Als sich die Tür des blauen Containers öffnet, schlägt mir ein süßlicher Geruch entgegen; leises Brummen, Blubbern und Gluckern ist zu hören. Ich bin mit Prof. Dr. Michael Sievers vom Clausthaler Umwelttechnik-Institut (Cutec) der Technischen Universität Clausthal verabredet. Die beiden Container stehen auf dem Gelände der Goslarer Kläranlage Eurowasser Betriebsgesellschaft mbH. Hier forschen Professor Sievers und seine Mitarbeiter nach neuen Methoden der Abwasserreinigung.
Ausgezeichnete Forschung:
Abwasserreinigung der Zukunft
Auszeichnung für Nachhaltigkeit
Der unscheinbare Container steckt voller modernster Technik und wissenschaftlicher Instrumente – und voller Abwasser. Den größten Teil des Innenraumes nimmt ein großes Wasserbecken ein, in das verschiedene Instrumente und Vorrichtungen eingehängt sind, wie die Waben in einen Bienenstock. An den Wänden blinken Messinstrumente. „Unser Ziel war zu zeigen, dass mit der Reinigung von Abwasser Strom erzeugt werden kann.“
Dafür haben die Forscher aus dem Harz im Dezember 2017 den Deutschen Nachhaltigkeitspreis verliehen bekommen. Die Jury lobte die Konzepte zur Schonung der Wasserressourcen; sie seien ein weiterer Baustein für eine erfolgreiche Energiewende.
Neue Technik für altes Wasser
BioBZ nennt sich die Technologie, die das Team entwickelt hat, eine bio-elektrochemische Brennstoffzelle. Unscheinbar sieht sie aus, doch wie bei einem Eisberg, versteckt sich das wichtigste unter Wasser. Hauptakteure sind kleine Mikroorganismen, die bei der Reinigung des Wassers elektrischen Strom erzeugen. Professor Sievers zieht eine der Brennstoffzellen aus dem Wasser. Dabei ist eigentlich nur ein feinmaschiges Drahtgitter zu sehen. Aber es ist gar nicht so einfach, die Mikroorganismen dazu zu bringen, das zu tun, was die Forscher wollen.
Und es müssen vor allem die richtigen sein. „Bei der Praxisanlage hier haben wir festgestellt, dass sich nur eine Sorte von Organismen für unser System eignet. Wenn zu viele der anderen im Wasser enthalten sind, hindern sie die „richtigen“ Mikroorganismen daran, das zu tun, was sie sollen: Strom zu produzieren und gleichzeitig Inhaltsstoffe aus dem Wasser abzubauen.“ Diese elektrochemischen Mikroorganismen sind bereits im Wasser enthalten, die Forscher müssen also für gute Wachstumsbedingungen sorgen, damit sie arbeiten können. „Das ist eine neue Erkenntnis, die Auswirkungen haben wir unterschätzt“, gibt Sievers zu.
Strom gegen Schlamm
Viele Fachbegriffe, die ich als Geisteswissenschaftlerin erst einmal im Kopf sortieren muss, Professor Sievers nimmt eine Zeichnung zur Hilfe. „Normalerweise entsteht bei der Abwasserreinigung viel sogenannter Überschussschlamm. Ein Teil davon kann in Faulgasanlagen zur Stromerzeugung genutzt werden. Der andere, größere Teil des Schlammes muss jedoch entsorgt werden. Dieser Weg ist besonders für kleine Klärwerke sehr teuer“, erklärt er mir.
Mit der neuen Technik werden gelöste organische Inhaltsstoffe abgebaut, es entsteht weniger Schlamm, gleichzeitig aber Energie. Und den Wissenschaftlern ist es tatsächlich gelungen, den Strom, der zwischen Kathode und Anode fließt, abzugreifen. Professor Sievers zeigt mir einen USB-Anschluss an den Kästchen, in denen der Strom gespeichert wird. Hier könnte ich z. B. mein Smartphone aufladen, verdeutlicht er.
