Eine Fahne der Eintracht Braunschweig flattert im Wind. Malte Schumacher

Stadionfunk:
Ein nachträgliches Geschenk für Volker

Am Samstag war der MSV Duisburg zu Gast im Eintracht-Stadion. Ein Spiel, zwei Perspektiven. Unsere Regionäre Malte Schumacher und Kay Rohn berichten.

Malte Schumacher

Tradition

Der MSV Duisburg kommt, genannt „die Zebras“ – ein Verein mit Tradition. Ewald Lienen, Kurt Jara, Bernard Dietz – das sind Namen aus meiner Kindheit, die Erinnerungen auslösen: an die Sportschau-Musik, an die ersten Besuche im Eintracht Stadion. Und an Ronnie Worm, der 1979 vom MSV zur Eintracht kam.

Aber auch an eine gruselige 1:2 Heimniederlage am 6. Juni 1993, dem letzten und 46. Spieltag der 2. Liga – in der Saison 1992/93 waren dort 24 Teams am Start. Für die Eintracht war dadurch der Abstieg in die Dritte Liga besiegelt – mehr oder weniger dauerhaft wieder raus geholt hat uns da dann erst Torsten Lieberknecht im Jahr 2011…

Der Mannschaftsbus des MSV Duisburg. Kay Rohn
Keine Punkte für die Zebras mit Herz.

Meidericher Spielverein

Heute aber könnte es mal wieder richtig gut werden, 14.000 Zuschauer sind erlaubt, inklusive 1.400 Gäste-Fans. Fanrat-Micha hatte mir am Dienstag eine Twitter-Meldung zugleitet, laut der der MSV (was Meidericher Spielverein bedeutet) seinen Fans fünf kostenlose Sonder-Busse zur Verfügung stellt.

Klar, die sind tief drin im Abstiegskampf und brauchen jeden Support: denn die vierte Liga überlebst Du nicht. Die Sport-Redaktion der BZ bietet am Matchday einen langen Text über den Stand der Vertragsgespräche bei der Eintracht – Danke, das lese ich später mal. Ich will los, ich will Spieltags-Stimmung spüren und aufsaugen.

Zwei Mainzer sind auch da

Also ab auf’s Fahrrad, die Sonne scheint. Vor der Denkbar in der Guntherstaße ist schon gut was los kurz nach 12.00 Uhr. Auf der Rheingoldstraße dann bremse ich scharf ab: ein blau-gelber und ein blau-weißer Fan spazieren in Richtung Eingang: Marlon und Marius.

„Der eine aus Duisburg, der andere aus Braunschweig?“ frage ich und beide lachen: „Nee, wir sind gerade mit einem Wiesbadener Auto hier angekommen, und wir sind beide aus Mainz“. Die große weite Fußball-Welt ist manchmal merkwürdig. „2:2“, sagt der blau-weiße Marlon, „3:1“ der blau-gelbe Marius.

Vor-pandemische Gefühle

Vor der Shell-Tanke stehen Mirko und Maik, auf ihrem Stromkasten zwei Flaschen Wolters. Auch von ihnen will ich wissen, wie es ausgeht: „3:1“ und „1:0“ – klar, dass die beiden auf einen Heimsieg setzen. Kurz darauf begegnen mir Sascha und Yvonne, augenscheinlich Duisburger und offensichtlich sehr innig miteinander verbandelt: „2:1 für uns – wir müssen drin bleiben, Ihr dürft am Ende gerne aufsteigen“ antworten beide im Chor.

Ich mache weiter meine Runde und betrachte das Ultra-Gedenk-Transparent für Schorse Dulz neben dem Haupteingang. Vor der Wahren Liebe ist es fast so gut besucht wie in alten Zeiten. Und auch in der Rheingoldstraße sieht es fast wieder vor-pandemisch lebendig aus….

Unsere Pfandbecher für die Stiftung

Ich will mich heute auch mal wieder vor-pandemisch fühlen und exakt eine Stunde vor Anpfiff in unserem Block 6 sein. Auf dem Weg dahin läuft Ulli dreimal offensichtlich planlos an mir vorbei – der war noch nicht oft hier, das merke ich. Immerhin trägt sein Sohn Kian einen Eintracht-Schal und tippt 2:1 für uns.

Ulli ist der gefühlt siebte heute, der mir ein 3:1 anbietet – okay, dann nehme ich den Tipp auch. Unten vor Block 6 steht einer der „Pfandsammler“-Behälter der Eintracht Braunschweig Stiftung. Am Donnerstag habe ich mich lange ausgetauscht mit André, einem der Stiftungs-Vorstände. Und ich habe ihm versprochen, dass unser Fanclub heute viel Bier trinken und alle Pfandbecher für die Stiftung spenden wird….

