Monika Kiekenap-Wilhlem, Leiterin des Instituts M2K der Stadt Wolfsburg und Museumsleiterin, misst Mauerdicke. Beate Ziehres

Stadtmuseum Wolfsburg:
Geschichte von Schloss und Stadt

Wie haben die Menschen in der Region früher gelebt? Obwohl Wolfsburg mit etwas mehr als 80 Jahren eine relativ junge Stadt ist, kann das Stadtmuseum Schloss Wolfsburg diese Frage ziemlich anschaulich beantworten. In der Schlossremise – seit 2001 die Heimat des Stadtmuseums – haben die früheren Bewohner aufschlussreiche Zeugnisse hinterlassen. Bis zurück ins 14. Jahrhundert lässt sich die Geschichte im Schloss verfolgen.

Monika Kiekenap-Wilhelm, Leiterin des Instituts M2K der Stadt Wolfsburg und damit auch Museumsleiterin, erwartet mich am Eingang. Nach einer kurzen Einleitung brechen wir unverzüglich auf zu einer Reise durch die Zeit. Der Rundgang beginnt – chronologisch korrekt – mit der frühen Schlossgeschichte.

Die Herren von Bartensleben, ein Rittergeschlecht, erbauten die Wolfsburg. Beate Ziehres
Die Herren von Bartensleben, ein Rittergeschlecht, erbauten die Wolfsburg.
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Die mächtigen Mauern der Remise selbst fungieren hier als stumme Zeitzeugen. „Die Mauern der Remise waren ursprünglich Wehrmauern. Das Remisen-Gebäude entstand erst später“, erklärt die Museumsleiterin. Wer an dieser Erkenntnis Zweifel hegt, kann an Ort und Stelle Maß nehmen und sich von der Richtigkeit überzeugen. In der Fensternische ist ein Metermaß befestigt. Das Ergebnis überrascht mich auch: genau zwei Meter! Dass die Mauern so dick sind, hätte ich nicht gedacht.


Spuren früherer Schlossbewohner

Gleich neben der Fensternische ist eine Holzlatrine aus dem 17. Jahrhundert erhalten geblieben. Monika Kiekenap-Wilhelm berichtet, dass die Latrine 1986 entdeckt wurde. Doch interessanter als das Örtchen finde ich die Gegenstände, die in einer Vitrine ausgestellt sind: ein Kinderschuh aus längst vergangenen Zeiten, zerschlagene Keramik, Murmeln und einiges mehr. Was hat es damit auf sich? „Die Latrine wurde als Abfalleimer genutzt. Diese Funde hat man seinerzeit auf diesem Weg entsorgt“, sagt Kiekenap-Wilhelm und fügt hinzu: „Hier scheint das Leben auf Schloss Wolfsburg durch.“   

Archäologische Fundstücke: Das Plumpsklo diente auch als Mülleimer. Beate Ziehres
Archäologische Fundstücke: Das Plumpsklo diente auch als Mülleimer.

Das Leben auf dem Schloss ist ein Thema, das die Besucher des Stadtmuseums besonders interessiert. „Im Schloss selbst hat man ja kaum die originale Ausstattung und Raumzuschnitte. Die Wolfsburger und die Gäste der Stadt – also unsere Zielgruppen – wollen beispielsweise wissen, wer hier gelebt hat.“

Die Ausstellung bleibt in dieser Sache keine Antwort schuldig. „Die Geschichte ist bis zu einem gewissen Punkt einfach: Es gab nur zwei Besitzerfamilien“, schmunzelt Monika Kiekenap-Wilhelm und macht mich mit Gräfin Anna Adelheit Catharina von der Schulenburg-Beetzendorf bekannt. Als geborene von Bartensleben markiert die Gräfin den Übergang vom Rittergeschlecht von Bartensleben zur Familie von der Schulenburg.

Gemälde von Gräfin Anna Adelheit Catharina von der Schulenburg-Beetzendorf. Beate Ziehres
Gemälde von Gräfin Anna Adelheit Catharina von der Schulenburg-Beetzendorf.

Anna: Mutter, Erbin und Powerfrau

In den Jahren 1741 und 1742 verlor Gräfin Anna kurz hintereinander ihren Gatten und ihren Vater. Als Alleinerbin des Schlosses und Gutshofes stand sie mit zwölf Kindern alleine da. Sie hatte nicht nur das Gut und die Ländereien zu bewirtschaften, sondern auch diverse Streitigkeiten vor Gericht auszutragen. Doch es gelang ihr – so berichtet Kiekenap-Wilhelm – weite Teile des Besitzes für die Familie von der Schulenburg zu sichern, für eine gute Ausbildung der Kinder zu sorgen und die Töchter gut zu verheiraten.

„Anna ist geschichtlich sehr gut belegt, deshalb wollen wir ihr Leben weiter erforschen“, sagt die Museumsleiterin. Einige Wolfsburger dürften Gräfin Anna bereits kennengelernt haben. Im museumspädagogischen Programm tritt Anna zu besonderen Anlässen auf und erzählt aus ihrem Leben.

