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Von 0 auf 100 – Segelfliegen
auf der „Roten Wiese“ in Helmstedt

„Wir fliegen heute!“, teilt mir Segelflieger Christian Jachmann mit. Ich befinde mich auf der „Roten Wiese“, dem Sitz des Luftsportverbandes Helmstedt e.V., am westlichen Stadtrand von Helmstedt. Anmutig schwebt gerade ein windschnittiges Segelflugzeug über dem Gelände. Fasziniert verfolge ich es. Der Traum vom Fliegen ist hier erlebbar!

Aufmerksamkeit ist Alles

Als ich Christian Jachmann an der Flugzeughalle anspreche, unterbricht er seine Startvorbereitungen und führt mich zu einem kleinen Wohnwagen mit verglastem Hochsitz. Der Tower. Hier sitzt die Flugleitung und auf Helmstedts kleinem Flugplatz besteht diese aus einem amtierenden Flugleiter. Segelflugzeuge, Motorsegler und ultraleichte Motorflugzeuge können hier starten und landen. „Man muss schon aufmerksam sein“, so der Flugleiter Dieter Klenke, „deshalb wechseln wir uns mehrmals täglich ab“. Gleich als nächstes startet ein Segelflugzeug. Neugierig beobachte ich den Ablauf. Zwei Startmöglichkeiten gibt es hier für Segelflieger, der Windenstart mit einer Seilwinde und der Schleppstart mit einem Motorflugzeug. Meistens wird über die Trommelwinde gestartet, so wie heute.

 

Auftrieb durch Windenergie

Ein langes Stahlseil wird am Flugzeugrumpf eingehakt und die Seilwinde am gegenüberliegenden Ende zieht den Segelflieger gegen die Windrichtung in die Luft. Durch diese fremde energetische Hilfe wird eine enorme Beschleunigung erreicht. Als Folge entsteht an den Tragflächen ein Auftrieb, wodurch der Segelflieger abhebt. In circa 350 Metern Höhe beendet der Pilot seinen Steigflug und das Windenseil klinkt sich automatisch aus. Von da an fliegt der Segelflieger ohne fremde Hilfe. Der Pilot muss nun versuchen, die Energie der Aufwinde zu nutzen, um mehr Höhe zu gewinnen. Im Zusammenspiel mit der aerodynamischen Form des Segelflugzeuges erlaubt die Flughöhe dem Piloten, lange Strecken im Gleitflug zurückzulegen.

Thermik ist nicht gleich Thermik

„Heute haben wir Blauthermik“, erklärt Dieter Klenke. Der Himmel ist strahlend blau, die Luft trocken und die Temperaturen sind warm. Aufwind, also Thermik entsteht durch Bodenluft, die sich beim Aufsteigen an den oberen Luftschichten abkühlt. Für Piloten sind Wolken ein sichtbares Zeichen für vorhandene Thermik. Bei Blauthermik sind diese Zeichen nicht gegeben und ohne erkennbare Zeichen ist es für Piloten schwer, Thermik zu finden. Hebt sich jedoch das Flugzeug wie von Geisterhand an, befindet man sich im Aufwind. Jetzt heißt es, Höhe gewinnen. Wie ein Raubvogel schraubt sich der Segelflieger bei dieser eleganten Technik kreisend nach oben.

Gemeinsam statt einsam

Doch bei aller Euphorie, eine gewisse Portion Verrücktheit gehört für mich zum Fliegen dazu. Sind sie ein bisschen verrückt, frage ich geradeheraus einen Piloten. „Vielleicht“, lacht dieser. „Ich habe heute nämlich den Job an der Winde“, erklärt Florian Danker augenzwinkernd. Segelfliegen ist ein Mannschaftssport. Nur die Sahnehäppchen mitnehmen ist nicht. Vier Mitglieder müssen vor Ort sein, damit überhaupt ein Start möglich ist. „Wir sind alle aufeinander angewiesen“, beschreibt er die Teamarbeit. Viermal in der Flugsaison muss jeder den einsamen Dienst an der Winde ausüben. An zwei Samstagen und an zwei Sonntagen, da der ehrenamtlich betriebene Flugplatz nur am Wochenende geöffnet ist.