Ein Gerät zum Pfandsammeln. Malte Schumacher
Wir werden heute den Pfandsammler der Stiftung befüllen.

Die Auftstellung

Die Push-Nachricht, dass die Aufstellungen stehen, ist schon lange nicht mehr Diskussions-auslösend bei uns im Block. Trainer Michael Schiele hat seine Stamm-Elf gefunden, und die macht auch Spaß. Was uns heute schmerzt, ist das erneute Fehlen von Brian Behrendt in der Innenverteidigung.

Er ist stark dort, und er ist ein Leader und Kommunikator, der der ganzen Mannschaft hilft. Weder Schulz noch Strompf (wir nennen ihn wegen seiner Friese längst „Krusty der Clown“) konnten das bislang ersetzen. Egal, das Leben ist kein Wunschkonzert, die beiden machen das heute.

Die Ukraine und Schorse Dulz

Vor dem Anpfiff gibt es zwei Schweigeminuten – eine wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine, und eine wegen des Todes unseres Meister-Spielers Schorse Dulz. Ich lasse meine Gedanken schweifen. Ukrainer, die für Eintracht gespielt haben: Igor Belanow (1991 bis 1995, 71 Spiele) und Viktor Pasulko (1993 bis 1996, 94 Spiele). Mein Ukraine-Erlebnis: ein WM-Qualifikations-Spiel am 30. April 1997, im Bremer Weserstadion: Deutschland gegen Ukraine, 2:0. Eine Kurve war komplett blau-gelb – ich fand’s großartig.

Und Hans-Georg „Schorse“ Dulz war von 1963 bis 1968 bei der Eintracht, 109 Spiele hat er bestritten – am 16. Februar ist er verstorben. Das Publikum schweigt erst gemeinsam und applaudiert dann anteilnehmend und kräftig.

Fahnen gedenken an ein Vereinsmitglied der Eintracht Braunschweig. Malte Schumacher
Das Ultra-Gedenken an Schorse Dulz.

Volker hatte Geburtstag

Die letzte Gelegenheit vor dem Anpfiff nutze ich für ein Bild mit unserem Fanclub-Präsi und Freitags-Geburtstags-Kind Volker in der Mitte: Möge unsere Eintracht Dich heute nachträglich mit drei Punkten beschenken… Prost und los – Anpfiff! Mex blickt sich um: „Sind das 8.500 Leute?“ – ich kann sowas nicht einschätzen.

Inga kommentiert: „Vor dreißig Minuten sah es noch ziemlich leer aus – jetzt ist es hier bei uns aber ganz schön voll“. Die Ultrás sind offensichtlich immer noch nicht wieder dabei – ihre Devise „Alle oder keiner!“ gilt wohl weiterhin.

Eine Gruppe von Eintracht-Braunschweig-Fans. Malte Schumacher
Volker (Mitte) hatte am Freitag Geburtstag.

Brian Behrendt fehlt mir

Der MSV steht extrem hoch und presst uns sehr tief hinten rein. Es geht also von Beginn an darum, dass die Defensive stabil und sicher damit zurecht kommt und dass keiner Risiko geht oder einen Fehler macht. Hmm, genau das aber macht mir Sorgen – eben weil Brian Behrendt nicht dabei ist.

Und weil sowohl Krusty als auch Schulz ein paar Wackler mehr drin hatten als zuvor. Jens erinnert zudem an die blöde 2:3-Hinspiel-Klatsche – inklusive Traumtor aus 25 Metern durch Bretschneider, der auch heute auf dem Platz steht für den MSV. Egal, erstmal Stiftungs-Bier trinken.

Jomaine Consbruch

Langsam kommt auch unser Spielaufbau zustande und wir haben Offensiv-Aktionen. Kiwi wirft einen Einwurf von links bis an den Duisburger Fünfer, dann landet der Ball irgendwie zufällig auf rechts bei Jomaine Consbruch und der stochert das Ding in die lange Ecke. Cool, 1:0 nach 12 Minuten – das gefällt mir. Durchatmen, Ralf schwenkt unsere Bewegungs-Fahne.

Mal schauen, was der MSV jetzt macht. Stoppelkamp, Bouhaddouz – die haben schon echt gute Leute. Jetzt aber muss erstmal Bretschneider runter, mit vier Sanis und auf der Trage – das sieht fies aus. Gehirnerschütterung? Kurz danach hat Jomaine wieder eine gute Aktion – Jomaine, ein Name wie ein Gedicht.

Fußballfans tummeln sich vor ihrer Stammkneipe. Malte Schumacher
Auch vor der „Wahren Liebe” ist endlich wieder etwas los. Kein Wunder bei dem Wetter.

