Wie ein Raumschiff steht das Paläon mitten in der weiten Landschaft vor den Toren der Stadt Schöningen im Südosten des Landkreises Helmstedt. Gegensätzlicher könnte der Kontrast zu den ausgestellten 300.000 Jahren alten Funden der Menschheitsgeschichte nicht sein.
Schmusetiger oder gefährliche Jägerin?
Die Sonderausstellung „Eiszeitjägerin“ im Paläon
Eine Katze in der Nacht?
Im Dämmerlicht der Sonderausstellung empfangen mich die Raubkatzen. Der Vergleich zwischen den heutigen Katzenarten und den ausgestorbenen Säbelzahnkatzen steht in der Ausstellung im Vordergrund. Gefunden wurde in Schöningen die europäische Säbelzahnkatze der Gattung Homotherium latidens, die vor 300.000 Jahren unsere Region durchstreifte. Aber sollte diese Großkatze nicht schon lange vor dem Auftauchen des Menschen in Europa ausgestorben sein? So die einstige wissenschaftliche Annahme! Doch die Funde von Schöningen haben die gängige Lehrmeinung auf den Kopf gestellt.
Skelettfragmente von drei Säbelzahnkatzen wurden geborgen und es ist durchaus möglich, das sich in Schöningen noch weitere Exemplare dazugesellen. Als ganzer Verband gingen sie damals auf Jagd, so die Wissenschaftler. Der Mensch hatte also bei seiner Jagd nicht nur eine Säbelzahnkatze als Konkurrenten, sondern gleich ganze Rudel. Und wie die heutigen Löwen erlegten sie ihre Beute in einer strategisch ablaufenden Jagd.
Viel Zeit verbringe ich in der abwechslungsreichen Ausstellung und teste die Nachtsichtigkeit von Katzen, prüfe meine Muskelkraft am Bisskraftmesser und staune über die Fähigkeit der Säbelzahnkatzen, wie weit sie ihren Unterkiefer öffnen konnten. Fasziniert betrachte ich das täuschend echt aussehende Modell der europäischen Säbelzahnkatze. Mit ihrer Körpergröße von fast 1 Meter Höhe und 2 Metern Länge wirkt sie schon beeindruckend. Schade, dass sie nicht kleiner war, dann würde sie vielleicht noch heute als Schmusetiger auf meinem heimischen Sofa liegen. Mit ihren hübschen Säbelzähnen wäre sie ein echter Hingucker unter all den heutigen Hauskatzen in der Umgebung.
Wer hat′s erfunden?
Neugierig geworden, nehme ich an der vom Paläon angebotenen Expertenführung teil und treffe auf einen der Kuratoren der Sonderausstellung, Felix Hillgruber. Von ihm erfahre ich, dass es zwei Kuratoren für diese Ausstellung gab: Felix Hillgruber und Tom Hübner. Beide arbeiteten an der Choreografie der Ausstellung. Tom Hübner war hauptsächlich für die Finanzen zuständig, Felix Hillgruber für den „Leihverkehr“. „So heißt das tatsächlich“, erklärt Hillgruber. „Alle Exponate in der Sonderausstellung müssen ja beschafft werden, meistens wird ausgeliehen.“ Jetzt will ich genau wissen, wie eine Museumsausstellung entsteht und deshalb fange ich an, Felix Hillgruber „Löcher“ in den Bauch zu fragen. Bereitwillig gibt er mir Auskunft.
Die Planung einer Ausstellung zur Säbelzahnkatze existierte schon seit dem ersten Schneidezahnfund im Oktober 2012. Im Jahr 2015 stand die Planung und das Budget zur Sonderausstellung fest. Zuerst denkt sich der oder die Kuratoren die „Storyline“ aus. Es sollen Präparate in der Ausstellung aufgestellt und eine Geschichte erzählt werden. In der weiteren Planungsphase entscheidet der Kurator, welche Designer und Grafiker er beauftragt, um seine Vision in die Wirklichkeit umzusetzen.
Über das Layout der Texte und Fotos muss entschieden werden. Für die Erstellung der Ausstellungsfilme schreibt der Kurator ebenfalls die Drehbücher. „Die Dreharbeiten zu den Filmen waren eine der aufregendsten Phasen, besonders der Zeichentrickfilm zur Ausstellung verlangte eine enge Abstimmung mit dem Grafiker“, so Hillgruber. Des Weiteren kommt auch ein Bauleiter hinzu, dessen Leistungen vertraglich festgelegt wurden. Zum Beispiel wollten Felix Hillgruber und Tom Hübner, dass der Bauleiter auch die Handwerker koordiniert. „Das war für uns sinnvoll, denn der Bauleiter kennt sich in den Gewerken der Handwerker besser aus als ein Kurator“, schmunzelt Hillgruber.
Der Löwe ist los?
Für die Tierexponate stand Leihen oder Kaufen zur Debatte. Die beiden Kuratoren entschieden sich für Leihgaben. „Für uns war die Nachhaltigkeit und der Tierschutz wichtig“, erklärt er. Die Präparate kommen aus den Naturhistorischen Museen in Münster, Hannover und Erfurt. Sie sind zwischen 10 und 50 Jahre alt. Nur ein Tierpräparat musste angefertigt werden. Der springende Luchs wurde als einziges Präparat bei einem Kürschner in Auftrag gegeben. „Doch keine Sorge, das Tier verstarb durch einen natürlichen Tod. Auf gar keinen Fall würden wir deshalb ein Lebewesen töten lassen“, stellt er heraus. „Der Luchs sieht der Säbelzahnkatze am ähnlichsten, deshalb wollten wir unbedingt einen Luchs in der Ausstellung und haben lange Wartezeiten dafür in Kauf genommen“, berichtet er.
Das Säbelzahnkatzenmodell besteht aus einem Kunststoffkern, der dann in Handarbeit zu einem Homotherium latidens geformt wurde. Die Skulptur bekam ein eingefärbtes Kalbsfell übergezogen, denn diese Fellart lässt sich gut bearbeiten und einfärben. Zum Schluss kommt die Feinabstimmung. Die Zähne und Krallen werden lackiert und die Augenfarbe und Pupillenform entsprichen denen einer heutigen Großkatze. Doch Achtung: Kommt man dem Modell zu nahe, ertönt ein fürchterliches Löwengebrüll!
Auf der Pirsch?
Für die Sonderausstellung „Eiszeitjägerin“ ist eine weltweite Wanderschaft in Planung. Die Herausforderung: es den zukünftigen Ausstellern so einfach wie möglich zu machen. Vitrinen im Raum platzieren, Stecker in die Steckdose, fertig! Das klingt einfach, aber die Vitrinen müssen dazu möglichst in eine Einheitsgröße umgewandelt werden. Auch können die Originale nicht mit auf Wanderschaft gehen, das wäre viel zu riskant für die Artefakte. Deshalb wird zu jedem Originalartefakt eine Replik hergestellt. Felix Hillgruber hat schon Erfahrung in diesem Bereich gesammelt: „Zum Beispiel um eine Replik vom Skelett des Homotherium latidens zu bekommen, sind wir ins Krankenhaus mit allen Einzelknochen gefahren. Dort wurde ein 3-D-Scan durchgeführt und danach konnten wir ein frei stehendes, originalgetreues Skelett herstellen. Das war schon witzig!“ Das alles erlebt also ein Kurator!