Blick durchs Teleskop mit Fokus auf Publikationen der HAB. Beate Ziehres

450-jähriges Bestehen der Herzog August Bibliothek

450-jähriges Bestehen der Herzog August Bibliothek (HAB) – Jubiläumsausstellung zeigt Luthers Tintenfass, Zeichnungen von Salvador Dalí und vieles mehr.

Auch Gottfried Wilhelm Leibniz, ab 1691 Bibliothekar in Wolfenbüttel, nutzte den „Sachsenspiegel“ als Quelle für seine Grundlegungen zum Völkerrecht. Das Werk des Universalgelehrten Leibniz erschien 1693.

 

Kurios: Schriftsteller sucht in der Bibliothek nach Rat in Liebesdingen

Die Frage, wie man die Liebe zur hohen Kunst entwickeln kann, trieb den verzweifelten Juristen und Schriftsteller Friedrich Wilhelm Basilius von Ramdohr nach Wolfenbüttel. Vier Tage lang recherchierte er im August 1796 in der Bibliothek. In dieser Zeit studierte er nicht weniger als 69 Schriften zum Thema Liebe.

Das Ergebnis seiner Recherche war der vierbändige Ratgeber „Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, ueber ihre Veredelung und Verschoenerung“, der 1798 erschien.

 

Phantasievolles aus der Herzog August Bibliothek

Die Inhalte von Büchern beflügeln nicht nur die Leserinnen und Leser, sondern auch Künstlerinnen und Künstler. Deshalb ist der umfangreichen HAB-Sammlung von Künstlerbüchern aus dem 20. und 21. Jahrhundert ein eigener Ausstellungsteil gewidmet.   

Ein Beispiel: Im Malerbuch „Don Quichotte de la Manche“ von Miguel de Cervantes Saavedra sind Lithografien von Salvador Dalí enthalten.

Die altehrwürdige Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel besteht in diesem Jahr seit 450 Jahren. Anlässlich des großen Jubiläums gibt es eine Sonderausstellung und einen Tag der offenen Tür. Am Samstag, 2. Juli, sind alle Interessierten eingeladen, zwischen 11 und 17 Uhr mitzufeiern und ihren persönlichen Horizont zu erweitern. Denn die Bestände der Forschungsbibliothek werden nicht nur erhalten und sicher aufbewahrt, sie sollen auch genutzt werden.

Dass dies schon immer so war, zeigt die Jubiläumsausstellung „Wir machen Bücher“. Dieser Titel mag zunächst verwirren, das ging mir bei meinem jüngsten Besuch der heiligen Hallen in Wolfenbüttel nicht anders. Doch kein Geringerer als der damalige Bibliothekar Gotthold Ephraim Lessing bringt hier Licht ins Dunkel. Er hat sich schon im Jahr 1773 Gedanken darüber gemacht, wie man die Geschichte einer Bibliothek schreibt. Dies geschehe gerade nicht, indem man die „Umstände ihrer Entstehung und ihrer allmäligen Vermehrung mit einer ängstlichen Gewissenhaftigkeit her erzählet.“ Es komme vielmehr darauf an, „daß man zeigt, wozu es denn der Gelehrsamkeit und den Gelehrten genutzt habe, daß so viele Bücher mit so vielen Kosten hier zu Haufe gebracht wurden.“ Also: Nicht die Bücher, die eine Bibliothek besitzt, sondern die aus diesen Büchern hervorgegangenen Werke erzählen die Geschichte einer Bibliothek.

So werfe ich meine handschriftlichen Notizen, die das beeindruckende Anwachsen des Bibliotheksbestands von Herzog Augusts Lebzeiten bis 2016 dokumentierten, in den Papierkorb und lasse mich auf die Jubiläumsausstellung ein. Sie ist noch weitaus beeindruckender als die notierten Zahlen.

