Choreo in der Südkurve für Trainer Torsten Lieberknecht

Stadionfunk – Eintracht-Kolumne:
Alle in gelb und alle am Abgrund…

 

Am Montag nach dem Spiel ist immer noch das Gefühl da, in irgendeiner Ecke steckt die Erklärung und kommt nicht raus. Wir verlieren ein Spiel, das man unbedingt gewinnen musste, Ingolstadt bekommt (fast) immer den zweiten Ball, der Torwartfehler passiert unserer Eintracht. Domi Kumbela verstolpert die beste Chance, im Spiel 1:0 in Führung zu gehen und das Verletzungspech ist uns treu. Eine kleine Aufzählung zum Unglücklichsein.

Kay-Uwe Rohn

Abschlusstraining der Eintracht mit Ebel, Fans und Bussi

Ich wollte einfach wissen, ob Manni dabei ist oder nicht. Zum Anfang und Ende der kleinen Einheit im Eintracht Stadion laufen die Spieler in Ecke Block 9/Gegengerade. Beifall brandet auf und Fangesänge werden angestimmt. Den zweiten Zwischenapplaus erhält „Bussi“ als er in die Kurve kommt und einen Rollstuhlfahrer begrüßt. Das Team weiß es zu würdigen, dass sich circa 400 Fans am Samstagnachmittag in den Tempel aufgemacht haben. Die Unterstützung ist da. Auch Sebastian Ebel ist zur Hamburger Straße gekommen um zu zeigen, dass der Verein hinter dem Team steht. Manni war leider nicht unter den Aktiven und wird wohl auch nicht im Kader sein.

 

Bayerische Landesfestung („die Schanz“)

Ingolstadt startete mit drei Niederlagen in diese Saison und befand sich elf Spieltage lang unterhalb des elften Tabellenrangs. Nach und nach haben sie sich hochgearbeitet. Eine Festung war das Stadion sicher nicht, aber sie haben es geschafft, notwendige Erfolge zu erringen. Seit 1537 ist Ingolstadt Bayerische Landesfestung. „Die Schanzer“, so werden die Einwohner aber auch das Team von Ingolstadt genannt. Die Ingolstädter haben ihre Saison gut gedreht und haben auch jetzt nichts mehr mit dem Abstieg zu tun.

 

Nebenschauplätze

Eine meiner großen Töchter begleitet mich. Sie bringt so eine herrlich positive Grundstimmung mit. Auf der Tribüne dann Michael, der gerade mit Fans zu einem Kurzaufenthalt auf Mallorca war. „Geschlafen hab ich nicht“, so sein Kommentar. Christian aus dem Vorharz – er sitzt regelmäßig eine Reihe vor mir – grummelt unzufrieden vor sich hin und überlegt schon, ob es für die nächste Saison auch wieder eine Dauerkarte wird. Kommentare, die wir von den ganzen Fußballexperten um uns herum anhören mussten, erspare ich mir. Vor und nach dem Spiel hatten Vater und Tochter Zeit, sich mal wieder einigermaßen in Ruhe auszutauschen. Ich liebe diese Nebenschauplätze.

Zwei Tore

Kuriose Tore werden immer wieder fallen. Das ist gut und erhöht den Reiz für den Betrachter. Es ist gut, wenn nicht alles planbar und berechenbar ist. So ein Tor kann fallen und keiner macht Jasmin Fejzic einen Vorwurf. Das zweite Tor ist für mich allerdings vermeidbar gewesen und in dem Moment ist einfach schlecht verteidigt worden. Das kann alles passieren, aber ich muss als Mannschaft eine Antwort haben. Ich muss zumindest zeigen, dass ich als Team auch in der Lage bin, Tore zu schießen. Das hat die Mannschaft nicht auf den Platz bringen können und deshalb auch verdient verloren.

 

Umfeld

Das habe ich tatsächlich noch nicht erlebt. Shitstorm über Facebook. Die „Sozialen Medien“ machen es möglich. Nicht alle Beiträge sind durchdacht. Ein Kommentar von Steve F. aus Aue hat mir gefallen: „Hey Jungs … nicht den Kopf hängen lassen!! Es ist noch nichts verloren… eine unglaublich irre Saison! Wir haben heut in Aue auch nur 1 Punkt gewinnen können. Solche professionellen Supporter und solch ein grandioser Trainer hat eure Unterstützung verdient! Wir in Aue sagen immer: ‚Mit aller Gewalt zum Klassenerhalt.‘ Ihr schafft das Jungs …“ Die Außensicht ist für eine objektivere Betrachtung der Lage manchmal ganz förderlich (nur sollte man den Kommentar natürlich nicht als Aufforderung zur Gewalt verstehen).