Stiftungs-Biere

Aber Achtung: Bouhaddouz! Er schießt Fejzic mehr oder weniger an – das war gefährlich. Und Krusty und Schulz haben gepennt. Gleichwohl scheinen die Jungs nach dem Hammer-6:0 in Berlin wieder anzuknüpfen an die Performance in 2021. Sie erarbeiten sich Chancen, wir trinken Stiftungs-Biere.

Und wir plaudern viel zwischendurch – lange waren wir hier nicht mehr beisammen wegen der Scheiß-Pandemie. Duisburg spielt ziemlich rustikal und der Schiri zeigt erst gegen Ende der ersten Halbzeit mal ein Kärtchen dafür. Pause, Sladdi holt ne Rutsche Stiftungs-Biere…

Weltenbummler Rolf Feltscher

Feltscher kommt beim MSV zur zweiten Halbzeit, ein Typ mit einem bunten Lebenslauf: LA Galaxy, Cardiff City, FC Parma, FC Getafe – allter Schwede, ein Weltenbummler… Die müssen jetzt aber auch Gas geben. Schaffen sie aber nicht, der MSV bringt mich nicht zum Nägelkauen. Im Gegenteil: Nach einer Stunde hat Lauberbach über links eine ganz dicke Chance, die gerade noch so geblockt wird.

Ich lege mich fest: Krusty oder Lauberbach machen noch eine Bude. Und dann spielen Marx und Nikolaou über rechts einen Angriff wie aus dem Lehrbuch: Mit einem Doppelpass überspielen sie die zwei Ketten des MSV, im Fünfer legt Marx quer auf Lauberbach – 2:0 für uns.

Fans auf der Tribüne in einem Fußballstadion. Malte Schumacher
Jens auf dem Weg zum Pfandsammler – für die Stiftung.

Kian war der Größte

Das Ding ist durch, und Jens befüllt nochmal den „Pfandsammler“-Behälter der Eintracht Braunschweig Stiftung. Upps, Ademi wird eingewechselt… Im Hinspiel hat „Torhan“ fünf Minuten nach seiner Einwechslung wundersamer Weise getroffen – heute ballert er nach einer Minute bereits an den Pfosten, und Feltscher jagt den aussichtsreichen Nachschuss in den blauen Himmel. Durchatmen.

Bei uns kommt Girth – und der hat auch sofort eine große Chance. Fußball bei Sonnenschein und zusammen mit über 8.000 anderen Besuchern – gut fühlt sich das an! Zum Ende hin dann viele Wechsel – und doch noch das 2:1 in der Nachspielzeit – zu spät. Schlusspfiff, Sieg, dritter Platz. Lautern hat noch gewonnen. Und wer war heute der Größte? Der kleine Kian mit seinem 2:1-Tipp natürlich….

Kay Rohn

Stoppt den Krieg – Wir stehen zur Ukraine

Einen Moment steht die Fußballwelt still. Beide Mannschaften versammeln sich am Anstoßkreis. Nur 1.600 km von hier entfernt ist Krieg, Menschen verstecken sich in U-Bahn-Schächten, ein Landkrieg in Europa, nicht vorstellbar. Stefan unser Stadionsprecher hat die richtigen Worte und spricht aus, was alle denken. Der Verein nimmt auf der Website und in den sozialen Medien klar Stellung und verurteilt diesen Krieg.

Abschied von „Schorse”

Ich habe ihn spielen sehen. Am 15. April 1967 beim 5:2 gegen Bayern München. Es war erstaunlich warm an dem Tag im April, ich sehe noch die Staubwolken bei den Toren von Saborowski. „Schorse“ ist Spiellenker der klassischen Art. Er ist kein falscher 10er oder hängender Mittelstürmer, nein er ist Motor zwischen Abwehr und Angriff, Ideengeber für überraschende Aktionen, eben Regisseur auf dem Feld.

Am Spielfeldrand stehen seine Mannschaftskameraden aus der 67er Mannschaft und geben ihm die letzte Ehre. Ruhe in Frieden „Schorse“. Hans Georg Dulz war am 16. Februar 2022 im Alter von 85 Jahren verstorben.

Sehnsuchtsverein Eintracht Braunschweig

Also die Geschichte geht so: Mein langjähriger Tennisdoppelpartner ruft mich an und erzählt mir von einem Freund aus Gütersloh. Der hätte einen Freund und der wiederum einen Sohn, Matteo. Dieser würde in der U16 eines großen Vereins im Westen Fußball spielen. Aber am allerliebsten würde er irgendwann einmal für die Braunschweiger Eintracht spielen.

Mich interessiert natürlich, wo das herkommt. Ich rufe den Vater an. Aber auch der kann mir das nicht erklären. Kurzerhand lade ich beide zum Spiel gegen den MSV ein. Matteo war vor einigen Jahren mit seinem damaligen Trainer bei einem Spiel in Braunschweig, sein Vater war überhaupt zum ersten Mal in Braunschweig.