Praxiserfahrungen sammeln
Die Anlage, die sich in den beiden blauen Containern versteckt, bietet den Wissenschaftlern die Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln. Professor Sievers erzählt mir von den Schwierigkeiten, die es beim Bau gegeben hat. „Niemand hatte bisher eine solche Anlage gebaut, keiner konnte uns sagen, wie es funktionieren wird.“ Eine Kläranlage besteht aus unterschiedlichen Reinigungsstufen, in den Containern steckt eine davon; ein kleiner Teil der Kläranlage sozusagen. Von außen wird nun Abwasser in das Becken eingespeist. „Das Wasser ist vorgereinigt, die größeren Sinkstoffe sind bereits herausgefiltert“, erklärt mir Professor Sievers, drei bis vier Kubikmeter Wasser jeden Tag.
Am Ende verlässt es das Becken und wird zurück in die Kläranlage geleitet. Auch äußere Umstände erschweren mitunter die Arbeit. Eigentlich sollte gut vorgeklärtes Abwasser die Versuchsanlage passieren. Doch dann kam das Hochwasser in Goslar und es waren viel zu viele Feststoffe im Wasser, die sich nicht richtig abgesetzt haben. „Damit ist das System nicht klargekommen, sodass wir Gegenstrategien entwickeln müssen.“ Aber es funktioniere und die Weiterentwicklung auf Grundlage der gewonnenen Erfahrungen ist bereits im Gange.
Lange Geschichte mit Potential für die Zukunft
Als ich frage, wie lange Professor Sievers mit seinem Team bereits an Lösungen zur Abwasserreinigung forscht, muss er ein wenig überlegen. „2002/2003 entstand wohl die erste Idee. Seit 2005 machen wir erste Versuche im Labor und seit 2014 arbeiten wir an der Entwicklung der Anlage in den Containern.“ Ja, natürlich habe es auch Rückschritte gegeben, versichert er mir. „Einen Schritt zurück, zwei nach vorne.“ Aber auch das gehört zur wissenschaftlichen Forschung dazu, jetzt hätten sie einen Zwischenschritt erreicht.
Wie es weitergeht mit dem Projekt, will ich wissen. „Das war erst der Anfang, wir haben noch ganz viele Ideen“, versichert mir Professor Sievers. Eine davon ist, den jetzt gewonnenen Strom gleich wieder für die weitere Reinigung des Wassers. „In der jetzigen Phase reinigen wir das Wasser von Kohlenstoffen. Vorgeschrieben ist aber auch die Reinigung von Ammonium, Nitrat und Phosphat.“ Dafür ist teilweise Energie notwendig, wofür man den nun gewonnenen Strom nutzen könnte.
Eine tolle Chance auch für Entwicklungsregionen, dort Wasser säubern zu können, ohne dass ein leistungsstarkes Kraftwerk o. ä. dafür notwendig ist. So ist Professor Sievers gerade dabei, neue Forschungsmittel einzuwerben, um im nächsten Schritt eine größere Forschungsanlage bauen zu können.
Lebenselixier Wasser
Ich werfe einen letzten Blick in das Wasserbecken, beobachte nachdenklich die aufsteigenden Blasen. Fasziniert, was da alles im Wasser passiert, ohne dass wir es sehen können; für unser menschliches Auge zu klein, die Organismen und Vorgänge. Sauberes Wasser ist unser Lebenselixier.
Gut zu wissen, dass es Visionen gibt, es auch in Zukunft zu reinigen – und das auch noch ressourcenschonend. Und dann bin ich doch froh, als wir aus dem dunklen Container wieder in den strahlenden Sonnenschein treten, tief atme ich die frische Winterluft ein. Um uns herum liegen die Reinigungsanlagen und Wasserbecken der Kläranlage.
Ob das alles in Zukunft anders aussehen wird? „Wir haben noch einige Jahre Forschung vor uns. Erst dann können wir an Unternehmen herantreten, um über die Produktion zu sprechen. Aber ich bin mir sicher, dass es in ein paar Jahren passieren wird.“ Professor Sievers schließt den Container wieder ab und nur das Schild mit dem Logo des „Cutec“ weist auf die einzigartige Technik hin, die darin arbeitet.