Außenansicht der Kaiserpfalz Goslar Beate Ziehres

Die Kaiserpfalz in Goslar
Zeitreise ins Mittelalter

Am 2. Juni wird deutschlandweit der UNESCO-Welterbetag begangen. Anlass für mich, einen Ausflug in den Harz zu machen. Hier steht an diesem Tag ein ganzes Ensemble von Welterbestätten im Fokus des Interesses. Ich habe mich für einen Besuch der Kaiserpfalz in Goslar entschieden.

Als Einstieg ein paar Daten zur Kaiserpfalz:

  • 1045 bis 1050 erbaut durch den salischen Kaiser Heinrich III
  • um 1182 Ausbau durch Friedrich I Barbarossa
  • 1289 schwere Beschädigung durch einen Großbrand
  • 1868 bis 1897 Restaurierung der vom Verfall bedrohten Kaiserpfalz
  • 1992 mit der Altstadt Goslars auf die UNESCO-Liste des Welterbes aufgenommen

Nun stehe ich vor dem Palast, den ein Chronist einst als den berühmtesten Wohnsitz des Reiches bezeichnet hat. Fest steht: Die Menschen der damaligen Zeit hatten noch nie ein weltliches Gebäude von derartiger Pracht und Größe gesehen. 200 Jahre lang fanden hier Reichs- und Hoftage statt und sogar Papst Viktor II reiste an, um sich mit Heinrich III zu treffen. Die Sonne, die mich auf der Fahrt durchs nördliche Vorharzland begleitete, hat sich bei meiner Ankunft verdunkelt. Ist das ein Zeichen?

Man sieht die Kaiserpfalz mit der Ulrichskapelle im Vordergrund. Beate Ziehres
Die Kaiserpfalz mit der Ulrichskapelle im Vordergrund.

Im Vorraum erwartet mich Christoph Gutmann, seines Zeichens Historiker und  Fachdienstleiter Kultur der Stadt Goslar. Wir starten unseren Rundgang durch das kaiserliche und königliche Repräsentationsgebäude im Erdgeschoss unter dem großen Saal. Ursprünglich lag hier ein ebenso riesiger Saal mit Abmessungen von 47 Metern Länge und 16 Metern Breite. Er wurde im Winter genutzt, wenn der Wind durch die großen, nach Osten gewandten Fensterarkaden des großen Saals im Obergeschoss pfiff. Denn Fensterglas in dieser Größe gab es im 11. Jahrhundert noch nicht.

Ende des 13. Jahrhunderts wurde der Saal im Untergeschoss in sieben gemauerte Gewölbe aufgeteilt. Anlass war ein großer Brand im Jahr 1289. Die Flammen bekamen damals ausreichend Nahrung durch die Holzdecke zwischen den beiden Sälen. In diesen sieben Räumen ist jetzt die Ausstellung untergebracht, die mich direkt ins tiefste Mittelalter entführt.

Das Reisekönigtum

Im ersten Raum erklären die Ausstellungsmacher – einer von ihnen ist Christoph Gutmann – was eine Pfalz ist: „In der Zeit des Reisekönigtums waren Könige und Kaiser auf einer immerwährenden Reise. Die Pfalzen waren Stützpunkte im Besitz des Herrscherhauses“, erklärt Gutmann jetzt. Der „Hof“ mit einer Mitgliederzahl zwischen 100 und 2000 Personen hielt sich manchmal nur eine Nacht an einem Ort auf, manchmal mehr als zwei Wochen.

Einen festen Regierungssitz hatten Kaiser und Könige zu dieser Zeit nicht. Dafür gab es mehrere Gründe. Zum einen war die Landwirtschaft nicht leistungsfähig genug, um den König und sein Gefolge immer am gleichen Ort zu ernähren. „Neun in der Landwirtschaft tätige Menschen ernährten zehn Personen, also sich selbst und einen zusätzlichen Mann“, verdeutlicht der Historiker. Während der Anwesenheit des Hofes kam es oft zu einer Nahrungsmittelknappheit in der jeweiligen Region. Zum anderen konnte der König seinen Willen gegenüber den adligen Grundherren, über die er regierte, nur durchsetzen, wenn er persönlich anwesend war.

