Was einen jungen Wissenschaftler aus dem tiefsten Süden des Landes nach Braunschweig verschlägt, will ich heute von Tim Wittmann erfahren. Der Doktorand, der am Institut für Flugantriebe und Strömungsmaschinen (IFAS) an der TU Braunschweig promoviert, ist im September 2018 aus München hierher in den Norden gezogen. Ich treffe Tim an seinem Arbeitsplatz im NFL, dem Niedersächsischen Forschungszentrum für Luftfahrt, am Campus Forschungsflughafen. Hier, in dem ansprechenden Gebäude, führt er mich durch die Gänge hoch in den 2. Stock, wo er von seinem Büro aus ins Atrium schaut. Das freundlich-bunte Gebäude ist modern ausgestattet und beherbergt neben Büros natürlich auch Labore und große Hallen, in denen experimentiert werden kann. Alles im Sinne der Forschung.
Willkommen im Norden
Tim Wittmann, ein Bayer in Braunschweig
Vom Allgäu in den Norden
Mir fällt auf, dass es gar nicht auffällt, dass Tim Wittmann ein Bayer ist – es fehlt der typische Dialekt. Dafür hat er festgestellt: „Hier wird immer sehr betont, dass hier ‚Deutsch‘ gesprochen wird.“ Gemeint ist Hochdeutsch, hm, ja, das stimmt. Dabei haben wir Braunschweiger ja auch unseren Dialekt, man denke nur an die „Aantracht“ ... Aber woran man sicher erkennt, dass er aus Bayern stammt: „Ich komme morgens ins Büro mit ‚Servus‘ und meine Kollegen begrüßen mich mit ‚Moin‘“, schmunzelt Wittmann.
Sein Büro teilt er sich mit drei weiteren Doktoranden, ein ganz internationales Team: ein Braunschweiger, eine Japanerin, ein Berliner und er – der Allgäuer. Er stammt aus dem kleinen Örtchen Nachsee, „das aber eigentlich vor dem See liegt“, wie Wittmann bemerkt. „Für uns ist Österreich übrigens näher als München – die Stadt liegt für mich schon im Norden“, ordnet er die geografische Lage seines Heimatdorfes ein.
Bewusste Entscheidung für Braunschweig
Wie kommt es, dass er nach seinem Studium der Flugantriebe, Strömungsmechanik und Numerik in München nun eine Stelle in Braunschweig angenommen hat, obwohl er noch andere Angebote hatte? In München selbst gab es für den frischgebackenen Absolventen keine passende Promotionsstelle, also machte er sich deutschlandweit auf die Suche. In Braunschweig passte das Thema. Auch das Institut für Flugantriebe und Strömungsmaschinen am NFL machte einen sehr guten Eindruck auf ihn. Und natürlich ist bei einer Promotion entscheidend, dass die Chemie zum Betreuer, in diesem Fall zu seinem Doktorvater Herrn Professor Dr.-Ing. Jens Friedrichs, passt. Auch hier hat Tim „eine sehr gute Wahl getroffen!“
Spannende Aufgaben im Blick
Dass die TU Braunschweig mit zwei Exzellenzclustern in der Luftfahrt und Metrologie (der Lehre und Wissenschaft vom Messen, den Maßsystemen und deren Einheiten) ab 2019 die Spitzenforschung fördert, ist für Tim Wittmann eine weitere Bestätigung, dass er sich richtig entschieden hat. Sein Doktorvater ist zudem Projektsprecher für das interdisziplinäre Forschungsprojekt „SE²A – Sustainable and Energy Efficient Aviation“, das Technologien für eine nachhaltige und energieeffiziente Luftfahrt entwickeln wird, berichtet er stolz. Ich freue mich für Tim, dass er in einem so spannenden Umfeld arbeiten und forschen kann. Beste Voraussetzungen also für eine erfolgreiche Promotion zum Thema Numerische Strömungsmechanik, seinem Forschungsgebiet. Insgesamt plant Wittmann für die Doktorarbeit fünf Jahre ein, das sei üblich. Nach der Promotion ist er „nischenqualifiziert“, auch wenn die Strömungsmechanik ein weites Feld ist. Wo es ihn dann hinzieht, wird er sehen, der Arbeitsmarkt ist klein und für ihn eine spannende Aufgabe vorrangig. Aber erst mal bleibt er in Braunschweig – und ist ganz begeistert von der Stadt und unserer Region.