Sicherheit geht vor

An der Winde wird der Start der Segelflieger genau verfolgt. Ein kleiner Monitor verrät die momentane Geschwindigkeit, um sozusagen „mitzufliegen“. Durch den Einbau solcher Geräte in jedes seiner Segelflugzeuge hat der Verein in mehr Sicherheit investiert. Im Notfall kann man nun den Piloten per Funk präzise anleiten. Um den Windenstart souverän zu meistern, absolvieren alle Mitglieder im Verein eine spezielle Windenausbildung. „Wenn man oben ist, lässt die Anspannung nach und dann erlebt man unvergessliche Momente“, schwärmt Florian Danker. Er zückt sein Smartphone und zeigt mir seine Aufnahmen eines Formationsfluges bei einem traumhaften Sonnenuntergang.

Mirelle Müller

Führerschein für das Segelfliegen

„Beim nächsten Segelflug wird eine C-Prüfung abgelegt“, teilt der Fluglehrer Georg Bodyl mit. Diese Prüfung ist ein wichtiger Schritt zum Erwerb des Segelflugscheins. Mehrere Prüfungen muss man dafür bestehen. Bei dieser speziellen Prüfung zeigt der Pilot sein Können im Thermikfliegen. Der Fluglehrer überwacht den Startcheck. Gespannt schaue ich ihm über die Schulter. „Das ist eine ganz normale Prüfung. Kein Grund für Nervosität“, meint er schmunzelnd. Auch der Pilot hat die Ruhe weg, gründlich checkt er sein Flugzeug. Dann schließt er die Flugzeughaube. Der Start beginnt. Ein Flugschüler hält die Tragflächen in Waage. Das Windenseil zieht langsam an und mit einem sanften Ruck setzt sich der Segelflieger in Bewegung. Immer schneller wird das Segelflugzeug über die Wiese gezogen, bis es abhebt.

Höhenflüge nur im Airbus möglich

Um die Gültigkeit seiner Fluglizenz zu erhalten, muss der Pilot alle zwei Jahre einen Gesundheitscheck sowie 15 Starts, fünf Flugstunden, plus zwei Flüge in Begleitung eines Fluglehrers vorweisen. Nur mit einer gültigen Lizenz darf man ein Segelflugzeug eigenständig fliegen. Im LSV Helmstedt e.V. stehen den Hobbyfliegern vier Segelflugzeuge, ein ultraleichtes Motorflugzeug und vier Fluglehrer zur Verfügung. Acht private Segelflugzeuge der Mitglieder stehen ebenfalls in der Flugzeughalle. Stolze Errungenschaften für den kleinen Verein mit seinen gerade einmal 35 Mitgliedern. Nachwuchssorgen an begeisterten jungen Fliegern hat der Verein nicht. Und manchmal ist das Segelfliegen der Einstieg in die Berufsfliegerei. Hier hat man es schon erlebt, wie einer der Flugschüler sogar Airbuspilot wurde.

Einfach mal selber machen

Ein Segelflugzeug setzt auf der Landebahn zur Landung an. Dicht schwebt es über dem Boden. Die orangenen Bremsklappen sind ausgefahren. Fast lautlos gleitet es über die Wiese. Für einen kurzen Augenblick fürchte ich, dass die Länge der Landebahn nicht ausreicht. Aber weit gefehlt, auf der Hälfte der Strecke kommt der Segelflieger zum Stehen. Christian Jachmann, erster Vorsitzender des Vereins, kommt auf mich zu. „Oft höre ich, das ist bestimmt wie beim Autofahren! Es gibt aber einen enormen Unterschied. Beim Autofahren kann ich jederzeit bremsen und aussteigen. Beim Fliegen geht das nicht“, betont er. Aber was ist es, was das Fliegen wirklich ausmacht, will ich von Christian Jachmann wissen. „Hmmm …, das ist nicht in Worte zu fassen. Das muss man selbst erleben!“