Wir treffen uns am Fanshop, Anreise und Parken in den Nebenstraßen hat geklappt und wir können zusammen zum Essen vor dem Spiel gehen. Ich sehe schon so ein Leuchten in den Augen von Matteo, er ist bei seinem Lieblingsverein und so ist eine meiner ersten Fragen an ihn: Warum??

Er hat die Eintracht in der Bundesligasaison 2013/14 zum ersten Mal wahrgenommen, die Spielweise und das Auftreten der Mannschaft hat ihm gefallen. Die Mannschaft, der Verein sind ihm ans Herz gewachsen.

„Und, willst Du versuchen hier ins NLZ zu wechseln?“, frage ich ihn? Es ist leider nicht realistisch, meinte er, ich habe noch zwei Jahre Schule bis zum Abitur vor mir, da wäre ein Wechsel jetzt nicht so gut. Aber, wer weiß, vielleicht ergibt sich später ja mal die Chance.“

Nach Roulade, Heimsieg, 2,5 Std. Hinfahrt und 2,5 Std. Rückfahrt mit bestimmt intensiven Vater-Sohn-Gesprächen und Spielanalysen bekomme ich um 20:30 aus Westfalen die Nachricht, sie sind gut angekommen und danken für einen schönen Tag in Braunschweig. Der Dank ist ganz meinerseits. Bis bald in der Löwenstadt.

Zwei Männer sitzen an einem Tisch. Kay Rohn
Matteo (links) und Burkhard beim Sehnsuchtsverein.

Reifeprozess

Es wurde ja auch noch Fußball gespielt vor immerhin 8.410 Zuschauern. Ich habe ein Team gesehen, dass noch auf der Suche nach sich selbst ist. Das aber individuell so stark ist, dass ein Team wie die Duisburger keine wirkliche Chance gegen uns hatte. Ein Stoppelkamp fiel kaum auf und der Pfostenschuss von Ademi war nicht mehr als ein kurzes Aufbäumen.

Die Abwehr, unsere Achillesferse, musste bedingt durch den Ausfall von Brian Behrendt wieder umgebaut werden. Hier liegt meines Erachtens noch eine Schwäche der Mannschaft. Das Selbstbewusstsein ist nicht zu hundert Prozent da, wenn hinten umgebaut werden muss.

Und das setzt sich im Spiel nach vorn weiter fort. Spielerisch sehr gute Aktionen wechseln mit unkontrolliert nach vorne geschlagenen Bällen. Da ist noch viel mehr drin. Beim zweiten Tor für uns funktioniert das Zusammenspiel zwischen Marx, Nikolaou und Lauberbach sensationell. Schnelligkeit, technische Klasse, Übersicht und Spielwitz ergibt fast folgerichtig ein Tor.

Immer wieder ist Nikolaou der ruhige Impulsgeber zwischen Abwehr und Angriff, er macht eins seiner besten Spiele, wie ich finde. Und Lauberbach macht die Bälle fest wie kein anderer, ist schnell und sucht den Abschluss. Dazu kommt ein Consbruch, der sich von Spiel zu Spiel steigert. Zu unserem Spiel gehört, seit Michael Schiele die Verantwortung für das Team trägt, ein agressives hohes Pressing. Man sah förmlich, wie die Duisburger unter Druck gesetzt, die Kontrolle über das Spiel verloren.

Fußballfans gehen durch die Rheingoldstraße in Braunschweig. Malte Schumacher
Die Rheingoldstraße ist mal wieder gut besucht.

Für mich unverständlich zog sich unsere Mannschaft nach dem 1:0 zurück, gab förmlich Boden ab und kam immer mehr unter Druck am eigenen Strafraum. Das wurde gut verteidigt, war aber unnötig und würde bei einem besseren Gegner schnell zum Gegentor führen. In der 88. Minute gab es drei Wechsel, das kostet Zeit und bringt frische Kräfte. Aber das Gegentor entstand meiner Meinung nach nur, weil die Mannschaft nach den Wechseln noch nicht wieder in richtig auf ihren Positionen stand.

Schlüter stand vorn auf Rechtsaußen und orientierte sich nach hinten, die Mannschaft wirkte wie durcheinandergewürfelt und es gab keine richtige Zuordnung in der Defensive. Das Tor war vermeidbar. Das Spiel zeigte für mich das Bild einer Mannschaft, die auf sehr hohem Niveau spielen kann, sich selbst aber immer wieder auch im Wege steht. Eintracht Braunschweig 2022, ihr seid eines der besten Teams, dass wir in den letzten Jahren hatten. Glaubt an euch, ihr könnt noch viel mehr. Ich glaube an diesen Reifeprozess.