In tausend Metern Höhe genieße ich die Sicht auf die Harzgipfel rundherum, die aus dem Sonnendunst herausragen. Ich stehe ganz oben auf dem neuen Wurmberg-Aussichtsturm, der vor einigen Wochen eröffnet worden ist. Höher geht es zu Fuß in Niedersachsen nicht. Der Wurmberg bei Braunlage ist mit 971 Metern der höchste Berg im Lande. Im Harz ist nur der Brocken, knapp fünf Kilometer Luftlinie entfernt, noch höher - doch der liegt in Sachsen-Anhalt.
Der neue Wurmberg-Turm
Höchster Punkt in Niedersachsen
100 Kilometer weite Sicht vom Wurmberg
Der neue Wurmberg-Turm ist 32 Meter hoch. So dass ich - wenn ich die rundum verglaste Aussichtsplattform oben erklommen habe - die 1000-Meter-Marke erreicht habe.
Die Fernsicht ist an diesem diesigen Tag eingeschränkt, ich werde aber durch den herrlichen Panoramablick auf die „schwimmende“ Harzlandschaft entschädigt. An klaren Tagen soll man hier bis zu 100 Kilometer weit blicken können, etwa bis zum Thüringer Wald, in die Kasseler Berge oder natürlich zu den Skylines von Braunschweig und Wolfsburg.
Der neue Turm steht genau dort, wo sich früher der Anlaufturm der Sprungschanze befand. Die ist vor fünf Jahren abgerissen worden, weil sie einsturzgefährdet und eine Sanierung zu aufwändig war.
„Für mich war klar, dass ich im Sinne der Familientradition einen neuen Turm bauen würde“, erzählt mir Karin Lauber. Der Unternehmerin, die in Braunlage aufgewachsen ist heute in Braunschweig lebt, gehört das benachbarte Gipfel-Gasthaus „Wurmberg-Alm“. Ihr Vater hatte es 1962 gebaut und später auch das Eigentum am Schanzenturm erworben. Auf dem befand sich bereits eine kleine Aussichtsplattform für jedermann. Karin Lauber investierte rund zwei Millionen Euro in den Turm-Bau zu Braunlage. Dafür müssen die Besucher jetzt Eintritt bezahlen.
Wahrzeichen von Braunlage
„Braunlage hat jetzt wieder ein Wahrzeichen“, freut sich Bürgermeister Stefan Grote: „Mit dem Turm ist der Wurmberg unverkennbar, da die Harzer Höhen ja doch nicht so markant und unterscheidbar sind. Das bedeutet den Braunlagern sehr viel.“
Der Turm ist täglich bei gutem Wetter geöffnet. Außen ist er mit kupferrotem Aluminiumblech umkleidet. Ich finde, das passt einerseits gut zum Grün der Fichten am Berg und es ist andererseits aus der Ferne leicht zu sehen. Aufwärts geht es über 192 Stufen auf die Aussichtsplattform, es gibt aber auch einen Fahrstuhl. Abwärts gibt es noch eine dritte Möglichkeit: Auf halber Höhe beginnt eine 12 Meter lange Rutsche, die als silberne Edelstahlröhre außen um den Turm herum verläuft. Auf den Zwischen-Etagen des Treppenhauses sind Info-Tafeln und Monitore geplant, auf denen über die Geschichte des Wurmbergs und der Schanze informiert werden soll.
90 Jahre Skisprung-Tradition
Ich finde es schade, dass es keine Schanze mehr am Berg gibt. Mit dem Abriss ging eine mehr als 90-jährige Skisprung-Tradition zu Ende. Die erste Schanze wurde hier 1922 gebaut. Später wurden neue Anlagen errichtet, erweitert und ausgebaut. Zuletzt konnte man bis zu 100 Meter weit springen, hier fanden Deutsche Meisterschaften und internationale Wettbewerbe statt, an denen Weltklasse-Springer teilnahmen.
Ich habe früher einige dieser Veranstaltungen besucht und war von der Atmosphäre begeistert. Allerdings war es oft eine ziemlich windige Angelegenheit, denn die Schanze stand nun mal - ungewöhnlich in diesem Sport - auf dem Gipfel eines Berges.
