Einblicke in die Ausstellung „Now Is the Time“. Marek Kruszewski © VG Bild-Kunst, Bonn 2019

Das Kunstmuseum Wolfsburg.
Zehn Fragen an Pressesprecherin Dr. Katharina Derlin.

Wolfsburgs Kunstmuseum – wandlungsfähig, am Puls der Zeit, mit Blick nach vorn und gleichzeitig das Vergangene würdigend. Ob Andy Warhol, Neo Rauch oder Bruce Nauman – seit seiner Eröffnung im Jahr 1994 hat sich das Kunstmuseum Wolfsburg mit seinen Ausstellungen zur modernen und zeitgenössischen Kunst international einen bedeutenden Namen gemacht. Dank der riesigen Ausstellungshalle mit 16 Metern Deckenhöhe und 3.500 Quadratmetern frei gestaltbarer Fläche entwickelt es sich mit jeder Exposition zum neuen Erlebnisraum – und bereichert Stadt und Region rund vier Mal im Jahr mit Kunstausstellungen von Weltrang. Dr. Katharina Derlin arbeitet seit dem 1. Juli 2019 als Pressesprecherin der kulturellen Einrichtung.

Frau Dr. Derlin, seit dem 1. Juli 2019 sind Sie die neue Pressesprecherin des Kunstmuseums Wolfsburg. Welche Bedeutung besitzt das Kunstmuseum für die Stadt Wolfsburg und die Region?

Das Kunstmuseum, das ja in diesem Jahr sein 25-jähriges Jubiläum feiert, ist städtebaulich an einem ganz zentralen Ort in der Stadtmitte – und mit seiner Architektur auch sehr präsent. Zudem, darüber freue ich mich jedes Mal, wenn ich die Ausstellungsräume betrete, haben wir ganz wunderbare Möglichkeiten, jede Ausstellung neu zu denken – mit der 16 Meter hohen, lichtdurchfluteten Halle und unserem mobilen Stellwandsystem. Das bietet großen Spielraum für Künstler und Kuratoren. Und auch die Besucher können das Museum mit jeder Ausstellung anders und neu kennenlernen. Man kann sich immer wieder der Kunst annähern, die Wechselausstellungen sind so vielseitig wie unsere derzeitige Sammlungspräsentation, da ist für jeden was dabei. Wir haben ein breites Angebot für Jedermann, themenbezogene Führungen, Kurse für Kinder und Jugendliche, die sich erstmals mit Kunst auseinandersetzen, mit so etwas wie Art After Work richten wir uns an Berufstätige, mit Malkursen am Nachmittag an Senioren. Bei uns kann man Firmenevents ausrichten oder seinen Geburtstag feiern, mit dem Restaurant Awilon und unseren Veranstaltungsräumen haben wir dafür einfach tolle Möglichkeiten. Es ist und soll ein Ort der Begegnung sein.

Immer in Bewegung – so wandlungsfähig ist das Wolfsburger Kunstmuseum

Wie lässt es sich auf nationaler Ebene verorten?

Das Kunstmuseum hat eine herausragende Sammlung wichtiger künstlerischer Positionen seit 1968 – und holt immer wieder aktuelle, kritische wie auch polarisierende Künstler hier her. Es hat hier immer wieder Künstler zu einem Zeitpunkt erstmalig gezeigt, beispielsweise Andreas Gursky, als sie noch nicht so gehypt worden sind. Dann aber auch Größen der klassischen Moderne wie Giacometti oder Kokoschka mit ganz weitreichenden Resonanzen. Auch sprechen bildgewaltige Ausstellungen wie die für 2020 angesetzten Ausstellungen Macht! Licht! und In aller Munde – das Orale in Kunst und Kultur zusätzlich auch weniger kunstaffine Menschen an, die dann aber ganz viel Faszinierendes und vielseitige Kunst- und Kulturaspekte bei uns entdecken können. Populäres neben weniger Populärem, dabei aber mit einem immer guten Gespür für Relevanz ausgewählt.

Portrait von Dr. Katharina Derlin. Marek Kruszewski
Dr. Katharina Derlin, Pressesprecherin des Wolfsburger Kunstmuseums.

Was waren die letzten Meilensteine des Kunstmuseums?

Besonders erfolgreich war die Robert-Lebeck-Ausstellung, auch weil dort Fotografien von ihm gezeigt wurden, die Facetten von Wolfsburg abbilden – das interessierte viele. Dann die Ausstellung Never Ending Stories ebenso wie This was Tomorrow zur Pop Art in Großbritannien. Und bedeutend ist natürlich auch unsere derzeitige Sammlungspräsentation Now Is the Time, weil wir darin zeigen können, was das Museum und der sehr aktive Freundeskreis in den vergangenen 25 Jahren erworben haben. Deshalb wird die Ausstellung auch bis zum 13. Oktober verlängert, bevor viele der Werke auf internationale Reisen gehen.

Was sind aktuelle Highlights?

Ich persönlich bin sehr dankbar, zum Kunstmuseum zu kommen, während dort gerade die Sammlung präsentiert wird. Das klingt immer erst mal bisschen fad, ich weiß gar nicht genau warum. Denn der Besucher kann endlich einmal das sehen, was sonst im Magazin verborgen bleibt oder an andere Museen verliehen ist. Und da sind wirklich so unterschiedliche Werke dabei, von jungen Künstlern wie Firelei Báez bis hin zu Neo Rauch, Cindy Sherman oder auch Jeff Koons als international arrivierte Größen. So eine Sammlungspräsentation bietet eigentlich für jeden etwas. In diesem Jahr folgen aber noch zwei weitere Ausstellungen: Ab dem 28. September zeigen wir Werke des südafrikanischen Künstlers Robin Rhode. Seine humorvolle und gleichzeitig gesellschaftskritische Ästhetik arbeitet teils mit serieller Fotografie, teils mit optischen Spielereien, das trifft sehr den Zeitgeist. Und für den japanischen Sound- und Medienkünstler Riōji Ikeda, den wir ab dem 7. Dezember zeigen, dunkeln wir die gesamte Halle ab – erstmalig zeigen wir seine zwei neuesten großformatigen Projektionen, die er speziell für unser Museum arrangieren wird: data verse 1 und data verse 2. Das wird wiederum ein ganz anderes Kunsterlebnis, körperlicher, da geht es ums Hören, ums Fühlen von Sound und Licht.