Doch zurück zur Ausstellung. Hier kann ich beispielsweise einen Blick ins erhaltene mittelalterliche Fußbodenheizungssystem der Kaiserpfalz werfen. Die Bauherren versuchten sich an einer Variante der Heizungen im antiken Pompei. „Man hatte das Prinzip aber nicht begriffen“, sagt Christoph Gutmann. Deshalb war die Heizung nicht besonders effektiv. Trotzdem gelang es mit ihrer Hilfe, die Raumtemperatur im Erdgeschoss im Winter bei etwa 16 Grad zu halten.

Der Goslarer Kaiserstuhl

Die Ausstellung in der Kaiserpfalz beherbergt einige einzigartige Exponate, so den Goslarer Kaiserstuhl. Dies war der Sitzplatz des jeweiligen Herrschers in der Stiftkirche St. Simon und Judas, die ebenfalls zur Kaiserpfalz gehörte. Von diesem mächtigen Bau, der sich unterhalb der Kaiserpfalz an der Stelle befand, an der jetzt der Großparkplatz für die Besucher liegt, ist die Domvorhalle noch erhalten. „Der Kaiser übte seinerzeit die weltliche und die kirchliche Macht aus“, erklärt Christoph Gutmann die Größe und Lage der Kirche, die in Goslar auch Dom genannt wird. Der Goslarer Kaiserstuhl ist neben dem Aachener Karlsthron das einzige Möbelstück dieser Art, das bis heute bewahrt geblieben ist.

 

Der Wintersaal

Im Wintersaal der Kaiserpfalz wird übrigens eine virtuelle Rekonstruktion des wuchtigen Sakralbaus gezeigt. Doch auch der Wintersaal selbst beeindruckt mich. Irgendwie herrscht hier eine eigentümliche Stimmung, die ich nicht beschreiben kann. Die Arkaden in diesem Raum sind Originalmauern aus der Zeit vor dem großen Brand. Christoph Gutmann zeigt mir unregelmäßige Steine im Mauerwerk. Die Unregelmäßigkeiten seien auf die Hitzeeinwirkung des Feuers zurückzuführen, sagt er. Während des Brandes sind Teile der Steine abgeplatzt. Auch die roten Verfärbungen der Steine sind Folgen der großen Hitze.

Blick in den Wintersaal im Erdgeschoss der Kaiserpfalz Beate Ziehres
Der Wintersaal im Erdgeschoss der Kaiserpfalz.

Der Greif

Im letzten Raum wartet die Ausstellung mit einer weiteren Besonderheit auf: dem Greif aus Bronze. Der Greif ist die älteste erhaltene Giebelbekrönung Deutschlands. Dem Vogel wird eine Schutzfunktion für Goslar und den Rammelsberg nachgesagt.

 

Der große Saal

Ein „Wow“ entfährt mir, als wir den sogenannten Reichssaal betreten. Ich hatte zwar schon Bilder gesehen, doch im wahren Leben wirkt der ausgemalte Saal noch weitaus stärker. Die Ausmalung war ein Kernstück der Restaurierung der Kaiserpfalz in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Im neu gegründeten deutschen Reich bemühte man sich, der Kaiserpfalz den Charakter eines Nationaldenkmals zu geben.

So schrieb das preußische Kultusministerium 1876 einen Künstlerwettbewerb aus, den der Düsseldorfer Akademieprofessor Hermann Wislicenus für sich entschied. Seine Aufgabe: Die Ausmalung des großen Saals sollte dem mittelalterlichen Kaisertum und dem neuen deutschen Kaisertum zugleich huldigen. Der Maler schuf ein beziehungsreiches Werk aus insgesamt 68 Gemälden. Die Bilder nehmen jeden noch so kleinen Fleck der Wände ein.