 

Für die 1. Liga-BTSV

Wir werden immer wieder aufstehen und auch aufsteigen. Aus welcher Liga wir auch kommen werden zukünftig. Die letzten zehn Jahre haben für Strukturen gesorgt, die auch in Zukunft die Basis für erfolgreiche Arbeit im Fußballprofigeschäft sein werden. Wir haben noch maximal drei Spiele in dieser Saison, da spricht man eigentlich nicht über eine nächste Saison. Aber mich interessieren die Themen, die ich meiner Meinung nach weiterentwickeln würde: Ich würde Torsten Lieberknecht aus der Isolation als Cheftrainer befreien wollen.

Im NLZ muss der nächste Schritt gemacht werden, hin zur Ausbildungsschmiede Eintracht Braunschweig. Zudem glaube ich, dass wir im Scouting noch die „Lieberknechtsche“ Luft nach oben haben. Personell kann ich aus der Entfernung keine Einschätzung geben. Ich weiß, dass Torsten sehr motiviert ist. Dass er sich wie kein Trainer vor ihm mit dem Gegner und der eigenen Taktik auseinandersetzt. Sein Erfahrungsschatz, dazu gehört auch die diesjährige Saison, ist über zehn Jahre gewachsen. Die Verantwortlichen müssen in Ruhe nach der Saison mit ihm sprechen. Unabhängig davon gilt weiterhin: „Für die 1. Liga- BTSV“.

 

Mir ist aufgefallen:

Das Foul in der 90. Minute zur fünften gelben Karte von Philipp Hoffman (damit Sperre in Kiel) stört mich mehr als der Patzer von Jasmin Fejzic.

 

Malte Schumacher

Old-School- Samstags-Feeling

Der Sonntagmorgen fühlt sich an wie früher die Samstags-Spieltage, also ganz früher, zu Bundesliga-Zeiten … Um 15.30 Uhr geht’s heute los, und ich kann ausschlafen, aufräumen (wir hatten gestern Abend Freunde zu Besuch) – und mich danach sogar nochmal auf’s Ohr legen … Herrlich! Das schafft ein positives Grundgefühl – trotz der erbärmlichen Situation, in der die Eintracht steckt. Das 0:2 in Nürnberg wirkte unterirdisch – keine einzige Torchance habe ich gesehen. Aber das Dilemma dauert ja schon länger an …

 

Fokussieren

Nun gut, vielleicht war allen klar, dass man beim designierten Aufsteiger Nürnberg sowieso nichts holt; vielleicht haben alle schon an „ihr Endspiel“ heute gegen Ingolstadt gedacht. Hat uns doch Damir Vrancic am 26. April 2013 ausgerechnet (das Fußball-Wort schlechthin) gegen Ingolstadt in die Bundesliga zurückgeschossen. In jedem Fall haben die Trainer nach der Nürnberg-Klatsche beschlossen, mit der Mannschaft abzutauchen nach Salzgitter in die Abgeschiedenheit eines Kurz-Traininslagers (ein weiterer Klassiker aus dem Fußball- Wort-Museum). Fokussieren, Digger. Wenn’s hilft …

 

Alle in gelb!

Die Fanszene hatte dazu aufgerufen, die Spiele gegen Ingolstadt und in Kiel in gelb gekleidet zu besuchen – ich werde aufmerksam beobachten, an wem diese klare und einfache Botschaft doch mal wieder vorbeigegangen ist. Zudem nehme ich mir heute vor, die Menschen rund um das Spiel zu beobachten und zu studieren. In den Tagen zuvor habe ich bewusst vermieden, das Ingolstadt-Spiel mit anderen zu „bereden“, denn die Message ist klar: Wir sind einen bzw. zwei Punkte von Platz 16 und 17 weg – Eintracht muss heute gewinnen. Auch am Freitag, als unser Fanclub in Edemissen den inklusiven Aktionstag „ZUSAMMEN besser“ der dortigen Jugendpflege aktiv unterstützt hat, haben wir gar nicht viele Worte über das Ingolstadt-Spiel verloren.

