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Stadionfunk: Eintracht Braunschweig-Kolumne
Viele Chancen, keine Punkte

Am Sonntag war der FC St. Pauli zu Gast im Eintracht-Stadion. Ein Spiel, zwei Perspektiven. Unsere Regionäre Kay Rohn und Malte Schumacher berichten.

Malte Schumacher:

Okay, in dieser Saison verpasse ich wohl so viele Heimspiele wie schon lange nicht mehr … Diesmal ist die Ursache dafür eine waschechte „Schnapsidee“: Am 11. August haben wir mit unseren Freunden Suse und Robert bei uns daheim einen lustigen Abend rund um unsere Sommerurlaubserzählungen verbracht. Es gab slowenischen Schaumwein vorweg sowie Craft-Biere und auch ein wenig Gin. Irgendwann fragten wir uns passend zum Thema Urlaub gegenseitig, was wir im Oktober an den beiden Brückentagwochenenden geplant haben … Zwei Stunden später hatten wir für das erste Brückentagswochenende vom 30. September bis zum 2. Oktober zwei Zimmer im Schlosshotel Rühstädt gebucht. Dieses Storchendorf an der brandenburgischen Elbe war uns postitiv aufgefallen, als wir kurz zuvor – Anfang August – schon einmal in der Prignitz waren und wir deshalb das Heidenheim-Heimspiel in „Kalles Kleiner Kneipe“ in Bad Wilsnack erleben durften.

 

118 Kliometer weit weg

Egal, es ist, wie es ist. Mit dem Wissen, am Freitag, den 28. September, meinen letzten Arbeitstag als Geschäftsführer der EngagementZentrum gGmbH zu haben, freue ich mich schon die ganze Woche sehr darauf, am Samstag in einen Kurzurlaub starten zu können. Pauli kommt – ja, Pech gehabt. Am Donnerstag hatte ich schon die große Fan-Versammlung von FanRat und Verein im Stadion sausen lassen müssen – eine letzte große Veranstaltungsdurchführung incl. Moderation für das EngagementZentrum ließ mir keine andere Wahl. Als wir am Samstag nachmittag in Rühstädt eintreffen, zeigt’s mir die Eintracht-App unmissverständlich an: 118 Kilometer liegen zwischen uns und dem Stadion.

Am Sonntagmorgen ergibt sich das Programm für unseren Kurzurlaub von selber: Ab 12.30 Uhr soll der leichte Regen aufhören und dann werden wir unsere Radtour von Rühstädt nach Havelberg beginnen. Bevor Robert und ich die Fahrräder startklar machen, fotografiere ich den von zwei Löwen gesäumten Haupteingang des Hotels. Ein Löwe bekommt mein Eintracht-Handtuch über die Mähne drapiert – das sollte doch Glück bringen für das Heimspiel heute! Andrea, Suse und Robert legen keinen großen Wert darauf, das Spiel gleich irgendwo live über Sky mitzuerleben – ich habe die Ansage bekommen, mich gern via Smartphone zu informieren, mehr aber auch nicht. Anders geht das hier in der Pampa aber auch gar nicht, direkt an Elbe und Havel sind wir Anfang August ja fast verzweifelt bei der Sky-Kneipen-Suche.

Rote Karten

Auf dem Fahrrad dann kann ich die Gedanken schweifen lassen – groß ist mein Frust nicht, dass ich jetzt nicht im Stadion sein kann. Längst hat sich bei mir der Eindruck verfestigt, dass wir eine ziemlich durchschnittliche Saison 2017/18 erleben werden. Der letzte Spieltag mit den drei roten Karten und der Niederlage in Regensburg war fast schmerzhaft mit anzusehen: Sie führen und dann geben sie so ein Spiel durch ganz dumme rote Karten einfach weg. Ich zerbreche mir dann immer den Kopf über die Teamzusammensetzung und über das Verhältnis zwischen starken Spieler-Typen (sogenannten „Leadern“) und eher schwachen Spieler-Persönlichkeiten. Khelifi und Sauer sahen einfach nur unerfahren und blöd aus bei ihren Aktionen.