Wislicenus hat das deutsche Reich als Dornröschen dargestellt, das von Kaiser Wilhelm I als Reinkarnation des Prinzen wachgeküsst wird. Dem mittelalterlichen Kaiser Friedrich I Barbarossa, der die Kaiserpfalz zu dem prachtvollen Gebäude ausgebaut hat, das wir heute sehen, sind gleich mehrere Szenen gewidmet. „In Barbarossa sah Wislicenus die Verkörperung der ‚alten Kaiserherrlichkeit’“, erklärt Gutmann.

Wandmalerei: Die Dornröschen-Szene im großen Saal der Kaiserpfalz. Beate Ziehres
Die Dornröschen-Szene im großen Saal der Kaiserpfalz.

Wislicenus malte 22 Jahre lang fast ausschließlich an den 600 Quadratmeter großen Wandflächen: von 1879 bis 1897. Für ihn war es ein Lebenswerk. Doch die Ehre, die er sich nach der Vollendung erhoffte, blieb aus. Denn die Aussage, sein politisches Statement und seine Art, Geschichte künstlerisch darzustellen, waren zur Einweihung überholt und nicht mehr zeitgemäß. Wilhelm I war längst Geschichte. Inzwischen hatte sein Enkel Wilhelm II den Thron bestiegen.

Dem letzten deutschen Kaiser missfiel ganz und gar die Darstellung seiner eigenen Person auf dem zentralen Bild des Saales, der Krönungsszene Wilhelms I: Der Kaiser ist als am Rockzipfel seiner Mutter hängender Junge dargestellt. So verwundert es nicht weiter, dass die Herrscherfamilie bei der Einweihung des Saales fehlte und die Würdigung von Wislicenus’ Arbeit enttäuschend ausfiel.

Wie der Saal vor der Restaurierung ausgesehen hat, ist nicht überliefert. Aber die Fensterarkaden wurden wieder originalgetreu hergestellt. Die Wandmalereien mussten um die Jahrtausendwende aufwändig restauriert werden, um wieder in ihrer ursprünglichen Pracht zu erstrahlen. Heute finden im großen Saal der Kaiserpfalz beispielsweise Konzerte und die Verleihung des Kaiserrings statt.

Die Ulrichskapelle

Auf dem Weg zur Ulrichskapelle passieren wir einen schmalen Verbindungsgang. Ich werfe einen Blick zwischen aus den Arkadenfenstern und bemerke, dass sich ein Gewitter zusammenbraut.

Übergang zur Ulrichskapelle mit Arkadenfenstern. Beate Ziehres
Übergang zur Ulrichskapelle mit Arkadenfenstern.

Wie passend! Schließlich fungierte die Kapelle seit den 1550er-Jahren als Gefängnis. Denn schon im 13. Jahrhundert hat die Kaiserpfalz als solche an Bedeutung verloren. Sie wurde Reichsvogteigericht und später Getreidelager. Teilweise wurden hinter den dicken Mauern auch bergbauliche Produkte wie Vitriol aufbewahrt.

Heute steht in der Ulrichkapelle das Grabmals Heinrichs III mit einer Grabplatte aus dem 13. Jahrhundert. Darunter sollen auf ausdrücklichen Wunsch des Kaisers Reste seines Herzens verwahrt sein. Übrigens: Auf der Grabplatte ist die zweite figürliche Darstellung eines deutschen Königs überhaupt zu sehen.

Als ich die mächtigen Mauern der Kaiserpfalz verlasse, haben sich die dunklen Wolken über dem Ort zusammengezogen. Ich eile vorbei an den Standbildern von Barbarossa und Wilhelm I und wundere mich über die beiden Braunschweiger Löwen auf der großen Wiese. Schließlich befand sich Goslar immer wieder in kriegerischer Beziehung mit Braunschweig.

Grabmal Heinrichs III in der Ulrichskapelle. Beate Ziehres
Grabmal Heinrichs III in der Ulrichskapelle.