 

Glücksbringer-Trikots

Auf dem Weg ins Stadion begegnen sie mir natürlich wie immer überall, die Fans. Aber sie sind tatsächlich gelber als sonst, der Aufruf der Fanszene hat also gefruchtet. Ich mache Fotos und spüre dabei Zuversicht – keiner hat eine Niederlage auf dem Zettel, oder besser: Alle glauben an den Heimsieg. Viele nutzen dabei ein Trikot, mit dem sie etwas verbinden: An der Siegfriedstraßen-Kreuzung begegnet mir eines von der Eintracht-Legende Dirk Weetendorf – „Original von Weete getragen, das hole ich nur bei ganz wichtigen Spielen raus …“, versichert mir dessen Besitzer.

Glücksbringer-Rituale

Auf Mex, Angie, CD und andere vom Fanclub „Aaantracht miene Leiwe“ treffe ich heute bereits in der Rheingoldstraße. CD verspricht, heute als Glücksbringer-Ritual seine Zigarillos ausschließlich durch die Nase zu rauchen – wenn’s hilft …! Auch hier ist allen klar: Wir müssen und werden siegen. Und wer soll die Tore schießen? Hmm, da macht sich dann schon Rat- und Sprachlosigkeit breit. Auf dem Weg in die Südkurve weitere Zuversichts-Botschafter: Zwei Tore signalisiert der Fan mit Zeige- und Mittelfinger – ich verkneife mir die Frage, wer die Buden machen soll … Und auch die heute natürlich gelbe Bianca kommt mir zuversichtlich entgegengeradelt: „Das klappt schon …“

 

Zuversicht überall

Eine Vierer-Gruppe gelber Mädchen fachsimpelt zuversichtlich und trinkt Bier vor dem Fan-Utensilien- Stand – ist doch alles im Fluss … Auf der zukünftigen „Eintracht- Allee“ mache ich noch Foto-Bombing beim Wägelchen der Conti-Boys, die sich gerade sehr optimistisch für ein Gruppenfoto mit Selbstauslöser aufstellen. Und auch auf dem neuen Biergarten-Areal neben dem FanHaus ist von Verdrossenheit nichts
zu sehen und nichts zu spüren.

Im Block

Oben im Block 6 allerdings, unter uns Experten von der „Bewegung 18. Mai“, wird schon ernsthaft diskutiert: Wann standen wir das letzte Mal so mit dem Arsch an der Wand wie heute? Volker, unser heute Eis-essender Fanclub-Präsi, weiß Bescheid: Das war genau vor 10 Jahren, als die Ära Lieberknecht begann. Torsten hatte nach seiner Amtsübernahme am 12. Mai 2008 nur drei Spiele Zeit, die Eintracht vor dem Sturz in die Viertklassigkeit zu bewahren. Und tatsächlich schlugen wir Borussia Dortmund II am letzten Spieltag 2007/08 Ende Mai mit 2:0 und blieben in der Dritten Liga. Die Zweite vom BVB damals übrigens mit Marcel Schmelzer und Lars Ricken in der Startelf … Und letztlich wäre unser Heimsieg umsonst gewesen, wenn Lübeck nicht zeitgleich und unerwartet 1:0 in Essen gewonnen hätte …

 

Die Aufstellung

Und heute? Bekommen wir wieder Schützenhilfe? Schlagen Duisburg und Dresden unsere direkten Abstiegskonkurrenten Fürth und Aue? Irgendwie ist alles wie damals, nur dass ich in 2008 noch kein Smartphone dabei hatte, das mich heute auf dem Laufenden halten wird. Die Aufstellung kommt: Teigl sollʼs wohl wieder im Sturm versuchen, Becker und Sauer starten gemeinsam; einziger echter Stürmer ist Domi. Böse Kommentatoren zählen sieben eher defensive Spieler und schimpfen auf den Trainer.

 

Choreo

Dieser bekommt heute zu seinem zehnjährigen Eintracht-Trainer- Jubiläum von Cattiva eine Choreo geschenkt, die zu Spielbeginn hochgezogen wird und ihn, eine gelbe Blume und ein aufgerissenes Löwenmaul zeigt, darunter in Worten: „Treue lässt ihn unsterblich werden.“ Dahinter steigen dann gelbe Rauchschwaden auf: Herzlichen Glückwunsch, Torsten. Der Trainer steht unten am Spielfeldrand und wirkt gerührt – wahrscheinlich hat er schon wieder Pippi in den Augen. Mir ist das zu pathetisch und lenkt in dieser Situation fast ab von dem, um was es heute eigentlich geht: um einen Heimsieg, nicht mehr und nicht um weniger. Einen lebenswichtigen Heimsieg – denn damit hätten wir 42 Punkte und wenn die anderen auch noch für uns spielen …

