Header image Andrea Hoferichter

Eine Ode an die Bohne:
zu Besuch in der kleinsten Kaffeerösterei des Nordens

Johannes Weigmann hält mir eine Packung frisch geröstete Guatemala-Bohnen vor die Nase und drückt eine Duftbrise heraus. „So muss Kaffee riechen“, sagt er. Und er muss es wissen, denn hinter rot gestrichenen Fachwerkwänden am Wolfenbütteler Kornmarkt betreibt er die kleinste und womöglich feinste Kaffeerösterei Norddeutschlands. 

Keine Frage, der Mann kennt sich aus mit den Bohnen, die eigentlich Kirschsamen sind und für mich so etwas wie ein Grundnahrungsmittel: Meine Kinder nennen mich nicht umsonst „Kaffeejunkie“. Glücklicherweise belegen mittlerweile viele wissenschaftliche Studien, dass diese Droge in der Regel unschädlich ist. Und auch Johannes Weigmann, der mir – „ich bin der Jo“ – gleich das Du anbietet, gibt Entwarnung: „Kaffee kann man immer trinken!“

Ursprünglich kommt Jo aus Unterfranken. Er war schon Schreinermeister, Parkettleger und Polizist. Die Liebe hat ihn in unsere Region verschlagen. In einer Garage im idyllisch gelegenen Lelm bei Königslutter röstete er die ersten kleinen Chargen seiner „Pinocchio“-Espressos und -Kaffees. Im April 2016 zog er dann nach Wolfenbüttel – und betreibt seither am Kornmarkt 14 eine Rösterei und ein kleines Café.

„Ich habe mir damit einen Traum erfüllt“, erzählt er. Und den seiner Mutter noch dazu. Na ja, fast. „Meine Mutter wollte auch immer ein Café, aber ein richtig großes mit einem Flügel.“ Nun ist es eben ein sehr kleines Café geworden, aber der Geschmack, den Jo aus den Bohnen kitzelt, der ist groß – und auf jeden Fall eine Reise wert.

Das Herzstück in seiner neuen Wirkstätte ist die Röstmaschine aus blinkendem Metall. Jeden Montag kommt sie zum Einsatz. Dann röstet er Kaffeebohnen, zaubert aus blass-beigen Bohnen, die an Erdnusskerne erinnern, braune aromatische Perlen. „851 verschiedene Aromen stecken in jeder Bohne, 100 davon sind noch unbekannt“, verrät der Barista.

 

Aromaröstung nach Geheimrezept

Seine Lieblingsbohnen holt er immer aus Hamburg. Geerntet wurden sie aber natürlich in wärmeren Gefilden, in Guatemala oder Indien zum Beispiel. Sie sind handgepflückt, ungespritzt und „fair trade“. Geröstet werden sie bei gut 200 Grad Celsius. Der genaue Temperaturverlauf und die Röstdauer sind aber Jos Geheimnis. Die Bohnen müssen zwei Wochen lagern, bevor Jo sie in mattsilbernen 250-Gramm-Tüten mit blauen Etiketten verkauft.

Der Durchsatz der Pinocchio-Röstung ist mit einem Kilogramm pro Stunde überschaubar. „In der Industrie sind es stündlich vier Tonnen“, berichtet Jo. Zudem komme dort oft Kaffee zum Einsatz, der nichts tauge, vermengt mit Müll aller Art. Holzstückchen, Papier und sogar einen Ohrring einer Pflückerin habe er in solchen Bohnen mal gefunden. „Dass dieser Kaffee nicht schmecken kann, ist eigentlich klar“, betont er.

Wie ein wirklich guter Espresso schmeckt, will mir der Barista jetzt beweisen. An seiner Espressomaschine mahlt er die Bohnen mit einer elektrischen Mühle direkt in einen Siebträger. Dann nimmt er einen stempelartigen Tamper, drückt ihn drauf, dreht ihn um 120 Grad und klemmt den Siebträger anschließend in die Espressomaschine. Ein Knopfdruck und der Kaffee läuft. „Der Strahl muss wie ein Mäuseschwanz aussehen“, sagt er.

 

Kaffee ist nicht gleich Kaffee

Jos Rezept für den perfekten Espresso: zwischen sechs und neun Gramm Bohnen, 25 Millilter Wasser, neun bar Pumpendruck und etwa 25 Sekunden Durchlaufzeit. „Der perfekte Espresso ist goldbraun mit Tigerstreifen und gelingt mir vielleicht einmal am Tag“, verrät er. Mein Espresso schmeckt jedenfalls sehr lecker. Ein Gast, der vor dem Café unterm Sonnenschirm einen „Doppio“ trinkt, also die doppelte Portion, ist von der Qualität ebenfalls überzeugt: „Bei Jo gibt es den besten Espresso der Region!“

Auch Johannes Weigmann selber ist eine regionale Berühmtheit. Vor ein paar Jahren drehte der NDR einen Film über seine Rösterei. „Die Aufnahmen waren harte Arbeit, haben aber auch viel Spaß gemacht“, erzählt er. Eine Woche lang war das Fernsehteam bei ihm zu Gast.

Seine Liebe zur Kaffeebohne begann vor vielen Jahren auf Motorradtouren mit seinen Kumpels nach Italien. „Der erste Espresso am Brenner, das war immer ein Highlight“, schwärmt er. Und in Italien lernte er auch „die Eva“ kennen, die so etwas wie seine Muse ist und in Umbrien lebt, etwa zwei Stunden vor den Toren Roms. „Die Eva ist 94 Jahre alt und steht seit über 60 Jahren jeden Tag hinter der Theke an ihrer Espressomaschine“, erzählt Jo. „Bei ihr durfte ich viel probieren und habe eine Menge gelernt.“ Mindestens einmal im Jahr besucht er sie und hat ihr sogar eine eigene Kaffeesorte gewidmet: „Caffè del Eva“.

Zum Schluss verrät er noch einen neuen Trend: Filterkaffee sei wieder hipp, es gebe dazu sogar internationale Meisterschaften. Und noch dieses: Demnächst werden ihn zehn Kinder in der Röststube besuchen, um in die Geheimnisse des Kaffees eingeweiht zu werden, eine Gemeinschaftsaktion mit der Sendung mit der Maus. Dann wird der Barista ausnahmsweise mal keinen Kaffee servieren, sondern Kakao mit Sahne.