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Nervenkitzel pur:
Was sich hinter dem „Fliegenden Theater“ von Simtec verbirgt

Die Attraktionen in Freizeit- und Themenparks werden technisch immer aufwendiger, der Nervenkitzel immer schriller. Mit seinem „Fliegenden Theater“ ist das Braunschweiger Hightech-Unternehmen Simtec, ein Spezialist für Simulationstechnik, weltweit spitze. Gerade wurde in der chinesischen Millionenstadt Nanchang das größte Simulationstheater der Welt gestartet. 

Schon der Start der Show ist spektakulär. Vor einer 16 Meter hohen Kinoleinwand in Halbkugelform steht eine Plattform mit 72 Plätzen. Wenn die Besucher den Sicherheitsbügel geschlossen haben, wird es dunkel in der Halle, die Plattform kippt plötzlich in die Senkrechte und die Besucher nach hinten. Sie sitzen nun in vier Reihen übereinander direkt im Blickfeld der Leinwand, der schwindelerregende Kinoflug über Landschaften und durch Naturgewalten beginnt. Die Plattform bewegt sich synchron zu Bildern und Geräuschen, fast alles ist möglich. Sie kann sehr schnell in alle Richtungen bewegt und gedreht werden – und sie kann extrem bis fast zum Gefühl der Schwerelosigkeit beschleunigt werden. Zwischendurch gibt es auch mal Sprühregen oder Dampfwolken, die die Besucher einnebeln.

 

„Wir müssen uns selbst hinter Disney World nicht verstecken“

Es ist Nervenkitzel pur im „Fliegenden Theater“. So heißen die modernsten Simulationssysteme für Freizeitparks und das kleine Braunschweiger Hightech-Unternehmen Simtec ist damit weltweit spitze. Es gibt überhaupt nur drei ernstzunehmende Konkurrenten in Kanada und in Taiwan. „Wir müssen uns selbst hinter Disney World nicht verstecken, weil unsere Plattformen viel beweglicher sind“, stellt Simtec-Chef Bernd Kaufmann fest.

Ende Mai wurde in einem Freizeitpark der chinesischen Millionenstadt Nanchang das größte „Fliegende Theater“ der Welt eröffnet. Auftraggeber war die chinesische Wanda-Group, ein Mischkonzern, dem unter anderem die größte Kinokette der Welt gehört. „In China gibt es derzeit einen richtigen Boom bei Freizeit- und Themenparks, Dutzende von Projekten sind in Arbeit“, erzählt Kaufmann. Simtec sei voll im Geschäft.

Angefangen habe man 2010 in China mit einem spektakulären Simulationsprojekt zur Weltausstellung in Shanghai – einem 360-Grad-Rundumkino, das sich über einer sich drehenden Plattform von Simtec wölbte. Das Expo-Projekt brachte viel Renommee und noch mehr Aufträge. Allein die Wanda Group orderte sieben Anlagen in vier Städten mit einem Auftragsvolumen, das ein Mehrfaches des damaligen Jahresumsatzes von Simtec betrug.

 

Von der guten alten Geisterbahn zum multimedialen „Dark Ride“

In Nanchang feierte Simtec jetzt eine weitere Premiere: den Start des neuen Simulationssystems „Dark Ride“. Das ist eine moderne elektronische und multimediale Version der guten alten Geisterbahn. Fantasiewagen fahren auf Schienen durch eine bunte und verrückte Multimedia-Landschaft. „Als nächsten Schritt wollen wir beim Dark Ride die Fahrzeuge – wie unsere Theaterplattformen –  während der Fahrt bewegen, um noch wirkungsvollere Effekte zu erreichen“, berichtet Kaufmann. Die Ankündigung dieser neuen Technik habe bereits bei den Großen des Entertainments in den USA für Interesse gesorgt.

Das China-Geschäft brummt so, dass sich das Unternehmen derzeit voll darauf konzentriert. Anfang dieses Jahres wurde eine 100-prozentige Tochtergesellschaft in Shanghai gegründet, die sich vor Ort um Vertrieb, Marketing sowie um Wartung und Service kümmert.