 

„PiübPL (W)“

Irgendwo auf dem Deich-Radweg am Gnevsdorfer Vorfluter erreicht mich die Aufstellung: Samson und Moll auf der Doppel-Sechs, Manni und Domi vorne – das war mehr oder weniger klar. Torsten hat wegen der Sperren und mehrerer Verletzter kaum noch Auswahlmöglichkeiten. In Höhe des Truppenübungsplatzes Glöwen steht ein Hinweisschild mit der von uns nicht zu dechiffrierenden Botschaft „PiübPL (W)“… Wir halten kurz an und spinnen rum, was das bedeuten könnte – und entdecken dann den daran befestigten blauen und den gelben Luftballon. Was will mir dieses Zeichen in der brandenburgischen Wildnis sagen? Meine Deutung ist klar: Pauli bekommt heute eins auf die Mütze.

 

Zwei Löwen im Dorfkrug

Langsam haben wir Hunger und Durst, ein Zwischenstopp wird nötig. Ich erinnere mich an das Örtchen Nitzow und den dortigen „Dorfkrug“ – aufgefallen war mir damals die Flensburger-Werbung, die einen schönen Kontrast setzt zum hier weitverbreiteten Krombacher-Unsinn. Als wir dort die Fahrräder anschließen, textet Markus im Fanclub-WhatsApp-Kanal nur ein Wort: „Unfassbar.“ Ich gehe sofort in die Kicker-App und lese das Elfer-Drama von Hernandez nach … Und wieder denke ich über Leader und grüne Jungs nach – warum schießt Domi das Ding nicht rein?? Der ist 33 und sollte wissen, wie wichtig es wäre, gegen Pauli nach 13 Minuten mit 1:0 zu führen … Aber nein, der junge Onel meint, er habe ein gutes Gefühl – so reime ich mir das Drama daheim zusammen.

Nein, ich ärgere mich zunehmend weniger, nicht dabei sein zu können. Hier im „Dorfkrug“ gibt es in der Tat Flens vom Fass und dazu bestellen wir eine Platte mit hausgemachten Wurst- und Schinken-Spezialitäten. Die Dekoration des „Dorfkrugs“ besteht aus geschnitzten afrikanischen Tierskulpturen – ich entdecke erneut zwei Löwen, wie schon am Hotel. Das muss doch reichen mit den Zeichen für den Heimsieg?! Den Kicker-Ticker habe ich im Blick, der Pauli-Torwart scheint einen Sahne-Tag zu haben – aber warte es nur ab, du Himmelmann.

Malte Schumacher

Eine typische Brandenburger Familie?

In Havelberg wollen wir Kaffee trinken, auch hier verfügen Andrea und ich über nützliches Vorwissen: Im „BilderBuch Café“, mitten in dem Teil der Altstadt, der auf einer Insel in der Havel liegt, sah es neulich sehr gut aus. Vor dem Café begegnet uns eine wohl typische ostdeutsche Familie: Mutti und Vati Mitte 30, die beiden Kinder 5 und 7. Vati trägt eine Thor-Steinar-Kapuzenjacke, Mutti eine vom Zahnfee-Label mit dem Schlagring-Symbol. Kurz werden wir also damit konfrontiert, dass die AfD in Brandenburg fast 20 Prozent bekommen hat bei der Bundestagswahl. Egal, jetzt ist Kaffee- und Kicker-Ticker-Zeit.

 

Knock-out

Letzteres hat sich für mich dann schnell erledigt: Pauli schenkt uns zwei Gegentore ein – nach der 75. und der 80. Minute ist dieser Sonntag gegessen für die Eintracht. Im Grunde habe ich daheim also nichts verpasst. Die Kicker-App deutet an, dass wir eine Stunde lang guten Fußball gespielt, aber das Tor nicht getroffen haben. Ich weiß es nicht, ich war nicht dabei. Ich weiß nur, dass das nun bis Weihnachten eine harte Zeit für uns beide wird. Wir sind Elfter, haben 11 Punkte und fast so groß ist auch der Abstand auf die Spitze. Wenn die Eintracht und ich jetzt zur Paar-Therapeutin gingen, würde sie die drohende Gefahr des Auseinanderlebens diagnostizieren … Frau Doktor, seien Sie gewiss: Ich werde an mir und meiner Beziehung zur Eintracht arbeiten – und die Eintracht wird das auch tun, da bin ich mir sicher …!

