Ausgerechnet am Montag des Peiner Freischießens bin ich mit Oliver Pirrwitz verabredet. Es ist ein warmer Abend, genau richtig für einen frischen, leichten Weißwein oder einen fruchtigen Cocktail. Am Stand der Weinkellerei H. C. Euling auf dem Festgelände entspannen die Gäste auf Lounge-Möbeln unter Palmen. Pirrwitz ist Inhaber der Weinhandlung mit 200- jähriger Tradition und eigentlich unentbehrlich an diesem Abend. Umso glücklicher schätze ich mich, dass er sich Zeit nimmt für ein Gespräch. Seit er das Abitur in der Tasche hat, handelt der Unternehmer mit Weinen. Da kommen inzwischen mehr als 20 Jahre Erfahrung zusammen. Auf die Weinkellerei H. C. Euling machte ihn eine Kundin aufmerksam. Das Traditionshaus war 2009 aus gesundheitlichen Gründen geschlossen worden.
Frischer Wind
in der traditionsreichen Weinkellerei Euling
Moderne Weine in nostalgischen Regalen
Pirrwitz, der aus der Grafschaft Bentheim stammt, unterzeichnet im Jahr 2013 einen Pachtvertrag. Dann füllt er die bodenleeren Regale und Keller mit guten Weinen und erlesenen Spirituosen. Gerade noch rechtzeitig vor Weihnachten des gleichen Jahres öffnet die Weinkellerei H. C. Euling wieder. Bewusst hat der neue Inhaber im Ladengeschäft alles beim Alten belassen – Nostalgie pur! Wie eh und je beobachtet die Tiffany-Eule die Kundschaft, die vor den dunkelbraunen Holzregalen die Qual der Wahl hat. Auch das Deko-Segelschiff auf dem erhöhten Platz hinter der historischen Theke ist noch da. Und die Lampe, die den kleinen Laden erhellt, dürfte Fünfzigerjahre-Fans in helles Entzücken versetzen.
In den nostalgischen Regalen hat jedoch moderner Geschmack Einzug gehalten. Der Schwerpunkt liegt auf deutschen Weinen aus verschiedenen Anbaugebieten. „Weine von Markus Schneider laufen beispielsweise auf Weinfesten am besten“, hat der neue Pächter festgestellt. Seine Kunden beweisen damit Sinn für Trends. Schließlich wurde Barack Obama bei seinem Antrittsbesuch als US-Präsident in Berlin mit einem Sauvignon Blanc von Markus Schneider bewirtet. Die „Welt“ bezeichnete Markus Schneider vor einigen Jahren als „Pop- Winzer“, der eine neue Generation von Weintrinkern gewonnen hat.
Zur Weinprobe in den Burgkeller
Neben deutschen Weinen führt Oliver Pirrwitz auch französische, italienische und spanische Weine sowie einige Spezialitäten aus der sogenannten Neuen Welt. Die Renner unter den europäischen Weinen sind Erzeugnisse aus Portugal. „Mittlerweile habe ich 30 portugiesische Weine im Sortiment“, sagt er. Damit hat der Weinhändler ein regionales Alleinstellungsmerkmal für die Weinkellerei H. C. Euling geschaffen, denn portugiesische Weine sind längst nicht überall erhältlich. Ob portugiesisch, Franken oder Nahe – wer die Katze nicht im Sack kaufen möchte, kommt zu einer Weinprobe in den Burgkeller unter der Weinhandlung und dem sogenannten Zehnerschlösschen. An diesem Sommerabend ist es hier unten schön kühl und ich bin beeindruckt von dem alten Gemäuer, das Geschichte atmet. Die Grundmauern wurden im 12. Jahrhundert errichtet und waren tatsächlich Bestandteil der Burg. Wenn Oliver Pirrwitz hierher einlädt, serviert er zuerst einen Secco und dann verschiedene Weine – eine gute Gelegenheit, um den persönlichen Lieblingswein zu entdecken.
Die Weinproben im Burgkeller gehen auf Herbert Euling zurück. Im Jahr 1970 lädt er erstmals Stammkunden und Freunde des Haues zur Weinverkostung ein. Die Idee hatte übrigens sein damals 15-jähriger Sohn Rembert. Auch die traditionelle Weinprobe am Freischießen-Samstag geht auf Herbert Euling zurück.
Beachpartys bis in den Herbst
Sein Nachfolger hält an den alten Traditionen fest, aber er setzt auch eigene neue Ideen um. Dazu zählen beispielsweise der Weinstand auf dem Freischießen und – ganz neu – sommerliche Beachpartys auf dem Hof der Weinkellerei. Für Strandflair in der Innenstadt Peines hat er mehrere LKW Sand geordert, außerdem Lounge-Möbel aus Paletten gezimmert, Palmen aufgestellt und Livemusik organisiert. So können sich die Peiner in diesem Sommer bis Anfang September zum Sundowner im Hof der Weinkellerei treffen. Von Sonntag bis Donnerstag genießen sie zu Wein, Longdrinks und Cocktails chillige Musik von Singer-Songwritern und Bands. Freitags und samstags wird ein DJ für die Unterhaltung sorgen. „Da kann es durchaus auch mal Rock, Techno oder House geben, wenn es sich ergibt“, kündigt der Hausherr an.
Wieder erhältlich: Eulings Eierlikör und Boonekamp
Doch ich muss noch einmal zurückkommen zu den Künsten Herbert Eulings, einem gelernten Destillateur. Denn die Kundschaft und der neue Inhaber schätzen sie gleichermaßen. So hat Euling zweimal im Jahr eigenen Eierlikör mit der geschützten Bezeichnung „Mein Advokaat“ hergestellt. Sage und schreibe 18 Eier verarbeitete Euling pro Liter Likör. Alten Rechnungen hat Oliver Pirrwitz entnommen, dass Landwirte jeweils 1.800 Eier für 100 Liter lieferten. Damit fand er wenigstens Anhaltspunkte für die geheime Rezeptur. Kultstatus genoss auch Herbert Eulings Boonekamp in Peine. Immer wieder haben die Kunden nach dem Boonekamp gefragt, der auch beim Freischießen eine wichtige Rolle spielt. Pirrwitz hat eine Originalflasche des Magenbitters aufgespürt und verschiedene Destillen damit beauftragt, Inhaltsstoffe und Zusammensetzung zu analysieren und eine Probeflasche herzustellen. Eine Expertenrunde aus Peinern hat schließlich entschieden, welches Erzeugnis dem Original am nächsten kommt. Deshalb steht Euling Boonekamp jetzt wieder im Regal – genau wie der berühmte Eierlikör.
Doch auch andere Peiner Spezialitäten laufen gut: Oliver Pirrwitz nennt den Perlwein Eulensecco, den Peiner Rotspon, den er jetzt in den Sorten Reserve, Grande Reserve, Tradition und als klassischen Rotspon im Sortiment hat, und den Glühwein Eulenfeuer.