 

Neue Jobs in Braunschweig

Das starke Wachstum der vergangenen Jahre wirkte sich positiv auf den Standort Braunschweig aus. Die  Mitarbeiterzahl hat sich in vier Jahren auf 50 verdreifacht. Kaufmann: „Wir gehen davon aus, dass wir sie in den nächsten fünf Jahren auf 100 verdoppeln werden.“ Der Neubau am Forschungsflughafen in Braunschweig, der vor viereinhalb Jahren bezogen worden ist, wurde inzwischen dreimal erweitert. Der Bau einer großen hohen Halle, in der künftig komplette Systeme getestet werden sollen, ist geplant – verzögert sich jedoch, weil es Schwierigkeiten bei der Genehmigung gibt.

Simtec ist bei allen Projekten Systemlieferant, liefert also schlüsselfertige Anlagen beim Kunden ab. Die „Fliegenden Theater“ sind technisch weitestgehend standardisiert und werden in verschiedenen Größen angeboten. Dadurch können mehr Aufträge relativ schnell bearbeitet werden. Die wichtigsten Teile, vor allem die komplexe Software und die Steuersysteme der Simulatoren, werden in Braunschweig realisiert. Anderes wird von Zulieferern in der Region gefertigt. Die Filme werden meist vom Kunden in Auftrag gegeben und von Spezialisten in Hollywood produziert – es sind aufwendige Fantasiewerke, die jeweils mehrere Millionen kosten. In Braunschweig werden sie dann mit der Bewegungstechnik synchronisiert.

 

Universal Studios in den USA haben Interesse

„Der Forschungsflughafen ist für ein Hightech-Unternehmen wie uns ein idealer Standort“, betont Kaufmann, der alleiniger Gesellschafter von Simtec ist. Zudem habe man vor 27 Jahren auch hier mit dem Bau von Flugsimulatoren angefangen. Erst später habe man sich auf das Entertainment-Geschäft und Testsysteme für die Automobilindustrie konzentriert. Erste Projekte wurden in Deutschland realisiert: etwa für den Freizeitpark Phantasialand in Köln, für die VW-Autostadt in Wolfsburg, für das Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart oder für die Expo 2000 in Hannover.

„Um die derzeitige starke Abhängigkeit vom China-Geschäft zu reduzieren, wollen wir jetzt in den US-Markt einsteigen“, kündigt Kaufmann an. Man habe mit einem Unternehmen im US-Staat Utah eine Kooperation vereinbart. Erste Kontakte zu den Universal Studios, die Filmparks in Los Angeles und Orlando (Florida) betreiben, gibt es bereits.

 

Flugsimulator für die Dornier 228

In Braunschweig betreibt Simtec immer noch einen Flugsimulator für die Dornier 228. Zum Training kommen regelmäßig Piloten aus aller Welt. Es ist weltweit der einzige Simulator für diesen kleinen und sehr robusten Flugzeugtyp, der seit einigen Jahren wieder in Deutschland gebaut wird.

Gut im Geschäft ist das Unternehmen auch mit der Autoindustrie. Für die werden Simulatoren zum Test von Fahrzeugkomponenten gebaut „Wir sind weltweit der führende Anbieter von Testsystemen für Autotanks“, berichtet Kaufmann. Die liefere man inzwischen inklusive einer Klimakammer, sodass mit der Simulation die Auswirkungen unterschiedlicher Wetterbedingungen – was Temperatur und Luftdruck betrifft – auf den Tank und den Tankinhalt untersucht werden können. Mit solchen Testsimulatoren lassen sich, so Kaufmann, drei Viertel aller Fahrversuche ins Labor verlagern.

Derzeit arbeiten die Simtec-Entwickler an einer neuen Produktidee: dem Bau beweglicher Multimedia-Werbeflächen, die im Stadtbild oder auf Flughäfen ein besonderer Blickfang für Passanten sein sollen.

Jörg Scheibe
Simtec-Chef Bernd Kaufmann