Ein Mann steht in seinem Schrebergarten. Inga Stand

Gartenfreuden für Großstädter

Als Städter in einem Mehrfamilienhaus ist ein eigener Garten purer Luxus. Manche Häuser haben eine kleine Rasenfläche, die von den Anwohnern gemeinschaftlich genutzt wird – mehr ist meistens nicht drin. Auch ich lebe in einer Mietwohnung im Osten Braunschweigs, ohne Garten dafür mit Hauptstraße vor der Tür. Gestört hat mich das früher wenig, doch seit die Pandemie uns Menschen an die eigenen vier Wände gebunden hat, spüre ich zunehmend eine Sehnsucht nach etwas mehr Natur, in der ich mich ungestört beim Buddeln austoben oder die Füße hochlegen kann. Und im Prinzenpark Gemüse an- und eine Hütte aufzubauen ist eben nicht drin. Also habe ich mich auf die Suche nach Alternativen gemacht und durfte auf dem Weg verschiedene Menschen mit ihrer ganz eigenen Motivation und Garten-Philosophie treffen ...

Familienleben im Kleingarten

Viele meiner Freunde haben sich in den letzten Jahren entschieden ihre Gartensehnsucht durch einen Kleingarten zu stillen. Zwei davon sind Malte und Maria, Eltern einer einjährigen Tochter und seit der Schwangerschaft von Maria Besitzer eines Schrebergartens im westlichen Ringgebiet. Eine frühere Nachbarin bot der kleinen Familie an den Garten inklusive kleinem Haus mit Terrasse und gepflegten Beet zu übernehmen. „Ich hatte schon vorher überlegt einen Schrebergarten zu pachten aber mit Ida im Bauch und dem Angebot einen gepflegten Garten zu übernehmen war klar: auf jeden Fall!“, erzählt Maria.

Malte hingegen brauchte ein wenig, um sich mit dem Gedanken einem Kleingartenverein beizutreten anzufreunden: „Das Thema war in meinem Kopf ganz schön Klischee behaftet. Ein bisschen ist es nun auch so mit den Regeln, aber insgesamt ist es gar nicht so schlimm, wie ich immer dachte.“ Dreimal im Jahr steht Gemeinschaftsarbeit an, um Wege und Plätze in Schuss zu halten. Darüber hinaus nehmen die Nachbarn und der Vorstand es aber auch keinem Pächter krumm, wenn der Rasen einmal etwas länger und das Beet etwas mehr voll Unkraut ist. Der strenge Blockwart, der mit Zentimetermaß Hecken und Wiesen vermisst, ist eher eine Erscheinung der Vergangenheit, erzählt mir auch Timo – Musiker und seit sechs Jahren Pächter eines Kleingartens im östlichen Ringgebiet.

 

Gärtnern als Ausgleich

Als Vollzeit-Musiker und Musiklehrer war für Timo vor ein paar Jahren klar, dass er einen Ausgleich zum Musizieren in Proberäumen und Wohnungen braucht. „Einfach nur Joggen oder Spazieren gehen ohne Ziel ist jedoch nichts für mich. Ich brauchte eine Aufgabe, die mir einen Grund gibt rauszugehen.“ Über die Homepage des Gartenvereins fand er schließlich seinen heutigen Schrebergarten, der zum damaligen Zeitpunkt jedoch völlig verwuchert war. „Deshalb musste ich damals keinen Abschlag zahlen.“ In mühsamer Arbeit befreite er den Garten von Unkraut, legte ein großes Beet und eine Rasenfläche an, die seinem Sohn häufig als Spielwiese dient. Der Blockwart – keine Beleidigung, sondern ein echtes Ehrenamt im Verein wie ich lernen durfte – war dem jungen Vater am Anfang nicht wohlgesonnen. Junge Leute wurden nicht gerne gesehen und wurden erst einmal kritisch beäugt. Wirklichen Ärger hatte Timo jedoch nie, auch wenn sein Kleinod mal ein paar Wochen länger keinen Rasenmäher gesehen hat. „Erst jetzt, nach sechs Jahren hieß es, ich sollte mal das Beet vergrößern, da der Anteil an Rasenfläche deutlich zu groß sei.“

Timo steht neben seinem Weinstock im Schrebergarten. Inga Stang
Im Garten gibt es immer etwas zu tun, zum Beispiel den Wein hochbinden.

Die Arbeit auch mal ruhen lassen

Rentnerin Renate hat dieses Problem vor vielen Jahren durch das Pflanzen vieler Bäume, Büsche und eines großen Beetes in der letzten Ecke ihres Gartens gelöst. Sie ist ebenfalls Pächterin in einem Kleingartenverein nahe Riddagshausen – und das bereits seit 52 Jahren. „Mein Mann ist früher im Sommer von hier aus zur Arbeit und ich nach Hause zum Putzen gefahren. Das durfte man ja eigentlich gar nicht, aber alle haben das damals gemacht.“ Genauso locker wie mit spießbürgerlichen Regeln geht sie auch mit dem Thema Gartenarbeit um: „Ich sage immer: Ich will nicht Sklave meines Gartens sein!“

Eine Frau steht vor ihrem blauen Häuschen im Schrebergarten. Inga Stang
Ganze 52 Jahre ist Renate schon Pächterin im Kleingartenverein Ostend e.V.