Die Herzog August Bibliothek ist Partner im Netzwerk der zeitORTE
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Die Augusteerhalle ist das Herzstück der Herzog August Bibliothek. Hier sind 50.000 Drucke aus der theologischen und historischen Sammlung Augusts untergebracht. Beim Blick auf die langen Bücherreihen fällt mir auf, dass die Bücher nach Größe sortiert sind. Diese Ordnung geht auf Herzog August selbst zurück. Er verfasste einen umfangreichen Katalog und unterteilte den Bestand der Bibliothek in 20 Kategorien. Innerhalb der Kategorien ordnete der Herzog die Bücher nach ihrer Größe.

 

Bereits bei meinem ersten Besuch in der Augusteerhalle hatte das Bücherrad mein Interesse geweckt. Nun erfahre ich von Mira Döhner, die mich durch die Bibliothek und die Ausstellung führt, was es mit dem Bücherrad auf sich hat. „Herzog August hat das Bücherrad mit einer ausgeklügelten Mechanik entwickelt, um seinen eigenhändig erstellten Bibliothekskatalog, der mehrere Bände umfasst, handhaben zu können“, erklärt sie mir.

Auf das Thema der Jubiläumsausstellung weist im Zentrum der Augusteerhalle eine Art überdimensionales Teleskop hin. Es richtet den Fokus auf ein Quadrat an der Stirnwand der Halle. Hier ist eine kleine Auswahl hauseigener Publikationen zu sehen. Sie stehen stellvertretend für insgesamt 8700 Veröffentlichungen, die aus der HAB hervorgegangen sind. Seit den 1980er-Jahren produziert die Bibliothek in einem hauseigenen Verlag unter anderem Kataloge und Monographien.

Spot an: Wie aus Wissensschätzen Neues entstanden ist

Die Ausstellung „Wir machen Bücher“ lenkt die Aufmerksamkeit auf Werke, die dank  Anregungen aus der Bibliothek heraus entstanden sind. Prominentestes Beispiel dürfte hier „Nathan der Weise“ sein. Gotthold Ephraim Lessing, Autor von „Nathan der Weise“ und Bibliothekar in Wolfenbüttel von 1771 bis 1781, fand die Idee zur berühmten Ringparabel in einem Buch. Die Ringparabel ist eine Schlüsselszene in „Nathan der Weise“. Als Vorlage diente Lessing eine Geschichte aus Giovanni Boccaccios „Il Decamerone“.

Erstausgabe von Nathan der Weise aus dem Jahr 1779 (links) und eine Abhandlung über die Entstehung von „Il Decamerone“. Dieses Buch brachte Lessing 1775 von seiner Italienreise mit. Beate Ziehres
Erstausgabe von Nathan der Weise aus dem Jahr 1779 (links) und eine Abhandlung über die Entstehung von „Il Decamerone“. Dieses Buch brachte Lessing 1775 von seiner Italienreise mit.

Dass Lessing dem einmal geäußerten Wunsch des Herzogs, die Bibliothek zu nutzen rege nachkam, zeigen Notizen von Lessing. Immer wieder findet sich darin als Quellenangabe „W. B.“ für Wolfenbütteler Bibliothek.

Ein besonders beeindruckendes Exponat – zumindest aus meiner Sicht – ist der „Wolfenbütteler Sachsenspiegel“ aus dem frühen 13. Jahrhundert. Die Bibliothek besitzt eine der insgesamt vier erhaltenen Bilderhandschriften. Der „Sachsenspiegel“ ist ein bedeutendes Werk zum Völkerrecht und dient laut Mira Döhner Juristen noch heute als Forschungsquelle.

Wenig verwunderlich: Auch die Bibliothek selbst wurde immer wieder Thema und Gegenstand von Büchern. Diese Werke sind im Ausstellungsabschnitt „Die Bibliothek im Buch“ zusammengestellt.