 

Erste Halbzeit

Gute Stimmung auf den Rängen, gleichwohl ein anstrengendes Spiel, viele Fouls, von Beginn an Nägelkauen bei uns und immer wieder Blicke auf’s Smartphone: Wie laufen die anderen Spiele? Noch in der 30. Minute steht es auf allen neun Zweitliga-Plätzen 0:0 – ich vermute, das gab es noch nie. Sauer spielt sowas wie rechtes Mittelfeld und schlägt ab und an lange Diagonal-Bälle. Das haben wir lange nicht gesehen, nur leider kann vorne keiner was damit anfangen. Plötzlich dann eine dicke Torchance für uns: ein langer Ball aus dem Mittelfeld auf Domi – aber Domi verstolpert das Ding ziemlich kläglich. Alle schauen sich fassungslos an und wir sind uns einig: Früher hätte Domi den gemacht …

 

Pause

Fürth führt, Darmstadt führt, im Moment sind wir 16., also Relegations-Teilnehmer. Warum kann Domi den nicht machen? Ich gehe grübelnd eine Rutsche Bier holen – und auch an der Bierbude ist alles voll mit gelben Menschen, logisch. Aus unserer Block-Runde haben tatsächlich nur Ralf und Andreas nichts mitbekommen vom „Alle- in-gelb- Aufruf“ – der eine ist grau- der andere blau-gewandet. Die werden halt auch nicht jünger …

Zweite Halbzeit

Weiter singen und antreiben, schade, dass Domi nicht getroffen hat – meine Gedanken drehen sich im Kreis. Auf einmal aber macht tatsächlich unser großartiger Torwart Jasmin Fejzic einen Riesefehler, schießt beim Klärungsversuch weit draußen vor seinem Tor einen Ingolstädter an, und ein anderer Ingolstädter kann den Ball aus fast 30 Metern in unser leers Tor schießen. Nun macht sich Entsetzen breit bei uns. Ich starre nur noch auf mein Smartphone und die anderen Spielstände, dass wir heute verlieren steht für mich fest. Zu ungefährlich wirkt die Mannschaft mal wieder, viel zu wenig zielstrebig und spielerisch einfach schwach und leer.

 

Am Abgrund

In der 70. Minute dann macht Kutschke das 0:2. Mir wird schlecht. Torsten wirkt ratlos an der Seitenlinie, seine folgenden Auswechslungen hilflos. Das Team bewegt nichts mehr, Schlusspfiff. Viele Fans pfeifen, manche schreien „Arnold raus“, andere skandieren unverdrossen „Torsten Lieberknecht“. Wir hier im Block 6 sind eher fassungslos und apathisch. Das ist ein Schlag in die Fresse: Darmstadt hat gewonnen und macht einen Satz in der Tabelle, Fürth und Aue holen je einen Punkt. Wir sind 16., das bedeutet Relegation. Nächsten Sonntag endgültiger Showdown in Kiel: Wir müssen gewinnen, und wir müssen wieder hoffen, dass Aue und Fürth nichts reißen. Wir stehen so nah am Abgrund wie zuletzt vor 10 Jahren – und es wird immer enger. Torsten heult auf seiner Stadionrunde und muss von Thilo getröstet werden.

 

Nachspiel-Blues

Lange noch stehen wir hinter der Südkurve an der Bierbude und trinken und grübeln. Nichts kann sie vertreiben, die bösen Gedanken, die Niedergeschlagenheit. Woran es lag? Ist im Grunde nun auch egal. Also nach vorne gucken? Im Moment noch nicht dran zu denken. Ich bin bedient wie schon sehr lange nicht mehr. In der Rheingoldstraße, auf dem Weg zu meinem Fahrrad, stoßen Kay und ich fast zusammen. Wir fallen uns in die Arme – ich glaube, heute ist auch er leicht angeschlagen vom bösen Geschwisterpaar Frust und Bier. War’s das in Liga Zwei? Müssen wir wieder durch’s Stahlbad Dritte Liga? Zusammen mit Meppen, Osnabrück, Zwickau und Großaspach? Wir wissen es nicht – das entscheidet sich am Sonntag, 13. Mai 2018, ab 15.30 Uhr in Kiel. Das wird dann der ungefähr 3.649. Tag von Torsten als Eintracht-Trainer sein – und wir hoffen auf einen ebenso erfolgreichen Ausgang wie am 31. Mai 2008 …