 

Baugeschichte des Schlosses als Thema im Stadtmuseum

Unter Annas bestimmtem Blick nennt mir die Museumsleiterin ein paar Eckdaten zur Wolfsburg:

  • gebaut von den Herren von Bartensleben
  • 1302 erstmals in einer Quelle erwähnt
  • Burgfried aus dem 14. Jahrhundert ist der älteste noch erhaltene Teil der Wolfsburg

Aus dem Fenster des Museums schaue ich auf den jüngsten Gebäudeteil des Schlosses. Die braune Wand, die der Remise zugewandt ist, stammt aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Im 16. Jahrhundert wurde die mittelalterliche Burg zu einer vierflügeligen Schlossanlage im Stil der Weserrenaissance ausgebaut. Die Initiative zu dieser Verbesserung geht wohl auf Hans von Bartensleben, der „der Reiche“ genannt wurde, zurück. Im Zuge des Ausbaus entstand auch der Gartensaal. „Hier haben anfangs möglicherweise kleine Ritterturniere stattgefunden“, erzählt Monika Kiekenap-Wilhelm.

 

Das Gut und die von der Schulenburgs

Sie lenkt nun meine Schritte in den nächsten Raum. Hier geht es um die jüngere Geschichte des Schlosses als landwirtschaftliches Gut, um die Familie von der Schulenburg und um die Anfänge Wolfsburgs als Stadt des KdF-Wagens. Bauliche Relikte wie Pferdetränken weisen hier auf die landwirtschaftliche Nutzung der Remise hin.

Erinnerung an die Arbeit und das Leben auf dem landwirtschaftlichen Gut Wolfsburg. Beate Ziehres
Erinnerung an die Arbeit und das Leben auf dem landwirtschaftlichen Gut Wolfsburg.

Bis ins Jahr 1942 bewirtschaftete die Familie von der Schulenburg das Gut gemeinsam mit einer großen Zahl von Mitarbeitern. Es gab Forstwirtschaft, eine Schafszucht, eine Gutsimkerei und viele weitere Aktivitäten. Mit der Gründung des Autowerks und der Stadt mussten die Schulenburgs ihren Besitz verkaufen. Die Familie zog um nach Tangeln/Neumühle, floh aber wenige Jahre später vor den russischen Besatzern und kehrte zurück nach Nordsteimke.

 

Gründung der Stadt des KdF-Wagens

Zeitlich und auf unserem Rundgang sind wir nun bei der Stadtgründung angekommen. Originaldokumente und Exponate verdeutlichen, was im Jahr 1938 tatsächlich geschah und welche Pläne das Hitler-Regime verfolgte.

Mit der Planung der Stadt des KdF-Wagens war seinerzeit der Architekt Peter Koller beauftragt. Die Ideen des Stadtplaners sind in Wolfsburg teilweise heute noch zu erkennen und galten für viele Jahrzehnte als modern: Um das Privatleben vom Arbeitsleben zu trennen, wurden die beiden Bereiche auch räumlich getrennt – durch den Mittellandkanal. Mietskasernen sollte es nicht geben, weil man davon ausging, dass sie der Gesundheit nicht zuträglich sind.

"Hier fällt insbesondere der hohe Anspruch an die Ausstattung der Häuser auf. Alle waren mit Elektro-Kohleherd, einem eigenen Badezimmer und Stromanschluss geplant. Das war keine Selbstverständlichkeit zu dieser Zeit. Aber: Jedes Haus sollte auch einen Luftschutzkeller bekommen. Man darf dabei nicht vergessen, welches Leid das Regime den Menschen durch Krieg, Verfolgung und Mord zugefügt hat."

Museumsleiterin Monika Kiekenap-Wilhelm

Pläne aus den frühen 1940er-Jahren: Elektro-Kohleherd und Luftschutztür. Beate Ziehres
Pläne aus den frühen 1940er-Jahren: Elektro-Kohleherd und Luftschutztür.

Nach der Fertigstellung der Pläne für die Stadt des KdF-Wagens begann man zügig mit dem Bau der Stadtteile Steimker Berg und Wellekamp. Die Arbeiter – unter ihnen viele Italiener – lebten in Baracken. Während des 2. Weltkriegs waren zahlreiche Zwangsarbeiter vor Ort im Arbeitseinsatz. Sie waren nach ihrer Ankunft aus Ost- oder Westeuropa in verschiedenen Barackenlagern untergebracht. Auch befand sich eine  Außenstelle des Konzentrationslagers Neuengamme in der Stadt. Wer mehr über diese Zeit wissen möchte, findet im Obergeschoss des Stadtmuseums eine Dokumentation über die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.

 

Ende der Stadt des KdF-Wagens und Neuanfang für Flüchtlinge

Nach Kriegsende fiel die Bestandsaufnahme in der „Musterstadt des Führers“ kläglich aus: Die Stadt war unfertig, das Werk auf Rüstungsproduktion ausgerichtet und teilweise zerstört. In den kurzzeitig unbewohnten Barackenlagern kamen jetzt Flüchtlinge und Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten unter. Die Neuankömmlinge konnten in Wolfsburg – diesen Namen trug die Stadt seit Ende Mai 1945 – Mut fassen für einen Neuanfang.