Beamte des Herzogs, Bibliothekare, Direktoren als Autoren – sie alle hatten Gründe, die Bibliothek in ein günstiges Licht zu rücken. Beate Ziehres
Beamte des Herzogs, Bibliothekare, Direktoren als Autoren – sie alle hatten Gründe, die Bibliothek in ein günstiges Licht zu rücken.

Im Tresor der HAB: Schatzhaus und Wunderkammer

Von vielen Eindrücken und neuen Erkenntnissen fühle ich mich nun tatsächlich beflügelt. Doch nun will ich noch die Sensationen sehen, einzigartige Stücke, Heiligtümer gewissermaßen. Nicht umsonst sprach man ja in bestimmten Epochen von der Wolfenbütteler Bibliothek als achtes Weltwunder.

Deshalb lenkt Mira Döhner meine Schritte nun in die Schatzkammer der Herzog August Bibliothek. Direkt gegenüber der Tür ist das berühmte Evangeliar Heinrichs des Löwen und Mathildes von England ausgestellt. Das Original gilt als teuerste Handschrift der Welt und wird aus konservatorischen Gründen nur alle fünf Jahre für kurze Zeit ausgestellt. Schon das Aufklappen des Buches verursache Diskussionen darum, welche Seite aufgeschlagen werden soll, gewährt mir die Mitarbeiterin der Bibliothek einen kleinen Blick hinter die Kulissen.

 

Faksimile des Evangeliars Heinrichs des Löwen und Mathildes von England. Beate Ziehres
Faksimile des Evangeliars Heinrichs des Löwen und Mathildes von England.

Weniger glamourös, aber ebenso bedeutend sind die sogenannten Corvinen. Neun Handschriften aus der Bibliothek des ungarischen Königs Matthias Corvinus, die im frühen 16. Jahrhundert untergegangen ist, nennt die HAB ihr Eigen. Die Corvinen sind seit 2005 UNESCO-Weltdokumentenerbe.

Corvine – die Pergamenthandschrift entstand um 1488. Beate Ziehres
Corvine – die Pergamenthandschrift entstand um 1488.

Ebenfalls auf der Liste des UNESCO-Weltdokumentenerbes steht Martin Luthers erste Publikation, ein Psalter für den Gebrauch in Vorlesungen. In der Wolfenbütteler Schatzkammer ist das einzige erhaltene Exemplar ausgestellt – Luthers persönliches mit zahlreichen Anmerkungen. Theologen aus aller Welt kommen nach Wolfenbüttel, um mithilfe dieser Handschrift Luthers Gedankengänge nachzuvollziehen.

Die HAB widmet dem Reformator im Tresor einen eigenen Bereich, in dem beispielsweise das Tintenfass zu sehen ist, mit dem Luther nach dem Teufel geworfen haben soll. Außerdem werden einige Briefe gezeigt, darunter eine Danksagung für einen geschenkten Käse, der sehr lecker gewesen sein soll.

In der Schatzkammer sind außerdem zu sehen: die sogenannte Ehebrecher-Bibel, das erste gedruckte Buch in deutscher Sprache, beeindruckende grafische Kunstwerke, sogenannte Mikrographien, und ein Auszug aus der berühmten Bibelsammlung von Herzogin Elisabeth Sophie Marie.

Kurator der Jubiläumsausstellung „Wir machen Bücher“ ist der stellvertretende Leiter der Forschungsabteilung der HAB, Dr. Hole Rößler. Die Ausstellung wurde bereits verlängert und ist nun noch bis September zu sehen. Wie die weiteren musealen Räume der Bibliotheca Augusta ist auch die Schatzkammer wieder ganzjährig für Besucher zugänglich.

Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel
Lessingplatz 1
38304 Wolfenbüttel
Tel.: 05331 808-0
www.hab.de

Die Öffnungszeiten der unterschiedlichen Bereiche der Bibliothek sind auf der Webseite der HAB veröffentlicht.