In Wolfsburg geboren, im Landkreis Helmstedt aufgewachsen, viele Jahre in Braunschweig gelebt und schließlich im Landkreis Wolfenbüttel gestrandet. Wenn ich mich mit dieser Vita als ein Kind der Region bezeichne, ist das möglicherweise untertrieben. Doch noch immer gibt es viele Orte vor der eigenen Haustür zu entdecken. Gifhorn zum Beispiel. Die kleine malerische Mühlenstadt in der Südheide entzog sich lange meiner Aufmerksamkeit.
Kreuzpunkt historischer Handelswege
Ein Besuch in Gifhorn
Letzter Halt auf dem Weg nach Braunschweig
Im späten Mittelalter hätte mir das nicht passieren können. In jener Zeit führte kein Weg an Gifhorn vorbei. Zumindest kreuzten sich hier zwei damals äußerst bedeutende Handelswege. Zum einen in Nord-Süd-Richtung die Alte Salzstraße zwischen Lüneburg und Braunschweig, zum anderen in Ost-West-Richtung die Kornstraße zwischen Celle und Magdeburg. Auf der Alten Salzstraße war Gifhorn der letzte Halt auf dem Weg nach Braunschweig. Oder der erste auf dem Weg nach Lüneburg. Je nachdem, in welche Richtung man reiste.
Diese und weitere historische Informationen werden einem auf anschauliche Weise bei einer Stadtführung vermittelt. Sie dauert nur etwa 90 Minuten und lässt sich daher wunderbar mit einem Besuch des unweit entfernten, überregional bekannten Mühlenmuseums verbinden. Startpunkt der Führung ist das Alte Rathaus.
Es wurde ursprünglich im Jahr 1562 erbaut und lädt mit seiner kunstvollen Holzschnittornamentik ein zum heiteren Berufe-Raten. Denn die in den dunkelroten Holzbalken verewigten Darstellungen symbolisieren die traditionellen Handwerkszünfte.
Meilenstein, Kavalierhaus und Langer Jammer
Vorbei an der dominanten St. Nicolai-Kirche, erbaut in den Jahren von 1733 bis 1744, führt der Weg weiter zum »Meilenstein«, der den Schnittpunkt der beiden oben beschriebenen mittelalterlichen Handelsrouten markiert. Nur »3½ Meilen bis Braunschweig« ist dort zu lesen.
Zweifel an den eigenen geografischen Kenntnissen und mathematischen Fähigkeiten lassen sich schnell aus dem Weg räumen. Kultur- und Landschaftsführerin Annette Redeker klärt auf, dass hier noch mit einer alten Deutschen Meile gerechnet wurde, die über 7.420 Metern entspricht.
Direkt gegenüber befinden sich zwei der ältesten noch erhaltenen Gebäude der Gifhorner Altstadt. Zum einen der sogenannte »Lange Jammer«. Das längliche, um 1546 errichtete Fachwerkhaus diente einst den Amtsrichtern und ihren Bediensteten als Arbeits- und Wohnsitz. Auch die Arrestzellen waren in diesem Gebäude untergebracht. Heute arbeitet hier das Bau- und Planungsamt der Kreisverwaltung Gifhorn.
Beim zweiten nennenswerten Gebäude, in direkter Nachbarschaft zum »Langen Jammer«, handelt es sich um das Kavalierhaus. Ebenfalls Mitte des 16. Jahrhunderts errichtet, gehört es zu den wichtigsten Profanbauten des Ortes. Beim Aufsuchen dieser Sehenswürdigkeiten lohnt sich stets ein heimlicher Blick in die vielen gut restaurierten und liebevoll gepflegten Hinterhöfe.
Die Reformation im Raum Gifhorn
Durch eine enge Gasse geht es anschließend weiter zum wohl bedeutendsten Bauwerk Gifhorns, dem 1525 errichteten Welfenschloss. Es befindet sich, umrahmt von Schlossteich und reichlich Grün, in einer äußerst idyllischen Lage. Von 1539 bis 1549 residierte hier Herzog Franz von Braunschweig und Lüneburg. Er war ein großer Anhänger des noch jungen protestantischen Glaubens und führte die Reformation im Raum Gifhorn ein.
Höhepunkt der Schlossbesichtigung ist deshalb die Kapelle. Sie gilt als erster Sakralbau in ganz Nordwestdeutschland, der eigens für den protestantischen Gottesdienst errichtet wurde.
Als Herzog Franz im Jahre 1549 an den Folgen einer Infektion verstarb, wurde er hier beigesetzt. Sein Grabmal befindet sich rechts neben dem Altar. Das Grabmal auf der linken Seite erinnert an seine Ehefrau Klara, die ihren Mann allerdings um stolze 27 Jahre überlebte und deshalb an anderer Stelle ihre letzte Ruhe fand.
Hochzeit im Schloss
Heute ist das Schloss Sitz des Landkreises Gifhorn sowie des Historischen Museums Schloss Gifhorn. Darüber hinaus ist es ein idealer Ort, um Hochzeiten zu feiern. Dies wird mir klar, als wir uns mit unserer kleinen Besichtigungsgruppe im Innenhof des Schlosses einen Weg bahnen müssen zwischen festlich drapierten Stehtischen, schick gekleideten Menschen mit Sektgläsern und einem strahlenden Brautpaar. Das alles passt sehr schön zusammen.