Kay Rohn:

 

Manni, mach dein Tor

Es ist ja ganz offensichtlich: Suleiman Abdullahi, genannt „Manni“, steht kurz vor seinem Durchbruch. Er bringt alles mit Körpergröße, Robustheit, Schnelligkeit und Technik auf hohem Niveau. Allein ihm fehlt das Tor. Aus fünf Metern hat er in der zweiten Minute die große Chance zum 1:0. Er bekommt den Ball nicht über die Linie, Torhüter Himmelmann kann reaktionsschnell abwehren. Er kämpft, holt sich den Ball auf der Außenposition und spielt auch in der 12. Minute den entscheidenden Pass auf Ken Reichel, der den Elfmeter herausholt. Er kämpft und rackert, kurz vor Schluss fällt ihm eine Ecke von Kijewski direkt vor die Füße, das Tor ist frei, aber er kann sich nicht drehen und die Chance ist vorbei. Vielleicht denkt er zu viel daran, ein Tor machen zu können in diesen Momenten. Der Ball muss einfach in einem Pflichtspiel über die Linie kommen, dann werden wir einen der besten Stürmer dieser Liga haben.

 

Halbzeitpause

In der ersten Hälfte gelingt uns, bis auf ein Tor, alles. Die Eintracht ist die klar bessere Mannschaft. Das Umschaltspiel klappt hervorragend und Chancen werden herausgespielt. Zwei Wechsel gab es verletzungsbedingt, Reichel und Hochscheidt mussten früh raus, dafür kamen Nkansah und Becker. Die Wechsel haben sich gut in das Spielgefüge integriert und der Spielfluss ist nicht gestoppt worden. Im Gegenteil, die sehr weiten Einwürfe, eine Stärke von Robin Becker und Niko Kijewski, bringen immer wieder Gefahr im Pauli-Strafraum. Aber was sagt der Trainer jetzt zur Mannschaft? In einem neuen Buchprojekt mit dem Arbeitstitel „Halbzeitpause“ befasse ich mich mit den fünfzehn Minuten zwischen den beiden Halbzeiten. Stand 0:0, die Mannschaft spielt gut, was sage ich?

Am letzten Wochenende durfte ich zum ersten Mal in einer Kabine dabei sein. Die Mannschaft lag in Führung und es gab nach einigen Momenten der Regeneration eine kleine motivierende Ansprache des Trainers. Aber was sagt Torsten Lieberknecht der Mannschaft? 0:0 und die klar bessere Mannschaft sind die Blau-Gelben. Also motivieren, den Druck aufrechterhalten, Pressing und die Chance suchen. Den Ball in die Box bringen und dann hoffen, dass einer ihn verwerten kann. Oder ich sage, wir brauchen mehr Raum für unsere Aktivitäten, wir geben Pauli zehn bis zwanzig Meter mehr Spielfeld und kommen mit unserem schnellen Umschaltspiel dann leichter durch die Räume. Oder ich zeige drei, vier starke Szenen aus der ersten Halbzeit und versuche so, die Motivation hochzuhalten. Mich interessiert, was ein Trainer in dieser kurzen Zeit bewirken kann. Kann er die Spieler überhaupt erreichen, wenn sie so aus der Hochgeschwindigkeit in die Kabine kommen?

0:2

Die Mannschaft versucht, das Spiel fortzusetzen, aber ich habe den Eindruck, dass St. Pauli jetzt öfter in unserer Hälfte agiert und das Spiel sich langsam in Richtung Braunschweiger Tor verlagert. Die Hamburger sind im und um den Strafraum die ganze Zeit sehr harmlos gewesen. Nach und nach mit den Spielanteilen erobern sie sich das Feld und ich habe das Gefühl, dass die Kraft bei unseren Spielern nicht ausreicht. Bei beiden Toren können die verteidigenden Spieler das Tempo nicht mitgehen und der Gegner reißt große Löcher in unsere Abwehrreihen und schließt kaltschnäuzig ab. 0:2 innerhalb von vier Minuten. Das Spiel ist gelaufen. Die Körpersprache beim Wiederanpfiff nach dem zweiten Gegentor spricht Bände. Die Arme hängen, die Blicke sind leer. Phillip Tietz, kurz nach dem 0:1 für Joseph Baffo ins Spiel gekommen, klatscht in die Hände,versucht seine Mannschaftskameraden lautstark noch einmal anzufeuern, aber er scheint keinen mehr zu erreichen. Es bleibt aber im Nachklang das Gefühl, dass wir eine sehr starke Mannschaft haben. „Manni“ sollte bald sein Tor machen und die Mannschaft muss sich das Gefühl erarbeiten, solche Spiele auch gewinnen zu können.

 

Mir ist aufgefallen: Manche wissen gar nicht, wie spannend Fußball sein kann