Wie sie es trotzdem schafft, ihren Garten dermaßen in Schuss zu halten, wie ich ihn bei meinem Besuch vorgefunden habe, ist mir ein Rätsel. Aber wahrscheinlich lernt man in 52 Jahren einfach die perfekte Balance zwischen Arbeit und Ruhe zu bewahren. Im Laufe der Zeit hat sich vieles im Kleingarten verändert, erzählt mir Renate. Die Vorstände sind heute weniger streng, es sind mehr Familien und junge Leute im Verein und keiner beschwert sich mehr, wenn mal ein Kind während der Mittagszeit etwas lauter ist. Eine wirkliche Gemeinschaft in ihrem Gartenverein gibt es mittlerweile jedoch nicht mehr, die Familien sind heute lieber unter sich. Dennoch ist der Umgang miteinander freundlich.

 

Gärtnern in Gemeinschaft

Im Stadtgarten Bebelhof wiederum wird eine ganz andere Philosophie des Gärtnerns verfolgt, bei der die Gemeinschaft und das Thema Nachhaltigkeit im Fokus stehen. „Für viele Teilnehmende ist das Gärtnern zwar Kernelement, aber dieses drumherum spielt für viele eine ebenfalls wichtige Rolle,“ erzählt mir Ute, die den Garten 2015 im Rahmen ihrer Tätigkeit an der Volkshochschule Braunschweig mitgegründet hat.

Im Stadtgarten Bebelhof gibt es bewusst keine Privatbeete. Die 130 existierenden Gemeinschaftsbeete werden von allen zusammen gepflegt. Wer mitmachen möchte, muss nur vorbeikommen: „Das geht entweder dienstags in den Workshops, die kostenfrei für zwei Stunden lang von Stargärtner Burkhard Bohne betreut werden oder – wenn man mehr machen möchte – als Ehrenamtliche mit allen Rechten und Pflichten.“ Der Stadtgarten bietet zusätzlich ein buntes Programm von Veranstaltungen und Workshops an. „Mittlerweile haben wir hier knapp drei Events pro Tag“. Besonders junge Menschen, Studierende, aber auch Berufstätige und Rentner zieht es in den Stadtgarten. Einige obwohl sie selbst einen Garten vor der Tür haben: „Die kommen dann zum Lernen in den Gemeinschaftsgarten, da hier Fachwissen von Experten aber auch untereinander viel Wissen ausgetauscht wird.“

Keine Pflichten, alle Optionen: SoLaWi 

Mein letzter Besuch führt mich nach Dahlum, zu einem weiteren gemeinschaftlichen Konzept, dass jedoch nur im weiteren Sinne mit Gärtnern und mehr mit dem Teilen des wirtschaftlichen Risikos auf mehrere Schultern zu tun hat. Das Konzept der solidarischen Landwirtschaft (kurz SoLaWi) sieht vor, dass mehrere Personen für mindestens ein Jahr einen Anteil am Hof kaufen. Im Gegenzug erhalten die Anteilnehmer wöchentlich Ernterationen, die über Abholstationen in Braunschweig, Dahlum und Wolfenbüttel verteilt werden. Die Idee wurde 2013 von Lea auf den elterlichen Hof gebracht. „Über den Solidarische Landwirtschaft e.V. habe ich mir Unterstützung geholt und eine Infoveranstaltung in Dahlum abgehalten. Aus den 50 Personen, die da waren, hat sich direkt ein harter Kern von 20 Unterstützern gefunden, die gemeinsam mit mir 2013 die SoLaWi gegründet und aufgebaut haben.“ Mittlerweile sind alle 130 Anteile vergeben und die Nachfrage steigt stetig. „Vor allem Leute aus der Stadt, die Interesse an nachhaltigen Lebensmitteln haben, kommen zu uns.“ Die Anteilseigner können aber auch jederzeit Mithelfen oder sich nur Hin und wieder bei Gemeinschaftsaktionen, wie der Zwiebelernte, dem Kartoffelroden oder auch dem Beerenfest, die Hände schmutzig machen.

Ein Transporter mit SoLaWi Aufschrift steht auf dem Hof. Inga Stang
Mit dem betriebseigenen Wagen wird die Ernte zu den SoLaWi Verteilstationen gebracht.

Die Qual der Wahl

Ich ganz persönlich finde zwar die Idee eines Schrebergartens reizvoll, doch wäre ich wahrscheinlich besser im Stadtgarten aufgehoben. Freiwillig einmal die Woche mitzuhelfen statt ständiger Verantwortung passt einfach besser in meinen Lebensalltag. Doch auch die SoLaWi finde ich klasse. Und wenn ich dann doch mal im Schrebergarten helfen will, kenne ich da ja ein paar Freunde, die sich über helfende Hände freuen würden. Sicher ist: Auch als Stadtbewohnerin kann es klappen mit der grünen Oase der Ruhe.