"Für Wolfsburg ist charakteristisch, dass es in den älteren Generationen kaum gebürtige Wolfsburger gab. In lebensgeschichtlichen Interviews sagten Vertreter dieser Generation immer sinngemäß: Wir kamen von irgendwoher, hatten wenig bis nichts und haben in der Stadt ein neues Leben angefangen."

Museumsleiterin Monika Kiekenap-Wilhelm

Ein neues Leben begann auch für das Volkswagenwerk nach der glücklichen Entscheidung der englischen Besatzungsmacht, das Werk nicht demontieren zu lassen. Unter widrigen Bedingungen begannen die Arbeiter jenseits des Kanals mit der Produktion des Käfers. Der Verkaufserfolg, der sich mit der Zeit einstellte, war die Basis für einen gewissen Wohlstand in der Stadt.

Das Thema „Arbeiten im Volkswagenwerk“ darf im Stadtmuseum Schloss Wolfsburg nicht fehlen. Beate Ziehres
Das Thema „Arbeiten im Volkswagenwerk“ darf im Stadtmuseum Schloss Wolfsburg nicht fehlen.

Leben in der Zeit des Wirtschaftswunders

„Der Käfer und Wolfsburg waren die Prototypen des Wirtschaftswunders“, sagt die Museumsleiterin. Das Leben in der Wirtschaftswunderzeit ist auch im Stadtmuseum deutlich präsent. In den 1950er-Jahren schob sich bei schönem Wetter eine wahre Kinderwagenparade durch die Porschestraße. Der Käfer brachte die Familie im Sommer nach Italien und in den neuen Wohnungen hielten Nierentische, Cocktailsessel und Vitrinen mit Cognacschwenkern und Bowle-Sets Einzug.

Die Ausstellung beleuchtet auch, wie rasant Wolfsburg gewachsen ist und unter welchen Umständen dies überhaupt möglich war. Die Rolle des Breiten- und Profisports in Wolfsburg wird ebenso thematisiert wie das ständig wachsende Kulturangebot in der Stadt.

Die Ausstellung beleuchtet auch die Entwicklung der einzelnen Stadtteile. Beate Ziehres
Die Ausstellung beleuchtet auch die Entwicklung der einzelnen Stadtteile.

Das Sahnehäubchen der Ausstellung finde ich im letzten Raum der Ausstellung: einen kompletten Damenfriseursalon im Stil der 1950er-Jahre. Mitarbeiter des Stadtmuseums entdeckten den Schatz im Stadtteil Hellwinkel. Als sie den Salon im Jahr 1999 betraten, glaubten sie, die Zeit sei stehengeblieben. Bis etwa 1980 übte die Besitzerin des Salons, die aus Ostpreußen nach Wolfsburg gekommen war, hier ihr Handwerk aus. Die Friseurin hatte ihren neuen Salon nach dem letzten Schrei eingerichtet: Nierenförmige Spiegel, pastellgelbe Kunstlederstühle, stromlinienförmige Trockenhauben und Tütenlampen prägten das Bild. Auch die großen Muster auf den Vorhängen, die für Intimsphäre während des Haarewaschens sorgten, wecken bei mir Erinnerungen an früher.

Mit den Veränderungen Schritt halten

Auch dieser Friseursalon erzählt Stadtgeschichte. Er erzählt vom Neuanfang im noch jungen Wolfsburg, von Stadtteilen mit eigenen, kleinen Zentren und vom Lauf der Zeit. Als sich viele Kundinnen des Salons einen eigenen Wagen leisten konnten, waren sie nicht mehr auf das fußläufig zu erreichende Dienstleistungsangebot angewiesen. Für viele kleine Läden bedeutete diese Entwicklung das Aus. Doch am Beispiel des Damensalons lebt die Vergangenheit im Museum weiter.

Monika Kiekenap-Wilhelm sieht es nun als vordringlichste Aufgabe des Stadtmuseums an, die Geschichte fortzuschreiben bis zur Gegenwart und das Museum weiterzuentwickeln. Damit folgt das Stadtmuseum dem eigenen Anspruch Wolfsburgs: Hier soll es immer etwas Neues zu entdecken geben.

Über das M2K

Das Stadtmuseum Schloss Wolfsburg zählt zum Verbund der Historischen Museen und ist damit Bestandteil des städtischen Instituts M2K Museen-Kultur-Kreativwerkstätten. Neben dem Stadtmuseum bilden das Hoffmann-von-Fallersleben-Museum, das Burgmuseum Burg Neuhaus, die landwirtschaftliche Abteilung in der Brauscheune des Guts und das technische Baudenkmal Kästorfer Bockwindmühle den Verbund Historischer Museen. Komplettiert wird das M2K durch das Kulturwerk mit beispielsweise der Internationalen Sommerbühne und die Kreativwerkstätten. Das Stadtmuseum Schloss Wolfsburg ist einer von mehr als 100 zeitORTEn in der Region Braunschweig-Wolfsburg.