Der Garten der Kaiserpfalz

Dass meine Zeitreise ein jähes Ende nimmt, soll hier ebenfalls erwähnt werden. Ich bin schon fast auf dem Weg zum Parkplatz, als ich ein schmiedeeisernes Tor neben der Ulrichskapelle entdecke. Es steht verlockend offen und ich betrete den verwunschenen Garten hinter der Kaiserpfalz. Meinen Parkschein, der schon abgelaufen sein könnte, habe ich längst vergessen. Geistig weile ich ja gerade im tiefsten Mittelalter und damals gab es schließlich noch keine Parkscheinautomaten.

Weil es immer düsterer wird, verlasse ich den Garten, nachdem ich den Dornröschenturm bestaunt habe. Er wurde erst im 19. Jahrhundert – wie es scheint passend zu den Dornröschen-Darstellungen im Saal – angebaut. Ich sehe einen Regenvorhang über der Stadt, der sich meinem Standort schnell nähert. Schon fast laufe ich bergab zum Parkplatz, der demnächst einem Park weichen wird. Es ist geplant, an diesem Ort ein Hotel zu bauen und die Reste der mittelalterlichen Stiftskirche wieder stärker in den Fokus der Besucher zu rücken.

Ich denke mir noch nichts, als ich jetzt eine Frau vor meinem Auto stehen sehe. Die ersten Tropfen fallen. Ich laufe schneller. Und realisiere im letzten Moment, dass die Frau eine Mitarbeiterin des städtischen Ordnungsamtes ist. Sie holt mich zurück in die Gegenwart, indem sie mir einen gelben Zettel mit einem QR-Code in die Hand drückt.

Während ich noch die Autotür hinter mir zuschlage, öffnet der Himmel die Schleusen. Und ich denke an die freundliche Frau, die jetzt in voller Montur unter der kalten Dusche steht. Weil sie kein Risiko gescheut hat, um schnell noch ein paar Euro aus meiner Tasche in den Säckel der Obrigkeit zu befördern. Wenn das kein Einsatz ist!

Der im 19. Jahrhundert angebaute Dornröschenturm. Beate Ziehres
Der im 19. Jahrhundert angebaute Dornröschenturm.

Weitere zeitORTE und Standorte der Welterbestätte im Harz

Von 100 zeitORTEn in der Region Braunschweig-Wolfsburg zählen neben der Kaiserpfalz in Goslar zwei weitere zeitORTE zum UNESCO Welterbe-Ensemble. Das Erzbergwerk Rammelsberg in Goslar und die Klosteranlage Walkenried bieten zum Welterbetag besondere Einblicke in die Geschichte beider Orte an.

 

Welterbetag am Rammelsberg

Sowohl am Rammelsberg als auch im Zisterzienser-Museum Walkenried sind derzeit Bilder des Kölner Malers Alexander Calvelli zu sehen. Seine Ausstellung „Welterbebilder aus dem Harz“ verdeutlicht, was dem Harz den Status „Welterbe“ eingebracht hat. Die Ausstellung ist bis zum 27. Oktober zu sehen.

Auf der Werkstraße des Rammelsberg werden am Welterbetag  Bergbaufahrzeuge aus der Sammlung des Museums gezeigt und vorgeführt. Die historischen Dieselfahrzeuge wurden Anfang der 1970er-Jahre im Erzbergwerk Rammelsberg in Betrieb genommen. Am Welterbetag stehen die beeindruckenden Bergbaumaschinen wie Radlader und Bohrfahrzeuge neben zwei hochmodernen Bergbaufahrzeugen. Die Maschinen werden am 2. Juni um 13, 14 und 15 Uhr vorgeführt.

 

Welterbetag in Walkenried

Das ZisterzienserMuseum Kloster Walkenried lädt ein zu einer Zeitreise in den ältesten Teil des Welterbes im Harz. „Mit Kreuz und Spaten“ lautet der Titel der Führung auf den Spuren der Mönche. Sie beginnt um 11.30 und um 14 Uhr. Außerdem gibt es Baustellenführungen durch das Herrenhaus neben dem Museumsgebäude, in dem derzeit das Welterbe-Infozentrum entsteht.