Sie hatte zeitweise noch eine zweite Besonderheit: In den Zeiten des Kalten Krieges endete der Auslauf nur wenige Meter vor der DDR-Grenze mit ihren Befestigungsanlagen. Heute gibt es im Winter auf dem ehemaligen Grenzstreifen eine sehr schöne Langlauf-Loipe in Richtung Torfhaus.
Ältester Wintersportverein Deutschlands
Leider gibt es im Harz nun keine Großschanze mehr, auf der im Winter oder im Sommer (Mattenspringen) große Wettbewerbe ausgetragen werden können. Dabei ist Braunlage eine der Wiegen des deutschen Skispringens und der 1892 gegründete WSV Braunlage der älteste Wintersportverein Deutschlands.
Jetzt gibt es Bestrebungen, am Fuße des Wurmbergs eine Großschanze zu bauen. Dort am Brockenweg stehen bereits drei kleine Schanzen. Doch mache die Finanzierung des Projekts große Probleme, deutet Bürgermeister Grote an.
Mehr als 200 000 Gipfel-Besucher
Auf dem Gipfel des Wurmbergs ist immer etwas los. Allein mit der Gondelbahn und im Winter zusätzlich mit einer Sesselbahn kommen jährlich mehr als 200 000 Besucher auf den Berg. Viele Tausende wandern auch zu Fuß herauf - für die 400 Höhenmeter braucht man rund zwei Stunden. Ich habe mit einem lädierten Knie die bequeme Variante der Gondelbahn gewählt, die zwölf Minuten für die 2,8 Kilometer lange Strecke benötigt.
An diesem herrlichen Herbsttag herrscht auf dem relativ kleinen Gipfel-Plateau viel Betrieb: Seilbahnfahrer, Wanderer und Mountainbike-Fahrer genießen die sonnige Aussicht. Ich glaube dennoch, dass hier im Winter noch mehr Trubel herrscht. Der Wurmberg ist das höchste und größte Skigebiet im Harz - und das schneesicherste, weil es seit einigen Jahren Schneekanonen gibt, die für Kunstschnee sorgen, wenn die Natur nicht genug liefert. Da erinnere ich mich an frühere, schneereichere Zeiten: Der Rekord liegt bei 3,14 Meter im April 1970! Am Rande des Plateaus wurde übrigens ein kleiner See als Wasser-Reservoir für die Beschneiungsanlagen angelegt.
Skigebiet mit 15 Pisten
Auf drei Seiten des Wurmbergs gibt es Abfahrten und Pisten, insgesamt sind es 15 Strecken aller Schwierigkeitsgrade. Die steilste Abfahrt ist die historische Hexenritt-Route, die durch eine naturbelassene Schneise führt und nichts für Anfänger ist. Die längste und meist nicht sehr steile Abfahrt ist 4,3 Kilometer lang und geht bis zur Talstation der Seilbahn. Sie soll in Deutschland die längste Skipiste außerhalb der Alpen sein, heißt es in der Werbung der Seilbahn-Gesellschaft. Insgesamt gibt es in diesem Skigebiet sieben Lift- und Bahnanlagen, mit einem Tagespass kann man sie alle nutzen.
Start- und Zielpunkt für Wanderungen
Aber auch von Frühjahr bis Herbst bietet der Wurmberg einiges. Ich habe ihn häufig als Start- oder Zielpunkt für Wanderungen genutzt, die etwa in Richtung Schierke oder Braunlage oder - bei Tagestouren - in Richtung Oderbrück oder Torfhaus gingen. Von dort konnte ich leicht in stündlich verkehrenden Bussen nach Braunlage zurückfahren.
Am Berg gibt es einen stark besuchten Bikerpark, der sieben Strecken mit insgesamt 18 Kilometern anbietet. Auf dem Gipfel-Plateau bietet die Wurmberg-Alm nicht nur einen Biergarten, sondern auch eine schöne Sonnenterrasse. Außerdem wurde dort vor einigen Jahren eine Kinder-Erlebniswelt mit verschiedenen Spielgeräten gebaut.
Es gab übrigens früher schon mal einen Turm am Rande des Plateaus, militärisch streng abgeschirmt, aber weithin sichtbar. Amerikanische Geheimdienste hatten 1972 den 81 Meter hohen „North-Tower“ als Abhörstation in Richtung Osten errichtet. Nach der deutschen Vereinigung wurde dieser Standort sinnlos. 1992 zogen die amerikanischen Spezialisten ab, zwei Jahre später wurde der Turm gesprengt.