Willkommen bei den Scht’is
Ganz anders sah das allerdings sein privates Umfeld! Denn Freunde und Familie haben ihn zuerst besorgt gefragt, ob er wirklich nach Braunschweig will. Das kannte niemand und so waren die Vorbehalte riesig. „Ich kam mir vor wie im Film ‚Willkommen bei den Scht’is‘, so ähnlich waren die Vorstellungen. Ich wurde richtiggehend bemitleidet“, erinnert Tim sich an die Zeit, als er seine Entscheidung für Braunschweig bekannt gab. Wer den Film nicht kennt: Die Scht’is leben im Norden Frankreichs, wo es eiskalt und die Bewohner sehr rustikal sein sollen ... So sehen uns also die Bayern? Interessant!
Mittlerweile haben jedoch Tims Eltern ihn hier oben im Norden besucht – und sind ganz begeistert von Braunschweig und Wolfenbüttel. Ihnen gefällt die Wahlheimat des Sohnes und sie haben sich – so wie er selbst auch – sehr wohlgefühlt. Es wird also nicht der letzte Besuch in unserer Region gewesen sein.
Klimatische Unterschiede: „Hier weht mehr Wind!“
Wittmanns Freundin ist ebenfalls aus München mit nach Braunschweig gezogen. Was mir noch nie aufgefallen ist (wahrscheinlich bin ich es gewohnt), war für sie schon eine klimatische Besonderheit, denn laut Tim „weht hier immer der Wind“. Seine Freundin mag keinen Wind, im Süden hätten sie so gut wie keinen. Klar, der kommt auch nicht über die Berge ins Tal. Hier jedoch, auf dem platten Lande, weht schon mal eine kräftige Brise. Tim Wittmann selbst liebt Wind – was kein Wunder ist, interessiert ihn doch die Strömungsmechanik.
Was für Unterschiede sind ihm denn noch aufgefallen, möchte ich wissen. „Die Leute gelten zwar als verschlossen, sind aber offener hier im Norden, was die Kommunikation angeht. Man bekommt zum Beispiel ungefragt viel mehr Infos und wird häufiger offen angesprochen – auch wenn die Mentalität im Süden grundsätzlich etwas zugewandter ist.“
Freizeitfreuden hier und dort
Und auch im Nachtleben zeichnet sich das ab: Sind die Bars und Kneipen in München schickimicki und die Klientel entsprechend, so sind unsere Lokale durchweg bodenständiger, was Tim sehr gut gefällt. Dazu kommt ein super Preis-Leistungs-Verhältnis, denn „hier bekomme ich 30 Prozent mehr als in München!“, betont Wittmann. Und das, wo der Verdienst eines Doktoranden überall in Deutschland gleich hoch ist.
Was ihm noch positiv aufgefallen ist, sind die Radwege bei uns. „Braunschweig ist eine Fahrradstadt – München ist eine U-Bahn-Stadt“, erklärt er den Unterschied. Ein Punkt geht jedoch an den Süden: „Der Harz ist zwar auch schön, besonders eine Brockenwanderung – aber er kann dann doch nicht mit den Alpen mithalten.“ Dem kann ich nicht widersprechen.
