offensive umschauen, wenn es budgetmäßig machbar ist.


Die Trainerfrage

Nach und nach wird natürlich auch die T-Frage gestellt. Vorab dazu eine 10 Jahre alte, aber, wie ich finde, weiterhin aktuelle Studie zum Thema Trainerentlassungen.

Die Argumente dafür und dagegen kann jeder für sich bewerten. Ich sehe, dass Daniel Meyer die Qualität besitzt, eine Mannschaft weiterzuentwickeln. Mein volles Vertrauen hat er.
 

Zwei Fragen an Anikó Merten

Anikó Merten ist Kommunalpolitikerin und Eintracht-Fan. Sie unterstützt den Podcast „Gegengerade“. Ihr habe ich nach dem Spiel zwei Fragen gestellt:

1. Was würdest Du bei Eintracht verändern, wenn Du Dir etwas wünschen könntest?
„Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann würde ich mir schon lange etwas mehr mentale Stärke und Selbstvertrauen wünschen. Ansonsten hätte ich schon vor längerer Zeit den Trainer gewechselt… ich war nie überzeugt.

2. Was hat Dir heute am Spiel gefallen?
Was mir gefallen hat, war, dass es doch auch laute Stimmen gibt, die antreiben können.
 

Stories rund um Eintracht

Die 2. Liga sollte mit allen Mitteln gehalten werden, das muss oberstes Ziel sein. Für den Verein, für die Stadt und für die Weiterentwicklung des Vereins.

Die Mitgliederzahl der Eintracht hat sich in den letzten zehn Jahren etwa verdoppelt, viele sportliche Qualitäten sind dazugekommen. In dem neuen Podcast „Wir sind die Eintracht“ bringt der BTSV ab sofort regelmäßig spannende und unterhaltende Hintergrundgeschichten in die Wohnzimmer aller Fans, Mitglieder und Interessierten.


Denn Eintracht Braunschweig, das sind 14 Abteilungen, fast 5.500 Mitglieder, unzählige Menschen, Persönlichkeiten und Geschichten. Der Podcast ist auf allen gängigen Plattformen zu finden. In Vorbereitung ist die zweite Folge, ein Gespräch mit Vereinsmitglied Anna Krause aus der Hockeyabteilung.

Im neuen Podcast von Eintracht Braunschweig kommen alle Abteilungen zu Wort. Kay Rohn
Im neuen Podcast von Eintracht Braunschweig kommen alle Abteilungen zu Wort.

Präsident Christoph Bratmann sagt dazu: „Unser Verein lebt von vielen engagierten Menschen, die sich im Haupt- oder Ehrenamt dem BTSV widmen und ihn dadurch weiterbringen. Es freut mich sehr, dass sie nun einer breiten Öffentlichkeit ihre persönliche Geschichte erzählen können.“