Eine Frau hält ein Brennnessel-Bild neben die Pflanze. Maria Lüer

Wunder am Wegesrand:
Eine Kräuterwanderung bei Riddagshausen

Über den Journalisten Günter Dahl (1923 bis 2004) hat „Stern“-Verleger Henri Nannen einmal gesagt: „Er weiß, dass auf einem Quadratmeter Schrebergarten mehr Wunder zu finden sind, als mancher Reporter auf einem Kontinent findet.“ Geht das? Wer mit Kräuterexpertin Gisela Stöckmann eine Kräuterwanderung bei Riddagshausen unternimmt weiß bald: Ja, das geht.

Eines ist sicher: Eile ist die falsche Begleiterin, wenn man mit Gisela Stöckmann unterwegs ist. Denn die diplomierte Sozialpädagogin und Kräuterexpertin bleibt gefühlt jeden Meter stehen, um eine neu entdeckte Wildpflanze zu begutachten. „Die Natur hat uns so viel zu erzählen, wir müssen nur genau hinhorchen“, sagt Stöckmann, lächelt, blickt kurz auf – und senkt sofort wieder den Blick. Es könnte ja sein, dass ihrem scharfen Auge auf unserer Tour eine Pflanze entgeht.

Schon kniet sie wieder, pflückt eine Staude mit weißen Blüten und sagt: „Achillea – die Schafgarbe. Die Pflanze hat einen würzig-bitteren Geschmack und eignet sich daher vor allem als Zutat für Kräutersalze und Kräuterbutter. Aber auch im Salat oder zu Gemüsegerichten passt Schafgarbe“, erklärt die Fachfrau und erzählt: „Bis heute wird die Pflanze zum Beispiel bei Magen-Darm-Problemen verwendet oder zur Appetitanregung eingesetzt.“ Wir verkosten – und sind überzeugt: einfach lecker.

Gisela Stöckmann zeigt ein besonders verbreitetes Wildkraut: Den Giersch. Maria Lüer
Gisela Stöckmann zeigt ein besonders verbreitetes Wildkraut: Den Giersch.

Gisela Stöckmann ist ein wandelndes Kräuterlexikon: Namen, Inhaltsstoffe, Heilwirkung – sie kennt die Pflanzen, denen wir auf unserem knapp drei Kilometer langen Spaziergang durch das Arboretum Riddagshausen bis hin zur Mönchsgrabenfurt begegnen, wie aus dem Effeff. „Übrigens“, sagt die Braunschweigerin, „Giersch, Brennnessel und Co. sind schon lange nicht mehr als Unkraut verpönt. Statt ausreißen also lieber aufessen, denn das ist richtig gesund“. Brennnesseln seien reich an Vitamin C, Eisen und Kalzium. Die Blätter stärken die Abwehrkräfte, helfen bei Arthritis, Rheuma und Harnwegsinfektionen und wirken entgiftend. „Ein echtes Superfood, das viel zu selten auf unseren Tisch kommt“, ist sich Stöckmann sicher. Selbst die nussig schmeckenden Brennnesselsamen sind essbar und angeröstet besonders schmackhaft.

Eine Frau hält ein Brennnessel-Bild neben die Pflanze. Maria Lüer
Gisela Stöckmann erklärt alles über die Eigenschaften und Verwendung der Brennnessel.

Wer in der Natur unterwegs ist, sollte unbedingt die häufigsten Giftpflanzen und giftigen Wildkräuter in unserer Umgebung kennen. „Ich freue mich, wenn die Leute losziehen und Wildkräuter sammeln und essen – aber ich möchte, dass sie es überleben“, warnt Stöckmann. Es ist wie bei den Pilzen. Die oberste Regel lautet: Iss nur, was du kennst und eindeutig zuordnen kannst. Zum Beispiel seien sich der Wiesenkerbel und der gefleckte Schierling – beides Doldenblütler – wirklich zum Verwechseln ähnlich: „Der eine ist eines der vitaminreichsten Wildkräuter, der andere jedoch eine hochgiftige Pflanze, die schon den Philosophen Sokrates ins Grab gebracht hat“, erzählt Stöckmann.

Auf den letzten Metern unseres Rundgangs pflücken wir ein bisschen Knoblauchsrauke und Winterkresse fürs Abendbrot und bekommen von Gisela Stöckmann noch ein tolles Rezept für einen Kräuterdip mit auf den Weg.

Ja, mit den Pflanzen ist es doch wie bei einem Konzert: „An der Masse gehen wir vorbei – aber wenn wir eine Freundin in der Menge sehen, entdecken wir sie wieder“, sagt Gisela Stöckmann. „So ist es auch mit den Pflanzen: Wenn wir sie erstmal kennen, wissen wir sie zu schätzen und freuen uns über jede Begegnung mit ihnen in der Natur.“

Diese Reportage erschien zuerst im Magazin "Wanderzeit" (JHM Verlag).
Autorin: Maria Lüer