Lieblingsorte in Braunschweig
Bereits bei seinem ersten Besuch in Braunschweig hat sich Tim in die Stadt verliebt. Am Vorabend seines Bewerbungsgesprächs angereist, hat er zur blauen Stunde den Burgplatz besucht und die wunderbare Atmosphäre mit Dom und den schönen Fachwerkhäusern genossen, „ganz ohne Touristenhorden“, so wie in München üblich. Seitdem gehört der Platz zu einem seiner Lieblingsorte in Braunschweig. Sehr gern geht er auch in die Luke, das ist sein Lieblingslokal. Außerdem mag er den Gratis-Kicker im Altstadttreff im Magniviertel. Er liebt es, im Heidbergpark laufen zu gehen, denn „dann merkt man den Wind“, den er so mag.
Einen ganz besonderen Lieblingsort verrät mir Tim dann auch noch: die Rosentalbrücke. Sie liegt in der Nähe seiner ersten Wohnung und hat ihn ganz besonders bezaubert. Hierher kommt er immer wieder gerne und schaut auf die ruhig fließende Oker.
Pluspunkte für Braunschweig und die Region
Was mag er noch besonders? „Dass ich mir eine Wohnung aussuchen konnte!“ Verständlich, wenn man an den angespannten Wohnungsmarkt in München denkt. Wittmann liebt Kultur und damit das Staatstheater in Braunschweig. Der junge Mann geht gern mit seiner Freundin ins Ballett und möchte sich ein Abo für das Theater holen. „Das geht in München gar nicht“, bedauert er. Und auch die Kunstmuseen wie das Herzog Anton Ulrich-Museum mit den alten Meistern oder das Kunstmuseum Wolfsburg begeistern ihn.
Gut eingeführt ist er auch in die anderen Freizeitangebote. So hat er bereits eine typisch norddeutsche Aktivität mitgemacht: die Mascheroder Braunkohlwanderung. Er und seine Freundin waren die mit Abstand jüngsten Teilnehmer, sind acht Kilometer gewandert und haben nach dem anschließenden „Baumwerfen“ das „Braunkohlessen satt“ ausgiebig genossen. Diese Braunschweiger Spezialität liebt er, denn „Grünkohl ist echt lecker!“ Finde ich auch.
Dazu fällt Tim noch positiv auf, dass es hier bei uns in den großen Supermärkten durchaus spezielle bayerische Produkte gibt, beispielsweise sein Lieblingsbier aus der Heimat, das Allgäuer Büble. So etwas würde es umgekehrt nie geben – man stelle sich vor, ein Wolters im Allgäu: „Undenkbar“, meint er. Wobei es für ihn beim Oktoberfest in Platendorf auch „schon ein Erlebnis“ war, das Wolters aus Maßkrügen zu trinken, wie er mir lachend gesteht.
Von Heimweh keine Spur
Auch künftig will Tim Wittmann noch vieles in Braunschweig und der Region entdecken und erleben. Im kommenden Sommer möchte er auf der Oker paddeln, darauf freut er sich schon. Und auf die Cafés in der Innenstadt, die er im Sommer besuchen möchte. Außerdem findet er die Städte in unserer Region spannend. Deshalb steht auch schon ein Besuch in Goslar mit der Kaiserpfalz auf seiner Liste. Aber auch die etwas weiter gefasste Umgebung will er sich ansehen. So ist er auch sehr interessiert an Ostfriesland – da weht ja noch mehr Wind als hier! Auch die Nähe zu Dänemark und den Benelux-Ländern, die von uns aus gut zu erreichen sind, möchte er nutzen.
Tim kommt gerne weit rum, ist offen für Neues und hat sich offensichtlich wirklich in Braunschweig verliebt. Das erkenne ich an der Begeisterung und Freude, mit der er mir von seinen Erlebnissen hier berichtet. Hat er denn niemals Heimweh, hake ich mal vorsichtig nach. „Nein“, antwortet er bestimmt, „obwohl ich manchmal die Münchner Lebensart schon vermisse – und echten Leberkäs, nicht das Zeug, das hier angeboten wird ...“ Na, wenn das alles ist, dann wird er hier in Braunschweig glücklich. Denn den Leberkäs bringt ihm beim nächsten Besuch die Familie bestimmt gerne mit!