Das Kunstmuseum Wolfsburg von außen. Marek Kruszewski
Das Kunstmuseum Wolfsburg.

In welche Richtung möchte sich das Kunstmuseum entwickeln; was sind die nächsten Ziele?

Das Museum will noch mehr Identifikationsort für die Menschen in Wolfsburg und der Region sein. Das heißt, wir wollen Raum bieten für Zusammenarbeiten, für Begegnungen, für Events parallel zur Ausstellung. Das wird immer kunst- und kulturbezogen sein, soll aber programmatisch breiter gefächert werden: themenbezogene Dinner, nachts im Museum für Schüler und Erwachsene, Kunstparties, Insta- und Bloggerwalks – damit wollen wir ein so breites Publikum wie möglich ansprechen und für Kunst begeistern. Aber auch dem wissenschaftlichen Austausch soll mehr Raum gegeben werden, etwa durch Symposien. Gleichzeitig will sich das Museum mit seinen Ausstellungen auch an globale Themen anschließen und den Anspruch haben, auch auf internationaler Ebene seine Bedeutung weiter ausbauen.
 

Wie sah Ihr persönlicher Werdegang aus?

Als gebürtige Hamburgerin bin ich irgendwie immer im Norden geblieben: Ich habe in Kiel Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte und Musikwissenschaft studiert und habe in ersterem promoviert. Ich war Lehrbeauftragte an der Uni, war in Kiel aber auch einige Jahre nebenher in der Presseabteilung des Theater Kiels tätig. Am Schloss Eutin habe ich die Ausstellung von Edvard Koinberg begleitet. Nachdem ich vorher schon beim NDR und beim Hamburger Abendblatt hospitiert hatte, hat es mich dann aber nach Hannover zur Hannoverschen Allgemeinen Zeitung gezogen, wo ich volontiert habe und anschließend als Redakteurin tätig war. Ich habe dort immer viel für das Kulturressort geschrieben. Und jetzt bin ich hier.

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Wie ist Ihr Bezug zu Wolfsburg?

Na, der entwickelt sich noch, ich komme gerade erst an. Eine Studienfreundin von mir wohnt in Fallersleben, sie arbeitet in der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel. Und der Ehemann einer Freundin arbeitet bei VW, aber das war’s bislang. Das wird sich nun wohl rasch ändern.

Was schätzen Sie an Wolfsburg und was an der Region?

Dass es für einen eigentlich für seine Wirtschaftlichkeit bekannten – und deshalb ja ursprünglich erbauten – Standort so wahnsinnig kulturell ausgerichtet und breit gefächert ist: vom Phaeno über das Theater, dem Alvar-Aalto-Kulturhaus, dem Hallenbad bis hin zur Städtischen Galerie, dem Kunstverein und eben uns. Sicherlich habe ich da etwas vergessen. Das muss auch ich erst noch alles genauer erkunden. Aber schon jetzt erlebe ich, wie engagiert die hiesige Stadtgesellschaft ist, das alles eben genau zu dem zu machen, was es ist – und das schätze ich sehr. Das ist nicht selbstverständlich.

Welche Bedeutung hat Kunst für Sie?

Bei mir schafft Kunst immer wieder eine Distanzierung vom Alltag – und im besten Fall eine Eröffnung neuer Perspektiven, ein Draufrumdenken neuer Ideen. Museumsräume haben so eine Aura, es ist angenehm kühl und eben ruhig, man kann sich wunderbar darin zurückziehen, ganz bei sich sein und sich mal auf etwas ganz anderes einlassen. Sich mit Kunst auseinanderzusetzen und zu umgeben ist für mich ein echter Luxus in heutigen Zeiten, in denen alles schnell, pragmatisch und zielorientiert sein muss, in denen es oft schon so vorgefertigte Muster gibt.
 

Welcher ist Ihr/sind Ihre Lieblingskünstler und warum?

Das ist wie die Frage nach dem Lieblingsbuch, die vermag ich auch nie zu beantworten, weil es unterschiedliche Voraussetzungen von Gefallen gibt: Zum einen eine ganz oberflächenästhetische, wenn ich es einfach „schön“ finde – auch in seiner Machart und in Anbetracht der Zeit, in der es entstanden ist – das ist dann ein ganz klares Gefühl. Rupprecht Geiger zum Beispiel, August Macke, Lyonel Feininger, und, das hat mit meiner Promotion zu tun, Künstler der Buchkunstbewegung wie Heinrich Vogeler. Wirklich begeistert bin ich aber, wenn ich darin mehrere Ebenen erkenne, Zitate auf andere Künstler, wenn das Werk mit Positionen, seinem eigenen Schaffensprozess oder seiner Materialität spielt – und man den Sinn dahinter erst mal entschlüsseln muss. Gerhard Richter und Anselm Kiefer gehören sicherlich dazu. Und das Kunstmuseum hat dieses wunderbare Werk von Kiefer: „20 Jahre Einsamkeit“. Das kriegt mich immer wieder, wenn ich davor stehe.